:::Interview
Sophie Hunger

"Ich mochte den Underdog immer mehr als den Prinzen"

Sie hat offenbar keine Lust mehr auf viersprachige Texte, verkopfte Band-Arrangements und die Rolle als ewiger Liebling des Feuilletons. Die in der Schweiz geborene Sophie Hunger hat sich vom intellektuellen Korsett des Folk-Jazz befreit und ließ ihren deutschen Wohnsitz Berlin beim neuen Sound miteinfließen. Herausgekommen ist mit "Molecules" ein modernes, abwechslungsreiches und fast ausschließlich englischsprachiges Album mit vielen Einflüssen der elektronischen Musik. Was die 35-Jährige an der deutschen Hauptstadt schätzt, was Deutsche von Schweizern lernen können und wie sie auf ihrer neuen Tour gegen "diese ewige Effizienz" ankämpft, verrät sie im Interview.

 

"Molecules" stellt eine deutliche Abkehr vom Sound früherer Alben dar. Wie viel hat dieser Stilwechsel mit dem Berliner Nachtleben und tollen DJ-Sets zu tun?

Sophie Hunger: Er hat viel damit zu tun. Aber auch damit, dass ich ein Album machen wollte, welches ich alleine am Computer schreiben konnte. Zum ersten Mal habe ich einen Plan gemacht und mir Regeln auferlegt. Drumcomputer, Synthesizer, Stimme und akustische Gitarre waren die vier Elemente, mit denen ich ausschließlich arbeiten wollte. Zudem sollten alle Texte auf Englisch sein, und ich wollte das Album ohne eine Band einspielen.

 

Hatten Sie das Gefühl, dass Mitmusiker Sie irgendwie behindern?

Bei einer festen Band gibt es ja eine eigene Dynamik, man bekommt immer sofort eine Reaktion auf alles, was man macht. Deswegen war es wichtig, erst einmal alleine am Computer zu arbeiten.

 

Obwohl für Ihre kommende Tour schon einige Konzerttermine ausverkauft sind: Glauben Sie, dass die Mehrheit Ihrer Fans dem neuen Sound folgen wird?

Es ist natürlich sehr schön, dass die Leute mir erst mal blind vertrauen! Aber gerade bei dem Publikum, das von Anfang an dabei war, als ich noch viele Jazz-Einflüsse verarbeitet habe, bin ich mir nicht sicher, ob sie dem jetzt noch folgen wollen. Ich versuche jedenfalls, mich mental darauf vorzubereiten, dass einige Fans enttäuscht sind. Aber meinen Gelüsten zu folgen, das ist letztlich der einzige Weg nach vorne.

 

Sie haben als Diplomatentochter an vielen verschiedenen Orten gelebt. In einem Interview haben Sie dazu einmal erklärt: "Die Idee vom Sesshaft-Werden kriege ich nicht hin." Ist ihr Wohnort Berlin dann also auch bald wieder Geschichte?

Das Problem habe ich mittlerweile gelöst, weil ich drei verschiedene Wohnorte habe! Neben Berlin habe ich auch noch eine Wohnung in Paris und eine in Zürich. In diesem Dreieck bewege ich mich jetzt schon längere Zeit.

 

Fotos: Marikel Lahana / Universal

Für Berlin haben Sie mit "Electropolis" eine Hymne komponiert. Faszinieren Sie die herben Kontraste der Stadt, oder kann Berlin es in Sachen Schönheit doch mit Städten wie Paris und Zürich aufnehmen?

An Schönheit vielleicht schon. Aber nicht, was die Raffiniertheit betrifft (lacht)! Es gibt deutliche Unterschiede beim Essen und bei der Mode. Und auch die Gesellschaftsstruktur unterscheidet sich, es gibt in Berlin ein viel stärkeres Bürgertum, würde ich sagen. Die Stadt wird oberflächlich betrachtet nicht so stark vom Geld dominiert.

 

Das heißt, Ihre drei Wohnorte bilden den richtigen Mix, um genug kreativen Input zu sammeln?

Ja, total! Und ich mochte den Underdog immer mehr als den Prinzen.

 

In "Electropolis" heißt es: "In Deinen Sünden Trost zu finden. Berlin du deutsches Zauberwort." Glauben Sie, die Deutschen haben ein anderes Verhältnis zu ihrer Hauptstadt als beispielsweise die Engländer oder Franzosen?

Ja. Vor allem natürlich, weil es noch gar nicht so lange das Zentrum von Deutschland ist und die Stadt auf eine spezielle Art das ambivalente Verhältnis zum Zweiten Weltkrieg repräsentiert. Danach wurde Berlin geprägt von zwei unterschiedlichen Systemen, im Osten und im Westen. Deswegen ist es schon eine einzigartige Hauptstadt.

 

Berlin hin oder her: Eine auffällige Neuerung auf "Molecules" ist die Tatsache, dass das Album fast ausschließlich englische Texte enthält. Kapitulieren Sie vor der Vorherrschaft der englischen Sprache in der Pop-Musik?

Ich wusste, dass ich mich dem irgendwann stellen muss. Jetzt kann ich mich nicht mehr mit dem Einwand herausreden, dass man meine Musik gar nicht mit anderer englischsprachiger Popmusik vergleichen kann, weil ich ja noch Französisch und Deutsch singe. Und wenn sie mich jetzt in englischsprachigen Ländern immer noch ignorieren, dann bedeutet das etwas, oder (lacht)?

 

Ein paar nicht-englische Sprachfetzen sind aber doch noch übriggeblieben, "Electropolis" hat eine deutsche Zeile, "Cou Cou" hat einige französische Parts ...

Ja, ganz geschafft habe ich es dann doch nicht. Am Ende wollte ich einfach hier und da noch eine weitere Fährte auslegen, weil ich das Gefühl hatte, dass es sonst nicht ganz mir als Künstlerin entspricht. Aber es sollten nur kurze Momente sein!

 

War die Zusammenarbeit als Gastsängerin auf Steven Wilsons Song "Song Of I" ein kleiner Wegweiser hin zum Sound von "Molecules"?

Ja, im Nachhinein bildet das natürlich eine schöne Brücke. Aber in dem Moment, als ich die Einladung bekam, habe ich daran überhaupt nicht gedacht und war im Kopf auch noch nicht am neuen Album dran. Es ist trotzdem lustig, wie sich das im Nachhinein zusammenfügt, es war vielleicht so etwas wie eine Vorspeise.

 

Sie haben auch schon Duette mit Max Herre und dem Ex-Fußballprofi Eric Cantona gesungen. Werden Sie immer angefragt, oder suchen Sie selbst auch mal Partner aus?

Die Zusammenarbeit mit Eric für "La Chanson D'Helene" war meine Idee, das Original stammt von Michel Picolli und Romy Schneider. Die Zusammenarbeit mit Max wurde von ihm initiiert. Damit schloss sich für mich ein Kreis, weil ich als 15-Jährige die ganze Zeit Freundeskreis gehört habe und Joy (Denalane, Max Herres Ehefrau, d. Red.) für mich ein Idol war.

 

Bei Ihrer neuen Tour spielen Sie in einigen Städten mehrere Konzerte hintereinander, aber an verschiedenen Konzertorten. Warum?

Weil es viel lustiger ist! Außerdem wollte ich, dass wir möglichst viele Auftritte spielen, weil wir eine neue Band mit neuen Musikern sind. Und der dritte Grund ist vielleicht ein etwas philosophischer: dass man einen gewissen Widerstand gegen diese ewige Effizienz leisten muss. Aber natürlich ist es auch eine megadumme Idee! Wir hoffen, dass die Leute mitkommen und das auch lustig finden.

 

Bei einem früheren Konzert in Köln haben Sie einmal vom Kauf einer Bassgitarre der deutschen Firma Hofner berichtet in der Hoffnung, dass es das Publikum stolz macht. Stattdessen war es totenstill. Sind die Schweizer unverkrampfter im Umgang mit ihrer nationalen Identität?

Die rechte Schweizerische Volkspartei SVP hat mal eine Zeit lang versucht, das Schweizerkreuz für sich zu vereinnahmen, hat es aber letztlich nicht geschafft. Man kann also auch jetzt noch eine Schweizerkreuz-Fahne aufhängen und wird deswegen nicht sofort als rechtsradikal eingestuft. Die AfD versucht das gleiche in Deutschland mit der Deutschlandfahne - ich kenne diese Spiele aus der Schweiz.

 

Hingen zuletzt während der Fußball-WM denn auch überall Fahnen in den Vorgärten in der Schweiz?

Ja, aber das sagt eben nichts darüber aus, was man politisch denkt. Das ist das deutsche Problem: dass die Fahne mit falschen Werten besetzt ist. Es wäre gut, wenn man dabei nicht denkt, dass jeder, der eine Deutschlandfahne schwenkt, ganz bestimmt ein AfD-Wähler ist. Aber solch ein Stigma für immer verschwinden zu lassen, das erfordert viel Arbeit.

 

[Klaas Tigchelaar]

 

Das Interview wurde im Juli 2018 geführt und erschien u.a. bei msn Unterhaltung.

 


:::Interview
Soulwax

Heimatgefühle und Turntables

Nach ihrem Soundcheck und lange vor ihrem wilden Auftritt beim Kontroll-verlust-Abend namens »25 Jahre Intro Live« in Köln setzen sich Stephen und David Dewaele, alias Soulwax alias 2manydjs, in die Sonne, um über das Auflegen, Rockismen und Sammelleidenschaft zu plaudern. 

Foto: Alex Salinas

 

Ihr habt Ihr habt seit »Nite Versions« von 2005 kein reguläres Soulwax-Album mehr gemacht. Gab das »Transient Program for Drums and Machinery«-Line-up den Ausschlag für die neue Platte?

 Stephen: Letztes Jahr sind wir auf dem Coachella mit James Murphy und dem Despacio Soundsystem aufgetreten, wir hatten noch keine neue Band. Da entstand die Idee eines Line-ups mit drei Schlagzeugern. Wir wollten selbst auf der Bühne mischen und haben für die folgenden Shows neue Songs geschrieben. Das ging uns ziemlich leicht von der Hand. Danach wollten wir die Sachen aufnehmen, uns dabei aber zeitlich beschränken, weil wir Angst hatten, sonst erst in zwei Jahren fertig zu werden. Also haben wir das Album im Januar 2017 innerhalb von zwei Tagen live in unserem Studio eingespielt.

 

Klanglich habt ihr euch vom Alternative-Gitarrenrock entfernt, mit dem ihr 1998 bekannt geworden seid. Ist der Gitarrenrocksound für Soulwax ausgereizt?

David: Ich würde einen Soulwax-Song darauf eingrenzen, dass wir ihn geschrieben haben und Steph singt. 2manydjs ist da viel freier, weil die Musik von jemand anderem die Basis ist, auch wenn wir mit dem Material allerhand anstellen. Bei Soulwax ist es immer vollständig unsere Schöpfung, egal, ob es am Ende ein Reggae-Stück oder elektronische Musik wird.

S: Je länger wir diese Tour machen, desto mehr bekomme ich aber Lust, mal wieder eine Rockplatte zu machen. Wir sind schlecht darin, uns auf eine einzige Komponente zu fixieren, und leider auch schlecht darin, eine Rockband zu sein.

 

Zu eurer aktuellen Tour-Installation, deren Aufbau identisch ist mit dem verwendeten Studioequipment der Platte, habt ihr eine genaue Liste der verwendeten Instrumente und Synthesizer veröffentlicht. Warum?

D: Wir sind große Krautrock-Liebhaber, und bei den Platten von Tangerine Dream oder Klaus Schulze gab es auch immer eine genaue Auflistung der verwendeten Synthesizer.

S: Es ist eine Art Manifest, weil wir nicht alle Synths und Instrumente, die wir besitzen, benutzen wollten, sondern eine gezielte Auswahl, die wir jetzt auch mit auf Tour haben. Es war erneut eine bewusste Beschränkung, die es uns überhaupt ermöglicht hat, diese Album- und Tour-Idee umzusetzen.

 

Ihr seid also fanatische Equipment-Sammler?

D: [seufzt] Ja, schon. Aber nicht nur Equipment. Wir sammeln auch Platten, Bücher, Videos, alles, was uns innerhalb der Popkultur interessiert.

S: Wir machen das schon seit 30 Jahren.

 

Ihr habt in einem Interview mal gesagt, dass ihr mit dem DJen auf der Tour zum zweiten Album angefangen habt, weil ihr es leid wart, jeden Abend das gleiche Set zu spielen ...

S: Wir waren es nicht leid, aber zu der Zeit waren wir als Support von Muse oder Coldplay unterwegs und schon um halb neun fertig mit der Show. Wie also den restlichen Abend gestalten? Wir entschieden uns, Platten aufzulegen, weil wir die Dancemusic zu der Zeit überhaupt nicht cool fanden. Die hatte kein Feeling. Daraus ist 2manydjs entstanden. Zwar kamen neun von zehn Leuten anfangs auf uns zu und sagten, wir sollten lieber fucking Deephouse auflegen, aber für den einen Fan, der unser Set gut fand, für den haben wir das gemacht. Können wir in diesem Club Slayer auflegen und damit durchkommen? Darum ging es.

 

Ist Soulwax denn jetzt wieder eine Band?

 S: Ja, ich glaube, der Kreis hat sich geschlossen. Wir denken tatsächlich gar nicht so viel darüber nach. Es ist ein organischer Prozess, aber vielleicht auch das pure Chaos.

 

Ihr habt Remixe für Künstler wie Gossip, MGMT oder Warpaint gemacht. Bekommt ihr gezielt Anfragen, oder sucht ihr die Künstler selbst aus?

D: Meist ist es so, dass wir bei den Plattenfirmen anfragen, wenn wir der Meinung sind, dass einem Song noch ein bestimmter Kniff fehlt.

S: Es geht auch darum, dass wir die Songs als Remixe in unserem eigenen Set auflegen wollen. Der Hot-Chip-Remix war beispielsweise etwas, was ausdrücklich beim Despacio Soundsystem laufen sollte. Rechtliche Probleme gibt es meist eher mit den Plattenfirmen. Die Künstler sind cool, weil sie wie wir eine große Hingabe zur Musik empfinden und nicht ausschließlich wirtschaftlich denken.

 

Sucht ihr auch für euer Studio selbst die Künstler aus, oder kann jeder bei euch Studiozeit buchen?

D: Wir nehmen nur Leute auf, die wir auf unserem eigenen Label Deewee veröffentlichen.

S: Momentan ist es überwiegend Dance-lastiges Zeug, die jungen Kids wollen eben solche Sachen machen. Wir sind ja eigentlich Indie-Rocker, die aus unerklärlichen Gründen in der Dancemusic gelandet sind. Unsere Roots liegen bei Kyuss und Monster Magnet und solchen Bands. Dieses Ethos steckt auch in unseren DJ-Sets und in den Mash-ups, die wir gemacht haben.

 

Ihr seid als DJs und Musiker viel unterwegs, hegt aber nach wie vor eine große Heimatverbundenheit zur Stadt Gent. Hattet ihr nie das Bedürfnis, woanders zu leben?

D: Wir haben mittlerweile auch ein Zuhause in London gefunden und reisen hin und her. Manchmal ist es deprimierend in Gent, aber da sind eben unsere Roots, und unsere Eltern wohnen dort.

S: Du bist echt deprimiert in Gent?

D: Ja, manchmal schon, wenn ich lange da bin.

S: [lacht] Warum haben wir dann dort unser Studio gebaut und nicht in London?

D: Na, weil wir kein Geld hatten, um es in London zu bauen!

S: Ja, das stimmt auch wieder.

 

Euer Vater Jacky ist in Belgien ein bekannter Moderator. Seid ihr also so etwas wie eine VIP-Familie? Wollen die Leute auf der Straße Selfies mit euch machen?

S: So was wie VIPs gibt es in Gent nicht!

D: Wenn wir oder unser Vater über die Straße laufen, halten die Leute nicht an, um ein Foto zu machen oder ein Autogramm zu verlangen.

S: In anderen Städten passiert das schon mal, in Gent sind die Leute gechillt, deswegen mag ich die Stadt auch so.

 

[Klaas Tigchelaar]

 

Das Interview fand im April 2017 statt und erschien im Musikmagazin intro.