Kreidler

Spells And Daubs

(Bureau B/Indigo) VÖ: 28.01.

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Krautrock, Postrock, Electropop – irgendwo dazwischen pendeln sich die Düsseldorfer seit jeher ein, auch wenn sie andererseits stets wieder betonen, dass sie überwiegend mit britischer Pop- und Wavemusik sozialisiert worden sind. Getrennt arbeitete man im letzten Jahr in Berlin und Düsseldorf an neuem Material, dass sich letztlich wie eine instrumentale Sammlung von Kurzgeschichten fügen würde. Anfang 2021 wurde in Hilden weitergearbeitet, aus fünfzehn Titeln wurden zehn selektiert, die wiederum zum Mischen nach London zu Peter Walsh (FKA Twigs, Simple Minds, Scott Walker) teleportiert wurden. Organisch klingende Beats und Klangflächen, viele echte Instrumente und ein pulsierendes Bandgefühl, dass dem dominierenden elektronischen Duktus eine gewisse Lässigkeit überstülpt – auch keine wirkliche Neuerung, ehrlich gesagt. Aber warum auch von der »never change a winning team«-Losung abweichen? Zusammen mit den Schwarzweiß-Zeichnungen von Heinz Emigholz im Cover-Artwork ergibt sich ein überzeugend-zirpendes Zuhör-Album, das in seinen Bestandteilen oder auch zur Gänze in die Playlisten des trüben Winters gehört.

Klaas Tigchelaar für Schnüss


Cat Power

Covers

Domino/Goodtogo/VÖ 13.01.

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Für den Weihnachstgrabbeltisch ist Chan Marshall aka. Cat Power natürlich zu spät dran. Aber ihr Cover-Album hat auch keinen rein finanziellen Hintergrund, auch angesichts der Tatsache, dass sie in der Vergangenheit schon zwei Coveralben hingelegt hat.

 

 

Pitchfork-Media attestierte ihr gar einmal, sie könne »einen Song neu arrangieren, indem sie ihn einfach anschaut«. Auf »Covers« werden Stücke von Frank Ocean, Bob Seger, Lana Del Rey, Jackson Browne, Iggy Pop, The Pogues, Billie Holiday, Nick Cave und The Replacements in ein neues Gewand gesteckt, dass den typischen, verführerischen Cat Power-Flair verströmt. Initialzündung war angeblich «Bad Religion« (Frank Ocean), aus dem sie sich 2018 auf Tour Textpassagen für ihren eigenen Song »In Your Face« klaute, weil dieser sie im selbsterschaffenen Original nach eigener Aussage total runterzog.

 

Highlights sind auf dieser Platte rein subjektiv das fluffig-depressiv groovende »Pa Pa Power« (von Ryan Goslings Band Dead Man’s Bones) und Lana Del Reys vom Pathos befreites »White Mustang«. Aber als Chan-Fan kann man natürlich ohnehin bedenkenlos zugreifen. Zumal sie das komplette Album selbst produziert hat und eine »aktualisierte Version« von »Hate« (von »The Greatest« aus 2006) ebenfalls enthalten ist.                                                                                                                                                         Klaas Tigchelaar für Schnüss


Garcia Peoples

Dodging Dues

No Quarter/Cargo/VÖ: 14.01.

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Was würde wohl passieren, wenn man die spontanen Performances im Jam-Band-Universum einer Effizienzanalyse unterziehen würde? Alles was redundant, langweilig oder uninspiriert anmutet fliegt raus. Klar, das würde die Bands in ihrer Spontanität beschneiden und den mitflippenden Fan wahrscheinlich in den finalen Horrortrip treiben.

 

Aber in Zeiten, in denen die Masse an neuen Musikveröffentlichungen beinahe grotesk-überbordende Züge annimmt, kriegt man echt keinen Blumentopf mehr dafür, dass man die letzten 38 Minuten gerade so nice im flow war. Garcia Peoples aus New Jersey zeigen mit ihrem fünften Album auf beeindruckende Weise, wie man sich psychedelisch-eloquent freispielt, ohne den Musik-Normalo zu Tode zu langweilen. Ja, es gibt Gitarrensoli, es gibt epische Momente der Getragenheit, und es gibt zu viele Querverweise zu The Grateful Dead (der Bandname ist kein Zufall). Aber hier wurde konsequent weitergedacht, die Laufzeit des Albums auf knapp 45 Minuten beschränkt und das Songwriting mehr ins Scheinwerferlicht gerückt, als sonst im Genre üblich.

 

Weiterhin erwähnenswert sind die wechselnden Gesänge von Bassist Andy Cush und Keyboarder Pat Gubler, die von schönen Harmoniegesängen im Hintergrund vervollständigt werden, an denen u.a. auch Matt Sweeney (Chavez, Superwolves, Iggy Pop, Zwan) beteiligt war, der hier als Produzent fungiert. So tönt das dann am Ende mehr nach Motorpsycho in ihrer softeren Phase, als nach US-Hippie-Helden mit Bongwasser-Flecken auf dem Gitarrengurt.

Klaas Tigchelaar für Schnüss


:::Interview
Das Desert-Island-Phänomen

Ein Interview mit "People Of Iraklia"-Gründerin Maro Zina

Das Interview fand im September 2020 statt.

 

Wie hast du dich in die Kykladeninsel Iraklia verliebt?

Maro Zina: Im Jahr 2016 hat Panos Moraitis, der Gründer des Emergency Response Centre International (ERCI) mich gefragt, ob ich für ihn nicht ein bisschen Social-Media-Arbeit machen könnte. Sie halfen damals den Flüchtlingen in Moria auf Lesbos, und ich antwortete ihm, dass ich gar nicht genau wisse, was sie dort machen würden, und dass ich deshalb wohl keine große Hilfe sein könnte. Er meinte schlicht, ich solle dann halt eben mal mit ihm nach Lesbos kommen und mir die Situation vor Ort anschauen.

 

Also bin ich als freiwillige Helferin rübergefahren und anstatt meiner anfänglich geplanten zwei Wochen Aufenthalt bin ich über einen Monat geblieben und habe katastrophale Sachen erlebt. Nicht nur die hygienischen Bedingungen waren haarsträubend, es gab überflutete Zelte, viele kranke Menschen und Bewohner, die sich selbst und ihre Kleidungsstücke im salzigen Meerwasser waschen mussten, weil es natürlich kein fließendes Wasser im Camp gab.

 

Diese Umstände waren dir also nicht bekannt?

Doch, natürlich. Aber man fragt sich trotzdem immer wieder, wie Länder solche Missstände, solches Elend einfach ignorieren können, nur um ihre eigenen Interessen zu schützen. Nach dem Aufenthalt war ich ziemlich ausgebrannt und ein Freund riet mir, Urlaub zu machen, um Abstand von dem Elend in Moria zu gewinnen. Ich habe das ignoriert, weil ich dachte, dass ich damit gut umgehen konnte, was natürlich gelogen war. Ich hatte tiefe Augenringe, Schlafprobleme und all das. Deswegen bin ich schließlich doch losgefahren und kam 2017 für zwei Wochen nach Iraklia und habe mich spontan in die Insel und die Leute hier verliebt. Ich habe bewusst die Geselligkeit der Inselbewohner gesucht, jeder nahm sich die Zeit mit mir zu quatschen und alle waren total höflich und nett.

 

Seitdem kommst du jedes Jahr wieder hier auf die Insel?

Genau. Und jedes Jahr lief ich immer wieder an diesem bestimmten Haus mitten in Agios Georgios (der Hafen- und Hauptort der Insel, d. Red.) vorbei, wo wir jetzt gerade sitzen. Es war verlassen und ein bisschen runtergerockt. Ich erkundigte mich, wem es gehörte, weil ich es mieten wollte, aber alle meinten nur: „Das kannst du vergessen, die werden es dir niemals vermieten!“ Aber ich bin eine durchsetzungsfähige Person und schlussendlich sprach ich mit einer jungen Dame, die das Haus für ihren verstorbenen Vater verwaltete, aber nicht auf der Insel wohnen wollte. Ich habe sie gefragt, ob ich es mieten könne, und nach einigem Zögern teilte sie mir mit, dass ich für einige Zeit im Jahr umsonst darin wohnen könne, wenn ich jedes Jahr ein paar Renovierungs- und Instandhaltungsarbeiten machen würde.

 

Das war ziemlich entgegenkommend.

Ja. Mein Freund, mit dem ich in Barcelona lebe, und ich haben das Haus wieder in Schuss gebracht, die Fassade und die Innenräume gestrichen, ein einfaches Badezimmer geschaffen und noch einige andere Sachen. Ich würde ja am liebsten das ganze Jahr hier wohnen, aber mein Freund muss in Barcelona arbeiten, weswegen wir ein bisschen hin- und hergerissen sind, zwischen den beiden Orten. Mittlerweile bin ich auch recht gut mit der Eigentümerin befreundet, sie hat uns sogar mal in Barcelona besucht.

 

Wie verdienst du dir den Lebensunterhalt, um hier wohnen zu können?

Momentan bin ich tatsächlich ohne Arbeit! Aber ich habe die letzten Jahre sehr viel gearbeitet und mir auch ein bisschen Geld zurückgelegt. Glücklicherweise braucht man hier nicht viel Geld zum Leben.

 

Du hast mir vorhin erzählt, dass du dir eigene Wurzeln schaffen möchtest…

…Ja! Also natürlich habe ich Wurzeln in Athen und in Patras, diese Wurzeln hat ja jemand anders für mich ausgewählt, oder gepflanzt. An einem bestimmten Punkt im Leben muss man sich entscheiden, wo man sein eigenes Saatgut einpflanzen möchte, um eigene Wurzeln zu kreieren. Und ich würde gerne hier auf Iraklia alt werden. Im Winter wohne ich immer noch mit meinem Partner in Barcelona, aber wir wollen zukünftig den Versuch unternehmen, gemeinsam mehr Zeit auf der Insel zu verbringen. Falls wir hier unser Geld verdienen könnten, würden wir wohl sogar das ganze Jahr über hierbleiben.

 

Der Versuch, Urlaub und Arbeitsalltag zu kombinieren?

Natürlich betrachte ich das von einer totalen Luxusperspektive heraus. Ich bin immer viel gereist, und könnte, im Gegensatz zu vielen Bewohnern der Insel auch mal ein paar Wochen einfach woanders hinfahren und dort mein Geld verdienen. Aber jetzt wo ich 40 geworden bin fange ich an das entschleunigte Leben viel mehr wert zu schätzen, die Ruhe und Friedlichkeit hier, wo man sich auch mal bloß darauf konzentrieren kann, sein eigenes Gemüse und Obst anzubauen, ohne Ablenkung vom hektischen Rest der Welt.

 

Das Durchschnittsalter auf Iraklia ist ziemlich hoch, oder?

Ja, es gibt ziemlich viele alte Leute auf der Insel. Dagegen gibt es nur fünf einheimische Kinder, und neuerdings einige Kinder, die aufgrund der Corona-Pandemie mit ihren Eltern auf die Insel gezogen sind. Alle anderen sind Ü50, sie haben viele Gesundheitsprobleme, weil sie zu viele Zigaretten rauchen, manche haben Asthma…

 

Klisidi Beach auf Iraklia. Foto (c) Klaas Tigchelaar

 

…Das heißt, die Insel könnte in wenigen Jahrzehnten verlassen sein, wenn es keinen neuen Zuzug gibt.

Ja, Iraklia könnte zu einer saisonalen Insel werden, das ist ein Riesenproblem! Größere und touristischere Inseln wie Santorini wird dieses Schicksal nicht ereilen, weil sie sich dem Kommerz verschrieben haben. Aber du wirst da kaum einen Einheimischen in seiner Freizeit treffen, wenn du dort ein Zimmer mietest, am Strand liegst oder abends essen gehst. Denn fast alle Einheimischen dort leben vom Tourismus und haben keine Zeit für entspannte Gespräche. Wahrscheinlich möchten viele Touristen auch gar keine Einheimischen treffen, weil sie lieber in ihrer Urlaubsblase die Zeit verbringen.

 

Ein großer Unterschied zu Iraklia.

Ja, aber das findet man auch auf anderen kleinen Inseln. Hierher kommt man wegen der Atmosphäre, der Entspannung, um runter zu kommen, und nicht zuletzt wegen der Insulaner, oder? Es ist alles sehr einfach und überschaubar hier. Du bekommst hier lokalen Käse, frischen Honig, frisches Brot und, wenn du Glück hast, ein paar lokale Hühnereier. Hier kannst du den Tag viel bewusster verbringen, wenn du dich dem Flow der Insel angleichst.

 

Das ist aber vielleicht auch der Grund, warum die Insel nicht so viele neue Bewohner anzieht.

Zunächst mal ist es so, dass die meisten Kinder für die weiterführende Schule nach Athen ziehen. Jugendliche und junge Erwachsene verlassen die Insel, weil sie mehr Leute sehen möchten, sie sehnen sich nach Abwechslung und Unterhaltung. Außerdem kannst du hier im Winter kein Restaurant oder einen Laden betreiben, es sind fast keine Touristen da, sondern nur die 80 festen Einwohner der Insel. Momentan gibt es beispielsweise drei Familien, bei denen der eine Elternteil auf der Insel lebt, der andere ist mit den Kindern in Athen.

 

Was ist mit Aussteigern, die vielleicht gerade die Einsamkeit suchen? Arbeiten vom Homeoffice aus ist ja grundsätzlich hier kein Problem.

Schon, aber es ist sehr teuer hier ein Haus zu bauen. Das ist auf jeden Fall eine Sache, der sich die Regierung dringend annehmen sollte. Gerade wegen der Pandemie möchten ja viele Leute weg aus den großen Städten, in Wohnungen und Häuser mit mehr Platz drumherum. Die Regierung erkennt das Problem aber nicht, obwohl die Preise für Grundstücke auf dem Land schon jetzt stark gestiegen sind. Man sollte die Leute dazu animieren aufs Land zu ziehen, sofern sie ortsunabhängig arbeiten können und wollen, aber wie soll das gehen, wenn die Infrastruktur in kleinen Gemeinden wie Iraklia dem überhaupt nicht gewachsen sind? Es gibt große strukturelle Einschränkungen, es gibt hier keine wirkliche ärztliche Versorgung, Iraklia hat nicht mal eine Tankstelle und für viele Sachen musst du mit der Fähre nach Naxos rüberfahren, was viel Zeit kostet. Es ist schwierig, junge Leute davon zu überzeugen, diese Nachteile zu akzeptieren, um im Gegenzug viel mehr Freiheit und Ruhe zu erlangen. Aber natürlich möchten die Insulaner hier auch nicht, dass das hier eine Party-Insel wie Ios oder Mykonos wird.

 

Das kleine Bergdorf Panagia auf Iraklia. Foto (c) Klaas Tigchelaar

 

Möchten die Alteingesessenen hier denn überhaupt neue Leute auf der Insel haben?

Natürlich! Junge Paare mit Kindern sind herzlich willkommen, die Schule hat noch ausreichend Platz. Es gibt eine weiterführende Schule mit Gymnasium und Lyzeum, und in Panagia gibt es ja auch noch eine Grundschule. Momentan sind nur vier Kinder dort, zwei Einheimische und zwei Kinder, die wegen der Pandemie mit ihren Eltern hergezogen sind. Die wichtigere Frage ist aber, wo die Neuankömmlinge wohnen sollen. Die meisten Häuser hier sind Familieneigentum, nur ganz wenige Häuser werden komplett an Touristen vermietet. Und die Vermietung rentiert sich ja auch, in der Hochsaison von Juli bis August sind da schon mal gut 4.500 Euro drin. Warum sollte man diese Häuser oder Zimmer also an griechische Neuankömmlinge vermieten, die natürlich niemals solche Preise zahlen würden oder könnten? Schließlich möchte man hier ja nicht die Mietpreise von Athen zahlen, und die Regierung hat sich noch keine Gedanken darüber gemacht, ob man diese Differenz übergangsweise kompensieren könnte.

 

Die Zugeständnisse, die man als neuer Einwohner machen müsste, sind also einfach zu umfangreich?

Momentan ja. Dazu kommt auch, dass fast alle hier direkt oder indirekt vom Tourismus leben, den möchten sie ja nicht verlieren. Aber auch abseits der Touristensaison ist es hier nicht so einfach, die meisten Häuser sind nicht sonderlich winterfest, viele haben keine Heizung, einfach verglaste Fenster und der Wind zieht unter der Haustür hindurch.

 

Die griechische Regierung sieht aber weiterhin keinen Handlungsbedarf?

Nein. Und ich verstehe das einfach nicht. Wir haben so viele traumhafte Inseln, sie könnten die Grundvoraussetzungen dafür schaffen, dass die Inseln neue Bewohner bekommen, auch wirtschaftlich wäre das sicherlich ein Zugewinn. Wer derzeit auf eine kleine Insel zieht, möchte nicht viel Geld ausgeben, zumal es andere zusätzliche Unkosten gibt. Wenn ich zum Beispiel einen Friseurtermin machen möchte, muss ich rüber nach Naxos fahren. Habe ich Zahnschmerzen, dann muss ich mit der Fähre rüber nach Naxos fahren. Für alle Einkäufe, die über wirklich bescheidene Grundbedürfnisse hinausgehen muss ich nach Naxos fahren, oder es online kaufen und mit einigem Aufpreis von einem Kurier liefern lassen. Und wenn an meinem Haus etwas kaputtgeht, warte ich Tage oder Wochen auf die Ersatzteile oder den Handwerker, der mir das repariert. Sofern die nötigen Teile auf Naxos überhaupt verfügbar sind, sonst dauert es noch länger.

 

Man muss sich also von viel liebgewonnenen Komfort der digitalisierten Welt verabschieden?

Ja, und so etwas wie Amazon gibt es hier gar nicht, etwas bei denen zu bestellen ist fast unmöglich. Ich würde mal behaupten, die Gemeindeverwaltungen der Inseln müssten die Regierung in die Pflicht nehmen und ein Kompensationsmodell entwickeln. Familien, die auf die kleinen Inseln umziehen sollten mit, sagen wir mal 2.000 Euro im Jahr unterstützt werden. Das wäre keine große Investition, verglichen mit dem, was ihnen durch den Verfall auf den in der Nebensaison unbewohnten Inseln an Kosten entstehen würde.

 

Gibt es denn da gar keine Pilotprojekte in Griechenland?

Doch, es gibt ein Projekt auf der Insel Antikythera, neben Kythera gelegen, das gehört zur Peleponnes. Es wurde von der lokalen Diözese der Griechischen Orthodoxen Kirche ins Leben gerufen, um mehr Leute auf die vereinsamende Insel zu locken (2019 gab es nur noch 24 Bewohner, d. Red.). Jeder bekommt ein Stück Land, ein Haus und 500 Euro im Monat, für die ersten drei Jahre. Dafür muss man allerdings bestimmte Fertigkeiten mitbringen, Bäcker, Elektriker und so weiter werden gesucht. Außerdem muss man seine Familie mitbringen. Ich habe vor einiger Zeit mit dem Bürgermeister der Insel telefoniert, nachdem ich einen Artikel darüber gelesen hatte, denn eigentlich wollte ich das Konzept der Gemeinde hier schmackhaft machen, schließlich könnten die hier auch so etwas machen. Aber der Bürgermeister von Antikythera meinte, die Presse wäre da wohl etwas voreilig gewesen, weil das Projekt nur sehr schleppend anläuft, da erst neue Häuser für die Neuankömmlinge gebaut werden müssten. Es ist das gleiche Problem wie hier auf Iraklia, es gibt nicht genug Häuser.

 

Würden mehr neue Einwohner auf der Insel auch automatisch eine Zunahme des Tourismus bedeuten?

Die Inseln, oder diese Insel sollte einfach kurzerhand die Saison verlängern und das Service-Angebot erweitern, um verschiedene Urlauber-Typen anzusprechen…

 

…Der Klimawandel ist beim erstgenannten Punkt bestimmt hilfreich…

…ja, auf tragische Art und Weise. Der Vergleich hinkt erneut ein bisschen, aber Santorini hat die Saison schon vor Jahren ausgeweitet, ohne dass es da einen direkten Zusammenhang zu klimatischen Veränderungen gibt…

 

…Und bei Santorini liegen in den letzten Jahren auch erheblich mehr Kreuzfahrtschiffe vor Anker…

Klar, aber dieser Strategie muss man ja nicht folgen, das wäre auf Iraklia auch platzmäßig gar nicht möglich. Es gibt viele andere gute Ideen, um die eigene Insel attraktiver zu machen. Wenn ich beispielsweise zwanzig Zimmer zur Vermietung habe, und ich würde weitere fünf Zimmer anbauen, würde mich das einen Haufen Geld kosten. Und dann habe ich momentan nur zwei Hochsaison-Monate, also wie soll ich da die Investition je amortisieren? Da würde ich lieber die Saison verlängern, mit den vorhandenen Zimmern mehr Geld verdienen, und in neue Matratzen, mehr Komfort, mehr Service und Unterhaltung für meine Gäste investieren.

 

Steht Iraklia alleine da, mit dieser Angst davor, eine saisonale Insel zu werden?

Es gibt viele Inseln mit kleinen Gemeinden und wenig Einwohnern, aber spontan kann ich dir jetzt keine nennen. Schinoussa, was hier direkt nebenan liegt hat eine größere Bevölkerung, gerade auch im Winter, die trifft das nicht so hart. Das Gleiche gilt für Kofounissi, die Insel gehört auch zu den kleinen Kykladen. Und einen Aspekt habe ich noch gar nicht genannt, denn wenn die Insel im Winter menschenleer ist, wer kümmert sich dann um den Unterhalt von Straßen, Gebäuden und öffentlichen Plätzen? Alles was im rauen Winter von Wind und Regen beschädigt wird, müsste dann kurzfristig vor Saisonbeginn repariert werden. Irgendjemand muss im Winter auf die Insel aufpassen!

 

Du bist jetzt den vierten Sommer auf der Insel, aber du behauptest noch immer von dir selbst, du seiest kein „local“. Glaubst du, die Einheimischen haben dich trotzdem schon als eine von ihnen akzeptiert?

Oh, das weiß ich nicht, ich habe mich noch nicht getraut zu fragen (lacht). Aber ich glaube, sie freuen sich, wenn ich da bin.

Hafenstrand von Iraklia. Foto (c) Klaas Tigchelaar

 

Erzähl doch mal, wie die Idee für den Instagram-Account @peopleofiraklia geboren wurde.
Erstmal nur für mich selbst, weil ich viel Zeit mit den Leuten hier verbringe und mit meinem Telefon Fotos von ihnen gemacht habe. Ich meine, das ist ja erschreckend normal heutzutage, oder (lacht)? Ich habe die Bilder auf meinem persönlichen Instagram-Account veröffentlicht und ein Freund meinte daraufhin, ich solle doch eine Ausstellung oder so mit den tollen Bildern machen. Das habe ich abgelehnt, ich meine, ich habe nur ein paar Fotos mit einem alten iPhone gemacht, nichts was druckfähig wäre, und wahrscheinlich würde es ohnehin niemanden interessieren. Aber dann habe ich die Posts mit dem Hashtag #peopleofiraklia versehen, später habe ich kleine Texte dazu geschrieben und irgendwann habe ich es dann als separaten Account angelegt, weil es doch viele Leute interessiert hat und es sich so nicht mit meinem privaten Account mischt. Ich wollte zeigen, wer die Leute auf der Insel sind und was sie so den ganzen Tag über tun.

 

Und dann hast du angefangen Jutebeutel mit diesem Hashtag zu produzieren.
Naja, eigentlich wollte ich hier auf der Insel ein ganz anderes Geschäft aufziehen, aber das ist eine andere Geschichte. Und wer traut sich im Jahr 2020, inmitten der Pandemie schon eine neue Geschäftsidee zu realisieren?

 

Was für eine Geschäftsidee ist das denn?
Das sag ich nicht, das ist natürlich ein Geheimnis (lacht)! Ich möchte ja nicht, dass mir irgendwer diese großartige Idee klaut! Aber es ist nichts, was den anderen Geschäften und Angeboten auf der Insel Konkurrenz machen würde und etwas, das sich gut in den Rhythmus der Insel eingliedert. Ich will bloß nicht, dass das hier so eine Club-Insel wird, es wird also kein schicker Beachclub oder sowas, keine Angst (lacht)!  

 

Alles klar. Erzähl mir nochmal von den Baumwolltaschen.

Also, ich konnte meine Geschäfts-Idee dieses Jahr nicht umsetzen, wegen der Pandemie, und einige Leute, die sonst jedes Jahr auf die Insel kamen, waren dieses Jahr nicht da, weil Flüge wegen Covid storniert wurden. Ich wollte etwas machen, das die Leute an die Insel erinnert, wenn sie im Winter daheim sind. Für die Leute, die die Gemeinschaft hier respektieren und schätzen, die dabei helfen, die Strände sauber zu halten, oder einfach nur Zeit mit ihrer Großmutter auf der Insel verbringen. Also habe ich 100 von diesen Jutebeuteln gekauft, einen Rahmen, Farbe und alles was meiner Meinung nach nötig war, um die Taschen zu bedrucken. Ich habe mit einem Freund ein Design angefertigt und bin dann von Barcelona aus nach Iraklia aufgebrochen. Da hatte ich aber immer noch keine Ahnung vom ganzen Druckverfahren, also bin ich in Athen in einen Kalligraphie-Laden rein und habe mir alles erklären lassen, die haben auch den Rahmen richtig eingestellt. Auf der Insel angekommen habe ich dann ein paar Youtube-Videos angeschaut, die Kommentare gelesen und losgelegt!

 

Und das hat sofort anstandslos geklappt?
Naja, nach drei bis vier Drucken habe ich festgestellt, dass Farbreste auf der Druckvorlage haften blieben, nachdem ich den Rahmen gewaschen hatte. Also habe ich den Typen vom Kalligraphie-Laden angerufen und gesagt: „Alter, meine Druckvorlage verfärbt sich blau, was soll ich machen?“ Er antwortete, ich solle etwas Spülmittel verwenden. Ich antwortete: „Alter, das hab ich natürlich gemacht, aber es hilft nicht!“ Daraufhin empfahl er mir, den Rahmen 20 Minuten in ein großes Gefäß mit Wasser und reichlich Spülmittel zu stellen, woraufhin ich behauptete, dass das wohl keiner machen würde, der mehr als einen Druck anfertigt, weil es viel zu viel Zeit kostet und man dabei schlichtweg verrückt wird, wenn man das nach jedem Druck machen muss. Ich erklärte ihm, dass ich nicht die DIY-Version benötigte, sondern das gute Zeug (lacht)! Daraufhin empfahl er mir schließlich eine spezielle Reinigungsflüssigkeit, die habe ich dann bestellt und beim ersten Öffnen der Flasche sofort einen Asthma-Anfall bekommen, wegen der toxischen Inhaltsstoffe! Aber jetzt wird alles sauber und ich bin total glücklich.

 

Wieviele Taschen wirst du machen?
Ich habe nur 100 gekauft. Der Plan war, die Taschen den Leuten zu schenken, die hierher kommen und nicht hier wohnen, als Erinnerung. Die Leute von der Insel brauchen sie ja nicht, die haben ja ihre Insel, malaka! Aber dann hat mich jemand von der Insel ganz lieb gefragt, ob ich den „People Of Iraklia – Endless Greek Summer“-Schriftzug auf ein T-Shirt drucken könnte. Das habe ich natürlich gemacht, und plötzlich wollten alle ein T-Shirt mit dem Aufdruck (lacht)! Naja, jedenfalls mache ich eine Liste mit allen Namen der Leute, die eine Tasche bekommen haben, wo sie herkommen und wie oft sie auf der Insel waren. Wenn alle Taschen weg sind, werde ich das nicht wiederholen, dann hätte es schließlich seine Bedeutung verloren.

Und wie ist die Staatspräsidentin von Griechenland, Katerina Sakellaropoulou zu ihrem Jutebeutel gekommen?

 

Oh, sie war im Urlaub auf Naxos, weil sie dort Freunde hat und wollte den Kleinen Kykladen einen Besuch abstatten. Sie war auf Kofounissi mit einigen Mitarbeitern und Sicherheitsleuten, um sich das neue Museum dort anzuschauen, und ist dann auch rüber nach Iraklia gefahren. Ein Nachbar kam zu mir rüber und rief, dass die Präsidentin von Griechenland auf der Insel ist! Ich folge ihr auf Instagram und Facebook, weil sie sich intensiv für Menschenrechte und Frauenrechte einsetzt, etwas das in Griechenland zuvor in der Regierung eher unüblich war.

 

 

Du da bist du also los und hast sie gesucht?
Ja, ich bin sofort runter zum Hafen, sie hat dort einige Souvenirs gekauft um die Gemeinde zu unterstützen, und ich habe ihr erzählt wie stolz ich bin, dass sie unsere Staatspräsidentin ist. Und dann habe ich angefangen zu weinen, mir schossen richtig die Tränen raus! Sie hat mich dann erstmal beruhigt und jemanden gefragt, ob er von uns beiden ein Foto machen könnte, auch weil ich vor lauter Aufregung nicht in der Lage war auch nur ein Wort rauszubringen (lacht).

Anschließend sprach ich mit einem ihrer Bekannten und er fragte nach dem „People Of Iraklia“-Shirt, das ich trug, und ich erzählt ihm die ganze Geschichte. Das hat er dann noch vor Ort der Präsidentin erzählt und sie sagte, dass sie auch gerne so eine Jutetasche hätte. Ich habe ihr zwei Stück mit der Post geschickt, das war ziemlich kompliziert, weil sie an ihre Bekannten auf Naxos schicken sollte, und ich natürlich auch einige lokale Produkte wie Fava und Käse und Honig mit ins Paket gepackt habe. Irgendwann bekam ich eine E-Mail von dem besagten Bekannten, dass sie das Paket erhalten habe und sehr gerührt war!

 


Maria “Maro” Zina wurde 1980 in Athen geboren und wuchs in Patras auf. Sie studierte Marketing in Athen und war von 2008-2012 Projektmanagerin für die Zeitung „Athens Voice“. Anschließend arbeitete sie als Social-Media-Advisor. Sie war 2016 als freiwillige Helferin für ERCI auf Lesbos und hat anschließend weitere Flüchtlingshilfe auf dem griechischen Festland geleistet. Ihr erster Besuch auf Iraklia war in der Kindheit mit ihren Elterna auf einem Segelschiff. Seit 2017 kommt sie jedes Jahr für einige Monate auf die Insel, im Winter lebt sie mit ihrem Lebenspartner in Barcelona.