Katja Kullmann
»Ich habe das Glück, meinen Traumberuf auszuüben.«
»Echtleben« von Katja Kullmann erscheint genau zur rechten Zeit. Ihr Verlag ist soeben in die Insolvenz gerutscht und die Autorin eine Journalistin, die
sich in eben diesem
Buch über die Kostenoptimierungen, Verwirrungen und Unzulänglichkeiten
der Medienbranche auskotzt. Von der Erfolgsautorin eines gefeierten Bestsellers zur Hartz-IV-Aufstockerin und zurück. Will
da jemand nun plötzlich Mitleid? In einem eitlen Berufszweig, der sich nie im Traum ausmalen wollte, dass die vermeintliche vierte Gewalt jemals am Kostendruck zugrunde gehen
würde?
Foto: Patrick Ohligschläger
Nach der Pleite des Verlags und dem (auch) dadurch entstandenen Interesse an Ihrem
Buch: War es gute oder schlechte PR für »Echtleben«, dass Eichborn Insolvenz angemeldet hat?
Mit dem Thema »PR« habe ich sehr wenig am Hut. Ich habe ja nicht einmal einen Literatur-Agenten. Und es lässt sich nicht leugnen, dass in der Eichborn-Insolvenz eine ganz absurde Ironie liegt. In meinem Buch geht es ja ganz viel um die bunt schillernde Blase »Kreativwirtschaft« – und dass da vieles schief läuft. Insofern ist diese Episode aus dem »echten Leben« eine schöne Bestätigung
für mein »Echtleben«.
Bekommen Sie noch Geld vom Verlag und können Sie ein weiteres Mal den Mut aufbringen, als Autorin/Journalistin weiterzumachen?
Ich wünsche mir und allen Beteiligten, dass Eichborn diese schlimme Krise irgendwie überlebt. Die
Leute, die dort arbeiten, können nichts für die Pleite und machen ihre Jobs gut. Wie alle Gläubiger
stehe ich nun in Verhandlung mit dem Insolvenzverwalter. Und es sieht so aus, dass wir eine Einigung finden können. Abgesehen davon werde ich selbstverständlich als Autorin weiterarbeiten – das hat mit »Mut« nur sehr wenig zu tun. Ich kann nichts anderes. Und will übrigens auch nichts anderes tun.
Wie nah stehen Sie momentan dem Status der »Aufstockerin«, der Hartz-IV-Bezieherin?
Ganz weit weg davon. Manchmal kommt es mir so vor, als hätten die Leute, die mich jetzt ständig
nach meinem Kontostand fragen, das Buch gar nicht zu Ende gelesen. Viele erzählen die Geschichte
nur zur Hälfte: »Vom Bestseller zu Hartz IV« – aber das Buch geht ja weiter! Und das ist doch im Grunde die Pointe: Dass ich vom dunklen Amt wieder in eine Chefetage »befördert« wurde, als Ressortleiterin in einem Hamburger Magazinverlag. Dort habe ich anderthalb Jahre gearbeitet, bevor ich das Buch schrieb. Aus dieser Zeit habe ich einiges sparen können.
Hat es sich im Nachhinein als unvernünftige Entscheidung erwiesen, mit den Einnahmen Ihres Bestsellers »Generation Ally« ein kreatives und unabhängiges Leben zu führen, bei dem Sie auch
schon mal einen Textauftrag abgelehnt haben?
Nein. Das war, ganz im Gegenteil, sehr vernünftig. Denn ich habe mir in dieser hektischen, unübersichtlichen Zeit, in der wir leben, wenigstens das bewahrt: meinen Stolz, meine Liebe zu meinem Beruf, meine Ernsthaftigkeit – letztlich eben: meine Haltung. Was ich aus den bösen Hartz-
Monaten gelernt habe: Nie mehr möchte ich mit »dem Amt« zu tun haben. Wenn es heute noch
einmal eng würde, würde ich mir eher einen Job als Verkäuferin oder Pizza-Fahrerin suchen, um
über die Runden zu kommen.
Raten Sie jungen Leuten denn davon ab, »irgendwas mit Medien« zu machen, wenn Sie darauf angesprochen werden?
Wenn ein junger Mensch das tatsächlich so sagt, er wolle »irgendwas mit Medien« machen – ach,
dann würde ich sagen: »Frag’ jemand anderen.« Denn »irgendwas mit Medien« ist ja eine völlig
beliebige, oberflächliche Vorstellung von einer Berufstätigkeit. Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe Politik und Soziologie studiert und bin von da aus Journalistin geworden – von einem inhaltlichen Standpunkt aus. Bis heute bin ich der Überzeugung: Man braucht erst mal ein Interessengebiet, eine Leidenschaft – sonst hat man ja gar nichts zu sagen. Die Techniken, die kann man nebenbei oder später lernen.
Wenn Sie sich heute noch mal für einen ganz neuen Lebenslauf entscheiden könnten, welcher wäre Ihr Traumberuf?
Ich habe das Glück, meinen Traumberuf heute auszuüben. Denken und Schreiben nenne ich meine »große Liebe«, mit der ich nie einsam bin. Wie so oft in einer Liebesgeschichte gibt es manchmal halt ein paar Probleme – das ist hier die Finanzierung, wie ich manchmal davon leben soll. Zumal die großen Konzerne die »kreative Arbeit« heute ja am liebsten für umsonst haben wollen. Aber es hat mich nie an meiner Arbeit zweifeln lassen. In gewisser Weise zähle ich zu Deutschlands Superreichen.
Das Interview wurde im November 2011 geführt und erschien in
der schnüss.