:::Interview

Hendrik Haase von Kumpel&Keule

»Unsere Metzgerei ist auch ein Dialogangebot«

Vor knapp drei Jahren hat  Hendrik Haase mit seinem Kompagnon Jörg Förstera (Metzgermeister und ehemaliger Leiter der Fleischabteilung des KaDeWe) in der in Berlin-Kreuzberg eine Metzgerei eröffnet. Mit trans-parenten Produktionsprozessen und dem Willen, mit den Kunden ins Gespräch zu kommen, haben sie das alte Metzgerhandwerk modernisiert. Ein Gespräch über das Metzgerei-sterben, richtig gute Wurst, Veggie-Produkte und ganz viel Leidenschaft.        Alle Fotos: Olaf Deharde/Kumpel&Keule

 

Von Klaas Tigchelaar

 

Wann und warum habt ihr beschlossen, eine Metzgerei zu eröffnen?

Es gibt das jährliche Festival »Stadt Land Food« für gute Lebensmittel, hier in der Markthalle Neun, wo ich vor zwei Jahren eine „Wurstwerkstatt“ machen wollte, um Würste zu produzieren. Die Metzger-Innung fand das abwegig, weil sie meinten, dass es niemanden interessieren würde. Nur einer, Jörg Förstera, fand die Idee gut, sodass ich mit ihm und den Betreibern der Markthalle die Wurstwerkstatt konzipiert habe. Er hat dann den fachlichen Part übernommen, ich habe das moderiert und ihn interviewt. Das lief so gut, dass sich die Leute tatsächlich eine Stunde lang angeguckt haben, wie Wurst hergestellt wird, und diese dann auch anschließend auch essen wollten. Letztes Jahr haben wir uns dann wieder getroffen, weil ich für mein Buch »Crafted Meat: Die Neue Fleischkultur« noch ein paar Rezepte brauchte und da kam die Idee wieder auf. Jörg war beim KaDeWe zwar ganz zufrieden, wollte aber lieber etwas Eigenes machen und die Markthallenbetreiber wollten ohnehin gerne eine Metzgerei in der Halle haben. Im August 2015 haben wir die Firma gegründet, im September gebaut und im November war schon die offizielle Eröffnung.

 

Wie würdet ihr eure Kundschaft beschreiben?

Natürlich haben wir Kunden, die gerne etwas mehr Geld für Lebensmittel ausgeben und sich freuen, dass sie bei uns geiles Fleisch kriegen. Wir haben aber auch viele Familien, oder ältere Kundschaft, die extra aus Steglitz wegen der Leberwurst zu uns kommt. Generell Leute die ein Bewusstsein für ihre Ernährung entwickelt haben, und bei uns Antworten bekommen. Bei uns bekommen die Kunden auch ohne eine dreiwöchige Vorbestellung ein Schweinenetz, Kalbsbries oder eine Schweinebacke. Und wir haben einen Aldi in der Markthalle, von dem auch Kunden rüberkommen. Die stehen dann mit ihrer Aldi-Tüte an unserer Theke und kaufen Fleisch bei uns ein. Davon wünsche ich mir noch mehr.

 

Also nicht nur klischeehafte Feinschmecker?

Nein, dafür wäre Kreuzberg auch der falsche Ort. Deswegen ist unser Angebot auch nicht nur auf superteure Filetstücke beschränkt. Wir haben eine Einstiegs-Leberwurst, wir haben Buletten, aber wir haben auch Innereien und hochklassiges Fleisch, wo das Steak auch mal 70 Euro pro Kilo kostet.

 

Gibt es denn, abgesehen von der Ladengröße, ein deutliches Merkmal, mit dem ihr euch von anderen Metzgereien abhebt?

Das Verhältnis zwischen Kunde und Metzger ist bei uns ein anderes. Wir freuen uns, wenn jemand mit einer besonderen Bestellung kommt, da klemmen wir uns dahinter und besorgen die entsprechenden Sachen. Und wir haben eine gläserne Produktion, die Kunden können alle Arbeitsschritte der Herstellung verfolgen und jederzeit durch die kleinen Fenster Fragen stellen.

 

Wie lautet das Fazit nach dem ersten Betriebsjahr?

Wahnsinn! Wir sind jetzt schon da, wo wir laut Businessplan erst in fünf Jahren sein wollten. Wir haben zu dritt angefangen und haben mittlerweile zehn Festangestellte. Es ist erstaunlich, wie gut ein Konzept funktionieren kann, wenn man seine Lücke findet. Und es tun sich Luxusprobleme auf, weil wir bald eine neue Produktion brauchen, um mehr Gastronomen beliefern zu können. Momentan müssen wir viele von denen vertrösten, weil wir die Nachfrage gar nicht bedienen können.

 

Ist das bloß eine Bestätigung für ein gutes Geschäftsmodell, oder auch dafür, dass qualitativ hochwertiges Fleisch doch noch geschätzt wird?

Ich glaube, dass wir nach wie vor Aufmerksamkeit erregen, weil wir eben Antworten geben können, über die Produkte, die Herstellung, die Herkunft. Das Verhältnis zwischen Metzger oder Verkäufer, und dem Kunden, der beraten werden möchte. Und die Fernsehteams, die über uns berichtet haben, freuen sich, dass sie hier die Herstellung filmen können, und wir ihnen anschließend den Bauern nennen, von dem das Fleisch kommt und den wir persönlich kennen, wo sie dann später zum Filmen hinfahren. Wir sind offen und suchen auch den kritischen Dialog. 

 

Spielt dabei auch eine gewisse Besessenheit und Neugier eine Rolle?

Na, klar. Ich fliege in ein paar Wochen nach Sansibar zu unserem Gewürzbauern, der die Muskatblüten für unsere Bratwurst liefert. Ich fahre zum Bauern, der unseren Pfeffer erntet – das muss man alles nicht machen, aber es sind Impulse, die wir in der Branche setzen und die auch unsere Kunden erfreuen. Und das sind die Geschichten die drumherum passieren, und die wir über Instagram und Facebook erzählen wollen, weil es spannender ist, als bloß ein dickes Steak vor die Linse zu halten.

 

 

Wieviel teurer sind eure Produkte im Vergleich zu Discounter-Fleischwaren?

 Wir liegen irgendwo zwischen Bio-Einzelhandel und normaler Fleischtheke. Ich gehe zu wenig in den Supermarkt oder zum Discounter, um das jetzt gut vergleichen zu können. Aber natürlich ist die Preisdiskussion immer eine schwierige Sache, das hängt sehr stark mit dem Produkt zusammen. Wir haben ein Einstiegs-Hühnchen von der »Ross Ranger«-Rasse, aus der Nähe von Paderborn für 1,29 Euro pro 100 Gramm, das nicht Bio-zertifiziert ist und im Stall gehalten wird, aber dafür keine Antibiotika kriegt, länger gemästet wird und viel Platz im Stall hat. Auf der anderen Seite haben wir besondere Schwarzfederhühner aus Frankreich für 1,99 Euro pro 100 Gramm. Damit man dem Kunden verschiedene Optionen bieten kann, die unterschiedlich schmecken, aber eben auch unterschiedliche Preise haben.

 

Wie kann man dem Durchschnittskonsumenten am ehesten begreiflich machen, dass man für gutes Fleisch auch gutes Geld ausgeben muss?

 Indem man ihn probieren lässt! Wir haben zum Beispiel unseren Dry-Aged-Burger, der hat einen Rindfleischgeschmack, den du bei foliengereiftem Fleisch einfach nicht bekommst. Und der Kunde überlegt sich dann anschließend, wie gut wohl das Steak schmecken muss, wenn der Burger schon so lecker ist. Vielen Leute haben einfach diesen Geschmack verloren, die wissen gar nicht mehr, wie Fleisch schmeckt. Es macht keinen Sinn, denn Leuten zu erzählen, dass das Fleisch aus Freilandhaltung stammt und es den Tieren gut geht, wenn es schmeckt wie eine Schuhsohle, das funktioniert nicht. Die Leute müssen das geschmacklich verstehen.

 

Fragen die Kunden gezielt nach den Inhaltsstoffen der Produkte?

 Wir versuchen immer zu erklären, was drinsteckt, aber das kann natürlich schnell pädagogisch und fies werden. Deswegen mache ich immer wieder Interviews für unsere Kanäle bei Facebook und Instagram, mit den Leuten, die unsere Schweine halten. Oder Videos von der Weide in Brandenburg, wo unsere Rinder grasen. Um den Leuten zu zeigen, dass dahinter einer Geschichte steckt und die Preisgestaltung transparent zu machen, dass es einen Bauern gibt, der Geld verdienen muss, einen Schlachter, der Geld verdienen muss, und den Metzger am Ende, der auch sein Geld kriegen muss. Dass wir eine faire Lieferkette haben, kann ich zwar auch durch Zahlen belegen, aber ich kann die Leute auch einfach über die digitalen Kanäle mitnehmen und zeigen, wie viel Arbeit in einer Wurst steckt. Und das muss man glaube ich heute auch leisten.

 

Ist die Markthalle Neun, in der ihr eure Metzgerei betreibt, denn ein Ort der gezielt Kunden von Premium-Produkten anzieht?

 Das ist das Klischee. In Deutschland wird immer schnell mit dem Begriff »Premium« hantiert, wenn man für Lebensmittel mehr Geld ausgibt als man beim Discounter bezahlen würde.

 

Aber eure Kunden kommen sicherlich mit einem gewissen Vorwissen und einem gesteigerten Interesse für gute Produkte zu euch…

Ja, aber wir haben eben auch immer mehr Touristen oder Leute die aus Neugier kommen, angelockt durch die regelmäßigen Publikumsmärkte in der Halle. Und bei uns stehen sie dann vor der gläsernen Wand und sehen zum ersten Mal wie die Metzger den Darm aufziehen, wie das Fleisch zerlegt wird und begreifen, dass die Bratwurst tatsächlich im Darm daherkommt. Diese Erkenntnisse vermitteln andere Metzgereien eben nicht in dieser Form.

 

Die Kunden sind also tatsächlich eher neugierig als angeekelt?

 Ja, Erwachsene, aber auch Kinder sind fasziniert und bleiben stehen. Wir hatten noch niemanden an der Theke, der sich beschwert hat, oder angeekelt war. Wir haben auch noch keinen Farbbeutel-Anschlag von Tierschützern oder ähnliches erlebt. Im Vorfeld, als bekannt wurde, dass eine gläserne Metzgerei in die Markthalle entsteht, haben wir einen langen Brief bekommen, von einer Anwohnerin, die eine sehr abstruse und blutige Vorstellung von dem hatte, was in einer Metzgerei passiert, aber sich offensichtlich noch nie damit beschäftigt hatte.

 

 

Was würde passieren, wenn in Deutschland alle Mastbetriebe verglast wären? Würde der Fleischkonsum zurückgehen, wenn Menschen sehen, was in einem Mastbetrieb vor sich geht?

 Ja, die Mär, die immer von Seiten der Veganer verbreitet wird, dass dann niemand mehr Fleisch essen würde. Ich glaube, es geht eher darum, den Leuten weniger, aber dafür besseres Fleisch zu verkaufen. Und mit gläsernen Mastbetrieben würde es vielleicht sogar einfacher werden, den Leuten diese Qualität zu verdeutlichen, was momentan noch schwierig ist. Aber die Schweineweiden, von denen wir unsere Tiere kriegen, die kannst du alle besuchen, da wird nichts versteckt.

 

Wer ist denn schuld daran, dass Fleischkonsum immer öfter mit einem schlechten Gewissen verknüpft wird?

Die Schuldfrage ist schwierig, weil das ein Teufelskreis ist. Zuerst heißt es, die Discounter sind schuld. Deren Betreiber sagen dann wiederum, dass die Kunden nur auf den Preis schauen, weswegen sie so billig produzieren müssten. Woraufhin der Bauer sagt, dass er die Tiere bei den Preisen enger zusammenpfercht, weil er mehr Vieh halten muss. Und dann schimpft der Kunde wieder auf den Bauern, weil er die Tiere schlecht behandelt. Ich glaube, dass Problem liegt aber vor allem in der Entkoppelung, dass der Konsument bei Fleisch überhaupt keine Verbindung mehr zum Tier oder zur Landwirtschaft hat.

 

Ist das ein explizites Problem der Ware Fleisch?

Bei Wein beispielsweise ist das alles viel einfacher, weil allen klar ist, dass es unterschiedliche Qualitätsniveaus gibt, und der Tetrapackwein nicht mit dem »Großes Gewächs«-Riesling vergleichbar ist. Es wird viel mehr über das Produkt geredet, sogar mit einem eigenen Vokabular. Das gibt es beim Fleisch eben nicht, keine Diskussionen über Rassen, Futter, Haltung oder Reifung. Das fehlt und macht es der Supermarktindustrie einfach, Fleisch in Plastikschälchen abzupacken, die gar keine Geschichte mehr erzählen und wo nur noch »Schweineschnitzel« draufsteht. Und wer würde einen Wein kaufen, auf dessen Etikett nur »Rotwein« draufstehen würde?

 

Wenn wir über Fleisch reden wollen, worüber müssten wir dann sprechen?

 Zum Beispiel über den Muskel. Unsere Schweine sind ein bis anderthalb Jahre alt, werden mit natürlichem Futter ernährt, da haben die Muskeln Zeit zu wachsen. Das fünf Monate alte Discounter-Schwein muss jeden Tag 800 Gramm zunehmen, was dazu führt, dass die Muskelfaser so lang ist, dass sie kein Wasser mehr halten kann, sich kein Fett mehr einlagern kann und kein Geschmack mehr entsteht.

 

Sind es auch die logistischen Bedingungen der Shopping-Malls und Einkaufszentren, die unser Kaufverhalten beeinflussen?

Klar, wir leben in einer Supermarktwelt. Erst wenn wir in den Dialog treten, wenn die Kunden fragen, was denn in der Leberwurst drin ist, und eine Antwort erhalten, ist es möglich, aus dieser Welt auszubrechen. Oder Forderungen an den Supermarkt zu stellen, sich zu verändern. Es ist ja schon sichtbar, dass die Food-Bewegung mittlerweile auch im Supermarkt anzutreffen ist, viel mehr Produkte sind Bio und werden mit ihrer regionalen Herkunft beworben. Aber es macht keinen Sinn zu propagieren, dass alle sich jetzt nur noch mit regionalen Bioprodukten ernähren sollten, denn so einfach ist es eben nicht. Jeder muss selbst seinen Weg finden, aber wir regen dazu an, den Dialog zu suchen, und sich nicht bloß nach einschränkenden Siegeln zu richten.  

 

Sich bloß auf Richtlinien und Zertifizierungen zu verlassen ist also zu kurz gedacht?

Es sollte mehr über Essen geredet werden. Das ist etwas, was ich bei der veganen Bewegung auch so schlimm finde, wo viel zu wenige Leute von sich selbst ausgehen, sondern alle irgendwelchen Gurus hinterherrennen. Eine biologische Landwirtschaft funktioniert nur mit Tieren, dass verstehen viele Leute nicht.  

 

»Lang lebe das ehrbare Handwerk« heißt es auf der Startseite eures Internetauftritts. Wie stark seid ihr mit den traditionellen Handwerks-Strukturen wie der Innung verbunden und wie bringt ihr euch selbst ein?

Der Spruch spielt natürlich auf das Berufsethos und das Selbstverständnis an. Aber einbringen ist da ein fieses Thema, Jörg kennt diese ganzen Strukturen ja schon länger und ist auch dementsprechend frustriert. Ich sehe die Strukturen zunehmend auch als verkrustet und verworren an, wo alte, frustrierte Männer beim Fleischer-Verband einen Posten haben, aber auch im Aufsichtsrat eines riesigen Schlachtbetriebs sitzen. Und von Geschlechter-Gerechtigkeit kann man beim Fleischerhandwerk nur träumen. Was für uns das Handwerk bedeutet, ist, dass wir alles in die Hand nehmen und kreativ mit vielen Zutaten arbeiten. Wir haben dreißig verschiedene Bratwurstsorten, die sich im Sortiment abwechseln. Unsere Metzger wollen kreativ von einem halben Tier zu einer Wurst kommen, die schmecken und positives Feedback erzeugen soll.

 

Wäre es denkbar, dass man das Konzept von Kumpel & Keule auf die vom Aussterben bedrohte Dorfmetzgerei überträgt?

Wir haben in einer Stadt wie Berlin natürlich den Vorteil, dass hier viele Menschen und viele potentielle Kunden leben. Aber es kommen viele Metzger aus ganz Deutschland zu uns, um sich inspirieren zu lassen. Und es gibt auch einige Metzger, die moderne Wurst- oder Zerlege-Seminare anbieten. Die Metzgerei »Der Ludwig« in Schlüchtern oder Heiko Brath in Karlsruhe zum Beispiel. Ich kenne aber auch ein paar Metzgereien auf dem Land, die Erfolg haben, weil sie sich öffnen.

 

Haben diese Vorzeige-Beispiele denn auch Einfluss darauf, wie der kleine Metzger auf dem Land überleben kann?

 Ich kann es nur hoffen. Ich sehe uns und Berlin dann vielleicht auch als Abbild dessen, was sich in zehn Jahren überall abspielen wird. Und das betrifft sicherlich auch die Verbreitung von veganen Geschäften. Ich vergleiche es immer gerne mit »Craft Beer«, was von der großen Brauindustrie in Deutschland als Hipster-Trend abgetan wurde. In Münster haben jetzt drei neue Brauereien aufgemacht, in Halle an der Saale, wo die AfD zwanzig Prozent hat und die Arbeitslosigkeit hoch ist, gibt es einen Craft Beer-Store. Das ist also kein Trend für nachhaltig lebende Eliten in Berlin-Kreuzberg, das hat sich weit verbreitet. Auch die Fleischindustrie sollte solche Entwicklungen nicht unterschätzen.

 

Was sind überhaupt die Auslöser dafür, dass immer mehr Metzgereien verschwinden?

 Der Fleischhandel versucht mit dem Supermarkt zu konkurrieren, mit ein Grund dafür, dass wir in den letzten zehn Jahren die Hälfte der Handwerksmetzger verloren haben. Irgendwann ging es nur noch darum, möglichst billig zu sein, und täglich Angebote zu machen. Das haben wir noch nie gemacht, eine neongrüne Tafel, auf der steht: »Schnitzel heute billiger als gestern.« Denn was sagt das dem Kunden, dass ich es gestern zu teuer verkauft habe, um mehr Geld zu machen? Wir verhandeln unsere Preise mit den Bauern, damit jeder sein Stück vom Kuchen kriegt. Außerdem haben die Metzger verlernt, über ihren Beruf zu reden, über ihre Leidenschaft, vergessen zu erklären, wo das Fleisch herkommt. Das ist glaube ich der Grund, weswegen unser Laden gut läuft und wir viele, auch junge Fans haben – weil wir eben genau das tun.

 

Sind die Supermärkte eine Gefahr für das Handwerk?

Auf jeden Fall. Die Angebote im Supermarkte sind losgelöst von allem und funktionieren auch nur, weil das Produkt dort so weit weg ist vom Bauern und der Herkunft. Ich finde es katastrophal, dass die Politik nicht versteht, dass sie zahlreiche Betriebe kaputtmachen, wenn sich ein Discounter am Rand der Kleinstadt ansiedeln darf. Weil der Metzger beispielsweise nicht nur Arbeitsplätze schafft, sondern auch die Stadt am Leben erhält. Dass Lebensmittel einen Kulturwert darstellen, wird leider immer noch zu wenig verstanden, obwohl wir im Ausland immer noch als die Leute aus dem Land der Bratwurst und des dicken Vollkornbrots gesehen werden.

 

 

Merkt ihr denn den Druck, der allgegenwärtigen Supermärkte und Discounter?

Wir merken auf jeden Fall, dass die Fleischwirtschaft immer stärker zentralisiert worden ist. Ich hatte mir das auch einfacher vorgestellt, beim Brandenburger Bauern das Fleisch regional einzukaufen, aber das geht kaum. Es gibt im Berliner Umland kaum noch kleine Höfe, vorwiegend Massentierhaltung mit tausenden von Tieren für billiges Fleisch. Und es gibt keine nahegelegenen Schlachthöfe mehr, weil die auch alle zugemacht haben. Für uns ist es logistisch einfacher, bei einer Erzeugergemeinschaft in Baden-Württemberg zu bestellen, die kennen ihre Weiden, haben eine eigene Schlachterei und eine eigene Logistikstruktur.

 

Abgesehen von den eigenen Burgern – habt ihr dem Fastfood komplett abgeschworen, oder sieht man euch doch auch mal hin und wieder in den frühen Morgenstunden in einer Dönerbude oder bei einer Burgerkette einkehren?

In Berlin sind wir gut versorgt, da kriegt man an einigen Ecken einen halbwegs guten Burger. Jörg und ich sind da aber schon sehr »picky«, weil wir wissen, was mehrheitlich für ein Müll angeboten wird. Ich war noch nie Fan von den großen Ketten, dahin zu gehen wäre für mich eine absolute Kapitulation. Ich will aber jetzt auch nicht als derjenige rüberkommen, der vermeintlich immer sein Gehirn an hat – wenn man mal einen Jieper hat, dann ist das eben so. Im Zweifelsfall esse ich dann lieber Pommes oder etwas Vegetarisches, da muss ich mich nicht immer mit Fleisch satt essen.

 

Was sagt ihr zur Entscheidung des Fleischproduzenten »Rügenwalder Mühle«, auch vegetarische Produkte anzubieten? Ist das finanzielles Kalkül oder tatsächlich ein ehrbares Engagement?

Die kapitulieren vor ihrer eigenen Unfähigkeit. Eine gut gemachte Teewurst ist ein absolut geiles Produkt, da schmeckt die Rügenwalder Wurst im Vergleich wirklich scheiße. Die wissen bei 7.500 landwirtschaftlichen Betrieben, die das Fleisch liefern, auch nicht mehr, wo ihr Fleisch herkommt, machen dann eine Wurst die nur aus Zusatzstoffen, Konservierungsstoffen und schlimmen Aromastoffen besteht und wundern sich, dass die Leute diese Wurst dann als Müll bezeichnen. Die haben selbst am Untergang der Teewurst mitgearbeitet, ihr eigenes Businessmodell kaputt gemacht und wollen jetzt mit der Veggiewurst die Welt retten. Die natürlich auch ein chemisches Kunstprodukt ist. Ich finde, das ist dreist und irreführend.

 

Kannst du dir vorstellen, wie sich die Mehrheit der Deutschen in sagen wir zehn Jahren ernähren wird?

(Überlegt) Ich hoffe, dass die Leute dann weniger Fleisch, aber dafür besseres Fleisch essen werden. Aber die Generation der Millennials (geboren zwischen 1980 und 1999, auch »Generation Y« genannt, d. Red.), zu der wir uns bei Kumpel&Keule auch zählen, treiben diesen Markt der Convenience-Produkte, zu denen ich auch die Veggie-Würste zählen würde, bereits jetzt vor sich her, wie Studien beweisen. Da wird es sicherlich noch einige neue Start-Ups geben, vielleicht im Gemüse- oder auch im Backwaren-Bereich, die Bewegung in den Markt bringen. Andererseits kann zunehmende Armut auch zu einer Zweiteilung der Gesellschaft führen, wie es sie in Amerika bereits gibt. Also die gut ausgebildete Elite, die sich die besten Lebensmittel leisten kann und gesund lebt, sowie die armen, ungebildeten Leute, die nie richtig Kochen gelernt haben und sich schlicht kein gutes Essen leisten können. Das ist meine Horrovision, da will ich nicht hin, die Feinkostläden in New York und die »Food Deserts« auf dem Land, wo es nur ungesundes Fertigessen gibt.

 

 

WEIHNACHTS-SPEZIALFRAGEN

Wie wirkt sich denn eure Tätigkeit als Metzgerei-Inhaber auf das Weihnachtsessen bei der Familie aus?

Also meine Eltern haben schon erkannt, dass sie weniger Fleisch essen, und etwas mehr für bessere Qualität ausgeben sollten. So hat das bei denen angefangen, weil ich meinen Eltern gesagt habe, wenn ich Weihnachten für euch kochen soll, dann will ich gutes Fleisch haben, ich koche da nicht irgendwas. Und dann habe ich recherchiert und einen Hof bei meinen Eltern an der Nordseeküste ausgemacht. Ein Bio-Demonstrationsbetrieb, der hat Galloway-Rinder und Sattelschweine und man kann sich alles angucken und so weiter. Ich habe dann dort das Fleisch bestellt und mit meinen Eltern abgeholt und die waren total begeistert. Letztens haben sie mir erzählt, dass sie jetzt öfter die paar Kilometer dahinfahren und sogar auch neulich auf dem Glühweinfest dort waren. So kann man eben auch etwas Neues in seiner Region entdecken.

 

Stichwort Weihnachtsbraten: Wo sollte man hingehen, um gutes Fleisch zu bekommen?

 In die Metzgerei, die bei der Frage nach der Herkunft mehr sagen kann, als dass das Tier in Deutschland aufgezogen wurde. Sodass man weiß, bei welcher Erzeugergemeinschaft oder bei welchem Bauern der Metzger einkauft und nicht einfach nur beim Schlachthof bestellt. Dass er zur Rasse des Tieres Auskunft geben kann. Beim Rind würde ich wissen wollen, ob die Tiere draußen stehen und auch Gras zu fressen bekommen, oder nur Kraftfutter. Und man sollte Leidenschaft spüren, vielleicht zum Fleisch auch noch ein Rezept oder eine Brat-Anleitung dazubekommen.

 

2016 war eure Eröffnung und damit auch die erste Weihnachtssaison, aus der ihr lernen konntet. Welche Änderungen habt ihr im Weihnachtsangebot für dieses Jahr vorgenommen?

Dieses Jahr haben wir mehr Wild im Weihnachts-Sortiment, gutes regionales Fleisch. Und wir haben den »Falschen Hasen« neu erfunden, einen Hackbraten mit Nüssen, Birne, Thymian und Honig. Die Leute kochen wieder mehr, und wir merken, dass auch durchaus komplexere Sachen bestellt werden. Also entgegen dem alten Trend: Wiener Würstchen und Kartoffelsalat!

 

Merkt ihr, dass die Kunden für die Weihnachtstage mehr Geld ausgeben und – vielleicht auch nur ausnahmsweise – auf hochwertige Produkte zurückgreifen?

Wenn ich mir die Bestellungen anschaue, ja. Aber die Zahl der Festtags-Bestellungen ist bei uns förmlich explodiert, wir haben schon ab dem 13. Dezember keine Bestellungen mehr annehmen können. Wir haben Gänse aus Brandenburg und aus Niedersachsen und unser Kontingent schon sehr früh aufgebraucht. Und natürlich holen wir uns nicht noch schnell 200 Gänse aus Polen und tauen die auf.

 

 

Das Interview wurde im Dezember 2016 geführt und im Stadtmagzin Schnüss veröffentlicht.

 

 

Kurzbio:

 

Hendrik Haase wurde 1984 im Norden Deutschlands geboren und hat in Halle (Saale) Kommunikationsdesign studiert. Er ist Künstler, Autor, kulinarischer Kurator und Wurstelier. Haase engagiert sich für die Slow-Food-Bewegung und schreibt im Internet (wurstsack.blogspot.de) und in Büchern („Crafted Meat: Die neue Fleischkultur“) für die Erhaltung des Lebensmittelhandwerks und des kulinarischen Weltkulturerbes. Er lebt im Berliner Stadtteil Neukölln.