Der Soul wird nachdenklich
Mit erst 22 Jahren ist Joss Stone aus dem englischen Devon beinahe schon eine Soul-Legende. Mit R’n’B- und Soul-Musik aufgewachsen, begann sie ihre Karriere mit 16 Jahren und nach der Veröffentlichung des Debüts „The Soul Sessions“ wurde sie öfter mal in die Ränge von Aretha Franklin oder Janis Joplin gelobt. Acht Millionen verkaufte Platten und vier Grammy-Nominierungen später ist sie nicht mehr nur eine großartige Stimme, sondern auch eine erfahrene Künstlerin geworden, die so ihre Schlüsse aus dem harten Showgeschäft gezogen hat. Das vierte Studioalbum »Colour Me Free« präsentiert Stone derweil als gereifte und souveräne Sängerin und Songwriterin, die stets den nötigen Abstand zum Pop und zum Experiment bewahrt.
Hattest du jemals den Alptraum, irgendwann eine aufgedunsene und zickige alternde Soul-Diva zu werden?
Nein, den hatte ich noch nicht, diesen Alptraum. Aber nun werde ich ihn wohl bekommen, jetzt wo du die Idee in meinen Kopf gesetzt hast (lacht). Nein, ich habe nie davon geträumt, im Alter so eine verrückte Person zu werden.
Die Aufnahmen des neuen Albums »Colour Me Free« sind beinahe zwei Jahre alt und wurden von der Plattenfirma länger zurückgehalten. Ist das Material noch aktuell für dich und freust du dich, dass die Platte nun doch noch erscheint?
(Seufzt) Ja! Jetzt fühlt es sich okay an. Damals war das nicht so schön, dass die Platte nicht erscheinen sollte, aber jetzt ist alles in Ordnung. Die Platte kommt raus, alles klar.
Deine aktuelle Biographie spricht von den »neuen Dimensionen« des Albums. Würdest du eher das Wort »altmodisch« oder das Wort »erwachsen« benutzen, um die Platte kurz zu charakterisieren?
Wohl eher »altmodisch«. Ich finde »erwachsen« klingt so negativ. Es wird normalerweise benutzt, um auszudrücken, dass du nicht mehr jung und dynamisch bist. Ich weiß nicht, ob ich jemals erwachsen werde, ich hoffe es nicht. Ich glaube, dass man am meisten Spaß mit den Leuten haben kann, die sich etwas Jugendlichkeit bewahrt haben, die vielleicht 45 Jahre alt sind, aber 18 im Kopf. Das sind die Leute, mit denen ich gerne rumhänge. Und bei der Musik ist es genau so, das ist eine Abbildung meiner Person. Ich werde vielleicht gefühlsbetonter werden, vielleicht sogar ein wenig abstumpfen auf die Dauer, aber ich hoffe, dass ich nie zu erwachsen werde.
Du hast in der Vergangenheit mit Beth Gibbons von Portishead und Lauryn Hill (Fugees) gearbeitet. Auf dem neuen Album sind unter anderem Nas, Jeff Beck, Raphael Saadiq (Bassist bei Prince) und Sheila E. (Schlagzeugerin für Prince) vertreten. Was ist das besondere daran, Gaststars auf dem Album zu haben?
Ich finde es schön, etwas in Gang zu halten, wenn ich mein Publikum mit den Leuten in Kontakt bringen kann. Ich habe viele sehr junge Zuhörer, Zehnjährige die mir Komplimente machen. Ich will, dass diese Leute Raphael Saadiq kennen lernen, ich will, dass sie von Jeff Beck und Sheila E. Notiz nehmen. Und das werden sie nicht, wenn nicht Leute wie ich ihnen davon erzählen. Ich meine, diese Leute sind Legenden, es wurde schon vor so langer Zeit über sie geredet. Es war eine grandiose Erfahrung für mich, dass sie sich bereit erklärt haben, an meinem Album mitzuarbeiten. Ich bin Sängerin, das ist okay, ich habe mein Platz gefunden, aber deren Arbeitslevel ist so ungemein hoch und intensiv, das sind einfach Genies. Ich weiß gar nicht, ob ich jemals so gut werden kann.
Du scheinst mehr in deiner eigenen Soul-Welt zuhause zu sein, als tatsächlich dem Bild des jungen Popstars für eine junge Zielgruppe zu entsprechen. Fühlt sich das besser an für dich?
Klar. Ich bin froh, dass ich nicht jedes Mal eine Show abziehen muss, wenn ich das Haus verlasse. Ich bin wer ich bin und muss mir keine Gedanken darüber machen. Klar macht es Spaß sich manchmal herauszuputzen und schick anzuziehen und den ganzen Zirkus mitzumachen, auch wenn es irgendwie sinnlos ist. Aber wenn ich Aufmerksamkeit haben möchte, besorge ich mir zwei kantige Türsteher, gehe auf die Straße und schon ist Aufmerksamkeit da. Das geht wirklich einfach.
Wirst du immer noch damit konfrontiert, dass Leute es merkwürdig finden, dass du dich so für Soul, Funk, alten R’n’B und Gospel interessierst?
Als ich Anfing hieß es immer (setzt eine schrille Stimme auf): Du darfst diese Musik nicht singen, du bist doch weiß! Du kannst das nicht singen, dafür bist du zu jung! Du darfst das nicht machen, denn du bist aus England! Es waren immer diese Verbote und Vorwürfe, die ganze verdammte Zeit. Dabei wollte ich einfach nur singen. Aber nun ist Zeit vergangen und es ist plötzlich sehr angesagt, ein Trend beinahe. Es gibt eine ganze Reihe von Mädchen aus England, die Soul-Musik singen, es ist anscheinend nun nicht mehr so sonderbar. Was natürlich auf eine Art toll ist…
…und woran du Anteil hattest…
Ja. Ich bin ja auch froh, dass ich Teil davon war, bevor es ein großer Trend wurde. So konnte ich dem Ganzen vielleicht noch etwas Eigenes mit auf den Weg geben.
Glaubst du, dass Teenager höflicher wären, wenn sie mit Aretha Franklin oder Stevie Wonder, statt mit Gangsta-Rap und Emo-Rock sozialisiert worden wären?
Nein, glaube ich nicht. Ich glaube, dass das Ausmaß an Höflichkeit der Kinder durch ihre Eltern bestimmt wird (lacht). Die Musik hat darauf meiner Meinung nach keinen Einfluss. Ich kenne zum Beispiel Leute, die bevorzugt Deathmetal hören und gleichzeitig sehr zuvorkommende Personen sind. Ein Bekannter, er ist Friseur, steht total auf Screamo, mit Tod hier und Tod da. Wenn er aber nicht gerade Musik hört sagt er so Sachen wie: Oh, das ist aber ganz zauberhaft, dich hier zu treffen (lacht). Natürlich ist Musik eine mächtige und kraftvolle Sache, aber wenn du unverschämte Kinder hast, ist das dein Fehler.
Wie fühlt es sich an, immer Barfuß aufzutreten?
Im Grunde genommen geht es mir darum nicht hinzufallen. Und ich fühle mich entspannter, ohne Schuhe an den Füßen. Ich meine, ich liebe Schuhe, klar, ich bin verdammt noch mal verrückt nach ihnen, Schuhe sind manchmal richtige kleine Kunstwerke. Aber ich trage sie eben nicht gerne. So trete ich fast immer Barfuß auf. Wenn ich mal Schuhe anhaben sollte, dann sind es in jedem Fall Trainers. Ich bin einmal auf hochhackigen Schuhen aufgetreten, das war echt kein Spaß. Ich bin mir dauernd selbst auf die Füße getreten und die Schuhe schmerzten. Das werde ich nicht noch mal machen.
Wie stark interessierst du dich für gerade angesagte Musik? Was hörst du momentan?
Ich mag Paolo Nutini und ich mag James Morrison. Verdammt großartig. Kennst du Paolo Nutini? Er ist super! Er hat diesen Song »Candy«, den musst du dir auf jeden Fall anhören. Er ist Schotte, man hört seinen schottischen Akzent durch, was ich sehr schön finde…
…James Morrison ist jedenfalls eher retrospektiv und nicht übermäßig angesagt.
Naja, weißt du, ich habe ehrlich gesagt gar keine Ahnung, was angesagt ist. Ich besitze keinen Fernseher und kein Radio, und ich möchte die Dinger auch nicht haben. Ich höre zu, wenn andere Leute von Musik erzählen, die sie mögen. Und wenn etwas sehr groß wird, finde ich das auch irgendwann raus, klar. Erst heute habe ich wieder von diesem Mädchen namens Pixie Lott gehört. Ich habe keine blasse Ahnung, wer sie ist. Kennst du sie?
Nein.
Siehst du, dann bin ich wenigstens nicht allein. Aber der Name fällt immer wieder, sie muss gut sein! Angeblich ist sie auch noch recht jung. Aber so läuft das. Jetzt, wo ich immer wieder von ihr höre, werde ich dem nachgehen und mir dann auch anhören. Das mache ich wirklich lieber, als mir den ganzen Müll anzuhören, mich mühsam da durchzusieben.
Du hast im Film »Eragon« mitgespielt, hast die Rolle der Anna von Kleve in der Serie »The Tudors« und warst sogar kurz mal Model für die Marke Gap. Machst du das, weil es dich interessiert, wie die Schauspielerei oder das Model-Business so funktionieren, oder machst du das wegen des Geldes?
(Lacht) Nein, wirklich nicht wegen des Geldes. Eher, weil es mir lustig erschien. Als ich für »The Tudors« gefragt wurde, habe ich spontan ja gesagt, weil ich mir Spaß davon versprach. Das mit Gap ist allerdings schon lange her, da war ich 16. Hat auch Spaß gemacht und ich habe ein paar Jeans umsonst bekommen (lacht).
Neben den eigenen Alben und Auftritten hast du dieses Jahr die britische Nationalhymne bei einem Spiel der National Football League gesungen, bist als Gastsängerin auf einigen Alben zu hören und trittst öfter live mit Coverversionen alter Songs auf. Könnte man sagen, dass du in einer besorgniserregenden Art vom Singen abhängig bist?
Nein, gar nicht besorgniserregend. Eher in einer sehr gesunden, liebevollen Art. Ich liebe es zu singen. Ich liebe es, Musik zu machen, es hat etwas sehr positives. Ich würde aber nicht gerne jeden Tag ein Konzert spielen müssen, denn die Stimme muß sich auch erholen können, sonst tut es weh. Das wäre nicht gut und ich möchte es ja gut machen. Mein Gesang ist nicht gerade schmeichelhaft für meine Stimmbänder, ich bin nicht immer nett zu denen, und manchmal tut das eben weh, dann muss ich mich erholen.
Was ist wohl der verborgene Schlüssel, der den Zugang zum Musikgeschäft erleichtert, außergewöhnliches Talent oder harte Arbeit und Zuversicht?
Du musst wirklich hart arbeiten, sonst wird das nichts. Es gibt so viele talentierte Leute, die zuhause sitzen und nichts gebacken kriegen. Du musst hart arbeiten, sehr hart (lächelt). Du musst die Welt bereisen und du brauchst einen Finanzierer im Hintergrund. Du brauchst heute nicht mehr unbedingt eine Plattenfirma, aber eine gewisse Menge Geld ist unabdingbar, um weiter zu kommen. Vielleicht ist auch ein Independent-Label besser als eine große Major-Plattenfirma. Ich würde diese Wahl treffen, wenn du Musik wirklich in der puren und ehrlichsten Art und Weise machen möchtest. Wenn du bloß berühmt werden willst, gehe zu einer Major-Plattenfirma. Aber naja, wenn du die Arbeit magst, kommt es dir nicht wie Arbeit vor, dann macht es meistens einfach großen Spaß.
[Klaas Tigchelaar]
Das Interview fand im September 2009 in London statt und erschien u.a. in der Mittelbayerische .