:::Interview
Deftones

»My Own Summer« - Mein Song und seine Geschichte

Foto: Frank Maddocks

 

Im April 2016 ist ihr achtes Studioalbum »Gore« erschienen, und in zwei Jahren feiert die Band aus Sacramento, Kalifornien den 30. Geburtstag. Obwohl sie die Stilschublade »Nu Metal« unabsichtlich mit erschaffen haben (und sich davon stets distanzierten), waren die Deftones immer bloß eine sehr bekannte Underground-Band, deren Sperrigkeit und stilistische Variationen den großen Durchbruch vereitelten. 1997 landeten sie mit »My Own Summer (Shove It)« dennoch das erste Mal in den britischen Charts. Sänger Chino Moreno erinnert sich noch gut, wie der Song entstand.

 

Kürzlich habt ihr »Gore« rausgebracht, das achte Album in 28 Jahren Bandgeschichte. Habt ihr das Gefühl, dass sich Gitarrenrock in dieser Zeit grundlegend verändert hat?

Vor allem die Stimmung in der Welt von Rock- und Metal-Musik hat sich seitdem sehr verändert, das Geschäft ist härter geworden. Aber wir haben nie die Art von Musik gemacht, die eine Zeitlang total angesagt war, und dann irgendwann schrecklich uncool wurde. Für uns ist es eher wie eine sehr lange und noch andauernde Metamorphose, die möglichst umfangreich alles abdecken soll.

 

Am Anfang eurer Karriere wurden im Radio noch die Screamo-Parts aus euren Songs rausgeschnitten, Stilmittel, die heute längst gangbar sind. Insofern hat sich die Welt für euch aber auch ein wenig zum Guten entwickelt, oder?

Unsere erste Single war »7 Words«, die wurde vom College-Radio unzensiert gespielt, aber nicht von den großen Sendern. Dort gab es dann Radio-Edits, bei denen alle Screamo-Parts rausgeschnitten wurden. Mir war das zu dem Zeitpunkt nicht so wichtig, ich war nicht der Ansicht, dass sie sich damit an meiner Kunst vergreifen oder so. Ich fand es wichtiger, dass sie es überhaupt gespielt haben. Sechs Jahre später hatten aber dann Bands wie Linkin Park Plattenverkäufe im Multi-Platin-Bereich und durften im Radio ungehindert rumschreien. In der Retrospektive ärgert mich das schon ein bisschen, klar.

 

Glaubst du, dass ihr in all den Jahren prägenden Einfluss bei einigen Bands hinterlassen habt, die später groß rausgekommen sind?

Ja, ich glaube schon. Mir erzählen zumindest immer wieder junge Bands, dass wir sie dazu ermutigt haben, selbst eine Band zu gründen und Musik zu machen. Ich glaube, es gibt nicht so viele Bands, die versucht haben uns zu kopieren, oder überhaupt in der Lage dazu wären. Aber dass wir als Motivation gedient haben, ist auf jeden Fall eine tolle Sache.

 

Warum habt ihr Jerry Cantrell von Alice in Chains für ein Gitarrensolo auf der neuen Platte, im Song »Phantom Bride«, eingeladen?

Der Song war schon so gut wie fertiggestellt, aber wir wollten ihn noch etwas mehr ausarbeiten und hatten die Idee, den damals noch bestehenden dritten Chorus durch ein Gitarrensolo zu ersetzen. Aber ich kann überhaupt keine Soli spielen, Stephen kann es zwar, macht es aber nicht, und so überlegten wir, wen wir dafür fragen könnten. Die erste Wahl fiel auf Jerry, auch weil er seit vielen Jahren ein guter Freund ist. Ich habe ihn per SMS gefragt und er hat sofort zugesagt, dann habe ich ihm ein Demo des Songs geschickt und bekam es mit einer Idee für ein Solo direkt am nächsten Tag zurück und das passte sehr gut. Er hat im Studio dann seine sehr eigene Art des Harmonieverständnisses in ein Solo fließen lassen, was perfekt zu »Phantom Bride« passte. Man hört einen Deftones-Song und plötzlich erhebt sich daraus ein kleines bisschen von Alice In Chains, für uns war das ein riesen Spaß!

 

Ihr wehrt euch ja immer noch ein wenig dagegen, als Mitbegründer des »Nu-Metal« bezeichnet zu werden. Was wäre denn die passende Schublade, in die der Sound von Deftones passt?

Ich glaube, es sollte überhaupt keine Klassifizierung von Bandsounds geben. Man kann es einfach Rockmusik nennen. Es gibt Spuren von Metal, Spuren von Electro und vielen anderen Stilistiken in unserem Sound, aber er basiert eben auf Rockmusik. Als man irgendwann diesen Nu-Metal-Stein nach uns warf, haben wir das ignoriert, weil wir uns nicht über die anderen Bands, die im gleichen Bereich angesiedelt wurden, definieren lassen wollten. Ich glaube wir hatten immer unsere eigene Identität, warum muss alles immer direkt einen Namen bekommen? Sie könnten uns auch ins Country-Genre stecken, das wäre mir egal. Letztlich glaube ich auch, dass die echten Metal-Bands sich eher dadurch beleidigt fühlen könnten, dass wir ihrem Genre angehören sollen, weil wir nicht diese typischen Metal-Stilistiken und Klischees mitbringen, über die sich klassischer Metal halt definiert. Die Metal-Leute verhalten sich da glaube ich auch etwas elitärer als viele Bands aus anderen Genres (lacht).

 

Vor der Veröffentlichung von »Gore« wurden wieder mal die Differenzen zwischen dir und eurem Gitarristen Stephen Carpenter hochgekocht, weil er in einem Interview mit »ultimateguitar.com  sagte, er wollte auf dem  Album anfänglich eigentlich gar nicht mitspielen. Haben diese Streitigkeiten jemals dazu geführt, dass ihr kurz davor wart, die Band aufzulösen?

Nein, nie wenn es darum ging, Musik zu machen. Schlimmer und gefährlicher waren die Zeiten, in denen wir gar nicht miteinander kommuniziert haben. Wir hatten diese Phase zwischen 2002 und 2003, als wir alle eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelt hatten, was sicher auch mit der ständigen Wiederholung zu tun hatte: Platte auf nehmen, auf Tour gehen, immer im Wechsel, Da mussten wir alle mal unser eigenes Leben leben und Erfahrungen machen, die nichts mit dem Bandkontext zu tun hatten. Als wir »White Pony« aufgenommen haben, hat sich Stephen sehr gegen mein Gitarrenspiel gesträubt, er mochte es nicht. Aber letztendlich ist es eine unserer besten und erfolgreichsten Platten geworden, auch wenn Stephen sich diesbezüglich nicht geändert hat und anfänglich immer skeptisch ist. Am Ende des Tages kommen wir dann aber doch wieder alle auf einen gemeinsamen Nenner. Und die Streitigkeiten, nicht nur zwischen Stephen und mir, sondern zwischen allen Bandmitgliedern  sind wichtig, eine gewisse Reibung tut jeder Band gut. Jetzt wo wir älter und ein bisschen weiser sind, bemühen wir uns aber, nie länger als einen Monat am Stück auf Tour zu sein. Und wir leben mittlerweile alle in unterschiedlichen Städten, weswegen wir uns auch nicht mehr so oft sehen. Was gut für die Band ist, weil man die gemeinsame Zeit viel mehr zu schätzen lernt.

 

Wie verteilst du deine Zeit und Energie auf Deftones und deine beiden anderen Bands Team Sleep und Crosses?  

Naja, keine der Bands wird jemals eine Platte ohne mich rausbringen (grinst)! Also habe ich die volle Kontrolle darüber, an welchem Projekt ich gerade arbeiten möchte. Aber wenn man es runterbricht, arbeite ich natürlich die meiste Zeit mit Deftones, da liegt auch absolut die Priorität. Aber es gibt Durststrecken, in denen Deftones nichts machen und da kann ich nicht einfach Zuhause rumsitzen und nichts machen, ich muss kreativ sein und mich künstlerisch stimulieren, deswegen freue ich mich über die beiden anderen Bands, es macht einfach großen Spaß.

 

Das sagt Sänger Chino Moreno über »My Own Summer (Shove It)«:

Das war einer der letzten Songs für das »Around The Fur«-Album, wir waren im Studio in Seattle und fast fertig mit den Aufnahmen. Im Erdgeschoss gab es einen Raum mit einer Tischtennisplatte und Drum-Machines, wo wir immer rumhingen. Das Zimmer lag direkt unter dem Aufnahmeraum. Stephen war oben und probierte auf der Gitarre herum, während ich unten saß. Auf einmal spielte er diesen Riff, der später das Grundelement für den Song wurde. Ich rannte sofort hoch und sagte ihm, er solle das noch mal spielen und loopen. Dann bat ich Chi, eine flüssige, absteigende Basslinie zu dem Stakkato-Riff zu spielen. Schließlich kam Abe dazu und lieferte einen Schlagzeug-Part, innerhalb von ein paar Stunden war der Song fertig. Ich habe auf der Stelle die Lyrics dazu geschrieben, die sich inhaltlich mit dem Apartment beschäftigen, in dem Abe, Stephen und ich zu der Zeit zusammenlebten. Es lag direkt am Wasser, am Puget Sound in Seattle. 

Morgens war es immer wahnsinnig lichtdurchflutet und hell, ich hatte extra Zinnfolie vor die Fenster geklebt, damit wir nach durchfeierten Nächten ein wenig schlafen konnten. An einem Morgen kam früh die grelle Sonne durch irgendeine Nahtstelle, ich wurde wach und war sauer, die Straßen waren menschenleer, und das Licht erzeugte so eine apokalyptische Stimmung im ansonsten dunklen Zimmer. Die gesamte Platte wurde innerhalb von vier Monaten geschrieben, aufgenommen und gemischt, die schnellste Albumproduktion in der Bandgeschichte. »My Own Summer« macht nach all den Jahren noch immer großen Spaß als Song im Liveset und ist deshalb fester Bestandteil bei jedem Konzert. 

 

[Klaas Tigchelaar]

 

Das Interview wurde im Juni 2016 geführt. Passagen erschienen im Musikmagazin intro .