Gay Talese
High Notes: Reportagen
Übersetzt von Alexander Weber. Tempo Verlag, 2018, 368 Seiten. VÖ 14.03.2018
Aus der Not eine Tugend machen zu können ist eine ziemlich hilfreiche Fertigkeit für einen getriebenen Autoren. Der 1932 in Ocean City geborene Journalist und Autor Gay Talese hat dies sehr eindringlich bewiesen, mit seinem fulminanten Portrait »Frank Sinatra has a cold« (Frank Sinatra ist erkältet), das er 1966 für den Esquire schrieb (übrigens vollständig im Internet nachlesbar).
Ohne je ein Gespräch mit der mächtigen, einflussreichen und launigen wie launischen Goldkehle Sinatra geführt zu haben, bringt Talese auf knapp 50 Buchseiten ein wunderbares Portrait zusammen, das alle faszinierenden und diabolischen Facetten des großen Entertainers auffächert. Investiert hat er dafür drei Monate intensiver Beobachtungen im Umfeld Sinatras sowie Gesprächen mit der Entourage und der Familie. Esquire erklärte die Reportage 2003 zur besten Geschichte, die jemals im Heft stand.
Eine Menge Journalistenschulen nehmen diese (sowie übrigens noch einige andere Reportagen von Talese) zur Grundlage für guten Journalismus, der seinerzeit auch den »New Journalism« und den literarischen Journalismus entscheidend prägen sollte. Talese steht damit auf einer Stufe mit Hunter S. Thompson, Tom Wolfe und Norman Mailer. »High Notes: Reportagen« enthält nicht nur diese spannende Geschichte, sondern vielmehr einen Querschnitt durch das Werk von Talese, das zuletzt mit dem Buch »The Voyeurs Motel« 2016 hohe Wellen schlug (und 2017 für Netflix als Dokumentation verfilmt wurde). Hier portraitiert Talese den Spanner und Hotelbetreiber Gerald Foos, der jahrzehntelang in seinem »Manor House Motel« in Aurora, Colorado, die Gäste beim Liebesspiel observierte und diese Beobachtungen schriftlich festhielt. Foos zog Talese im Jahr 1980 ins Vertrauen und übermittelte ihm über Jahre hinweg präzise Aufzeichnungen, die Talese erst 2016, nach zähen Verhandlungen mit Foos, zusammen mit einem Psychogramm des Autors veröffentlichen durfte.
Nach einem Vorabdruck im »New Yorker« wurden allerdings Zweifel am Wahrheitsgehalt von Foos Geschichten laut (u.a. geht es auch um einen Mord im Motel, zu dem die Polizei in Aurora keine Unterlagen hat), auch weil dieser das Hotel zwischen 1980 und 1988 gar nicht besaß. Talese distanzierte sich daraufhin von seinem eigenen Buch – der Umgang mit der Wahrheit wird eben komplizierter, je berühmter man selbst ist. Was seinem Ikonen-Status letztlich auch nicht schaden wird. Es wirkt auf eine erfreuliche Weise antiquiert, wie ausführlich, manierlich und pointiert Talese dem Leser Personen wie den berüchtigten Sektenführer Charlie Manson, die Opernsängerin Marina Poplavskaya oder Popstar Lady Gaga näherbringt. Talese zeigt Einfühlungsvermögen und großes Erzähltalent, Qualitäten, die heute, auch durch knappe Budgets und hohen Zeitdruck bedingt, nur noch selten das Licht der Feuilletons erblicken dürfen.
Klaas Tigchelaar // veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 01.05.2018
Thorsten Nagelschmidt
Der Abfall der Herzen
S. Fischer Verlag 2018, 448 Seiten. VÖ 22.02.2018
Ende der 1990er Jahre geht in der Kleinstadt Rheine an der Ems nicht viel. Und im Frühsommer ‘99 muss sich Thorsten Nagelschmidt dort, er ist zu der Zeit 22 Jahre jung, auf einmal mit seinem ›weiteren Leben‹ zurechtfinden. Abitur gemacht, ein Aushilfsjob als Lagerarbeiter in einem kleinen Betrieb für Deko-Artikel, eine Kiffer-WG und die eigene Band, mit der Thorsten Großes vorhat. Was ihn aber tatsächlich umtreibt, ist das Beziehungsende mit Nina.
Einer dieser unausgesprochenen, verdrucksten Brüche, die ihn wütend machen, weil weder er noch Nina sich trauen, mal Tacheles zu reden. Sonst ist nicht viel.
Von diesem ›Nicht viel‹ erzählt Autor und Ich-Erzähler Thorsten Nagelschmidt, in seiner vorgeblich unbedarften, etwas pubertären Art, die jedoch stets durchzogen ist von einer feinen und charmanten Alltags-Poesie. Gedanken wie dieser: »Das war halt alles, was man hatte. Das Miteinander. Da gab’s sonst nichts. Ende der Neunziger, das war ja eine tote Zeit. So ‘ne Zwischenzeit.« Weiterhin durchziehen viele schöne Metaphern dieses Buch, mit Querverweisen zur Punk- und Indie-Popkultur des Jahrzehnts. Denn Nagelschmidt, der zuvor unter dem Künstler- und Spitznamen »Nagel« nicht nur drei Bücher veröffentlicht und zahlreiche Linol-Drucke geschnitzt hat, war, bevor er sein Schaffen unter seinem Geburtsnamen veröffentlichte, vor allem auch Sänger und Gitarrist der von 1993 bis 2009 existierenden und ziemlich guten Punkrockband Muff Potter.
Wie schon in den Vorgängern des neuen Buchs, skizziert er auch in Abfall der Herzen eindringlich und ungeschönt Ausschnitte aus seinem Leben, literarisch minimal aufbereitet. Unterteilt in einen Erzählstrang aus dem Jahr 2015 (er wohnt da, wie im richtigen Leben, mittlerweile in Berlin und recherchiert für einen neuen Roman) und einen zweiten Strang mit alten Tagebucheinträgen aus dem Jahrtausendwechsel, die Übergänge sind fließend. Und die Personen Thorsten Nagelschmidt und Nagel bleiben immer real, durch die Zeilen schimmert stets eine ganz nüchterne Zukunftsangst: »Ein Buch zu schreiben, das ist wie den Atlantischen Ozean in einer Badewanne zu überqueren, findet sogar Vielschreiber Stephen King. Dessen Badewanne müsste man haben. […] Wenn ich diesen Sommer nichts schreibe, weiß ich nicht, wovon ich nächstes Jahr leben soll.«
Trotzdem ist das hier mehr als der zusammengekehrte Abfall seines Herzens, der zum Buch komponiert, das Überleben sichern soll. Die Kluft zwischen Autor und Leser ist sehr klein, die Geschichte ist dicht und unterhaltsam, prahlt nicht mit hochtrabendem Story-Telling oder profunder Weisheit, sondern vor allem mit unerschrockener Ehrlichkeit. Und den dezenten Momenten dreckiger Poesie, die oft auch seine Songtexte erstrahlen ließen.
Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei schnüss 28.02.2018
Tommy Jaud
"Wir ticken doch nicht mehr richtig"
Kunstfigur Sean Brummel und Tommy Jaud © Friedemann Meyer / S. Fischer Verlag.
Mit „Hummeldumm“ landete Tommy Jaud 2010 einen Überraschungserfolg, nun schlüpft er in „Einen Scheiß muss ich“ in die Rolle des amerikanischen Alter Egos Sean Brummel, der ein erfolgreiches Ratgeberbuch über gesellschaftliche Zwänge verfasst hat. Ein Gespräch über Selbstoptimierung, Fitnesswahn, Dogmatismus und Vorzüge der Prokrastination
Von Klaas Tigchelaar
Herr Jaud, welches Ereignis hat Sie dazu gebracht, ein Ratgeber-Manifest gegen das schlechte Gewissen zu schreiben?
Tommy Jaud: Es war eher ein Gesellschaftsgefühl, bei dem ich mich fragte, ob wir alle noch ganz richtig ticken. Das Buch ist quasi Gegenpropaganda. Ich fühle mich
von einem Mainstream-Gesellschaftsstrom der Lebensoptimierung manipuliert, von einer Gesellschaft, die offenbar vergisst, für was es sich zu leben lohnt.
Was waren die Auslöser für dieses Gefühl der Manipulation?
Zunächst ein paar Bücher, die ich gelesen habe, von Dale Carnegie und Napoleon Hill, die alten amerikanischen Klassiker, aber auch modernere
Ratgeber-Sachen.
Der zweite Auslöser waren drei Amerika-Reisen, bei denen ich vor zwei Jahren gesehen habe, wie die Gesellschaft sich dort entwickelt, im Hinblick auf gesunde
Ernährung, optimiertes Zeitmanagement im Alltag und den zunehmenden Regulierungswahn. Es gibt dort beispielsweise ganze Straßenzüge, in denen Rauchverbot herrscht.
Bieten amerikanische Ratgeberbücher denn mehr humoristische Angriffsfläche, oder was war der Grund dafür, einen amerikanischen Autor zu
erfinden?
Ich finde, die Ratgeber-Tradition ist vornehmlich amerikanisch geprägt, auch wenn es mittlerweile natürlich auch viele deutsche Ratgeberbücher gibt. Die
Hintergrundgeschichte der Hauptfigur Sean Brummel, dieses vom-Tellerwäscher- zum-Millionär-Klischee, ist nun mal ein typisch amerikanisches Ding. Außerdem kann ich mir mit einer fiktiven Figur,
die in Amerika lebt, mehr rausnehmen und Dinge sagen, die ich unter meinem Namen nicht sagen könnte.
Aber das Phänomen der Selbstoptimierung ist auch in Europa weit verbreitet…
Klar, solche Sachen passieren auch hierzulande. In Köln, wo man angeblich so liberal ist und die Lebensfreude so hochgehalten wird, wurde ich auch schon nachts vom
Ordnungsamt vor einer Kneipe fotografiert, damit man den Wirt anschwärzen kann, weil die Stadt und Anwohner seit Jahren gegen Feierwütige kämpfen. So was macht mir dann schon Angst.
Beobachten Sie diese verstärkte Reglementierung und Selbstoptimierung auch im eigenen Umfeld?
Diese Phänomene gehen quer durch die Gesellschaft. Aber natürlich habe ich auch Freunde, die sagen, dass sie diese vegane Ernährung jetzt auch mal probieren wollen,
die exzessiv viel Sport treiben… Ich hoffe natürlich, dass das alles nur eine Welle ist und sich in ein paar Jahren erledigt hat.
Und Sie selbst sind völlig unempfänglich für solche Trends?
Nein, letztendlich weiß ich es ja auch nicht besser! Ich muss mich eigentlich selbst schützen, vor zu viel Sport. Das hier ist ein verdammter Tracker (zeigt auf die
Digitaluhr an seinem Handgelenk)! Aber nur so nehme ich ab, ich bin quasi das Gegenteil meines Alter Egos Sean Brummel aus dem Buch (lacht)!
Zwischen all den verlockenden und verdrehten Thesen die Sean Brummel aufstellt, kommt auch eine ernsthaft-nachdenkliche Botschaft durch. Kann ein humoristisches
Buch auch zum Nachdenken anregen?
Ja, ich glaube schon. Die wenigen Personen, die es im Vorfeld lesen durften, haben gelacht, aber auch etwas mitgenommen. Sich nicht zu viel Stress zu machen, zum
Beispiel. Dabei war das überhaupt nicht mein Ziel. Ich wollte ein unterhaltsames Buch schreiben, und am Anfang war es auch gar nicht komisch. Ich hatte beispielsweise Studien rausgesucht,
darüber, was passiert, wenn man zu viel Sport treibt, aber mein Lektor war der Meinung, dass das gar nicht meinem Charakter als Autor entsprach. Weil es nicht komisch war, sondern sich eher wie
eine gut geschriebene, aber ernsthafte Zusammenfassung eines Themas las, dass mich brennend interessierte. Da hatte er natürlich recht und ich musste mich daran erinnern, was ich mit dem Buch
eigentlich will: unterhalten!
Würde das Buch denn in der jetzigen Form auch in Amerika funktionieren?
Das fände ich durchaus interessant, ich glaube aber nicht, dass es so eins zu eins funktionieren würde. In jedem Fall müsste man es adaptieren, aber dafür kenne ich
die USA nicht gut genug. Das wäre eher etwas für einen Autor, der öfter dort ist oder fest dort wohnt, der ist dann natürlich sofort zwei Schritte weiter.
Dazu gab es noch keine Gespräche mit dem Verlag?
Nein. Obwohl es erstmal wie das Buch wirkt, welches von meinen Veröffentlichungen am wenigsten deutsch ist. Wenn man sich als Autor so zurückzieht und aus
amerikanischer Sicht auf unser Land schaut. Aber vielleicht ist es ja gerade deswegen das deutscheste Buch, ich weiß es nicht.
Wobei der Name Tommy Jaud ja auch ein amerikanischer Name sein könnte…
Ich habe als Jugendlicher Leichtathletik gemacht, da wurde ich dann auch vom Stadionsprecher angekündigt: „Auf Bahn sieben, (imitiert einen amerikanischen Akzent):
Tommy Jaud!“ Da hatten die auf den anderen Bahnen immer mächtig Angst (grinst)!
Haben Sie nach Fertigstellung des Buchs immer noch Momente, wo Sie denken, dieses oder jenes Thema hätte auch noch in den Ratgeber reingemusst?
Na klar, ich werde auch gerade komplett wahnsinnig deswegen. Ich lese jeden Tag in der Zeitung etwas, wo ich denke: Oh, Mann, nee, das hätte noch ins Buch gemusst!
Einerseits für Kapitel, die es schon gibt, aber auch für Dinge, die gerade aktuell sind. Jetzt würde ich die gesellschaftlichen Facebook-Heldentaten mit reinnehmen, für die Leute Sachen teilen
und sich dadurch zu besseren Menschen machen, aber eigentlich gar nicht viel tun. Allerdings bin ich nicht so Facebook-Affin, und mein Alter Ego Sean Brummel ist es auch nicht, das kann schnell
lächerlich werden. Viele Themen sind auch einfach deutsch, und über die kann Sean Brummel nicht schreiben.
Welche Quellen, die Sie im Buch zitieren, haben Sie inhaltlich am meisten überrascht?
Ich würde da gar nicht nach den Quellen gehen, es sind ja hauptsächlich populärwisschenschaftlich aufgearbeitete Texte. Mich hat aber überrascht, dass ich zu jeder
Spaßthese, die ich aufgestellt habe, auch den passenden Beleg gefunden habe. Zum Beispiel zu „Man braucht keine Ziele“, oder warum man sich auf keinen Fall vegan ernähren sollte, oder warum Sport
so unfassbar schädlich ist. Manchmal fühlte ich mich wie ein geschmierter, schlechter Wissenschaftler. Drei, vier Tage im Netz, mit verschiedensten Artikeln und Studien, und ich hatte einen Beleg
für einfach jede noch so verwegene These von Brummel. Manche Thesen habe ich dadurch sogar ein paar Tage lang selbst geglaubt!
Zum Hinauszögern von Dingen, also zur Prokrastination, gibt es handfeste Studien?
Ja, tatsächlich. In den englischsprachigen Medien finden sich auch immer schöne Bestätigungen. In der Financial Times stand zum Beispiel ein Interview mit dem
amerikanischen Großinvestor Warren Buffet, der auf die Frage, wann er seine geschäftlichen Entscheidungen treffe, antwortete mit: Natürlich im allerletzten Moment. Es gibt Computeranalysen zum
Tennisspiel von Novak Djokovic, die besagen, dass er sich erst in der allerletzten Sekunde dafür entscheidet, welchen Schlag er spielt. Diese Bestätigungen für meine Spaßthesen, die fand ich
wirklich faszinierend. Man kann aber natürlich auch zu früh mit einer Aufgabe anfangen, und mit zu niedriger Motivation zu viel Zeit darauf verwenden, etwas fertig zu stellen. Deswegen sollten
die Verantwortlichen für den Flughafen Berlin Brandenburg und die Kölner Oper das Buch bitte nicht lesen!
Warum kaufen Menschen Ihrer Meinung nach überhaupt Ratgeberbücher?
(Überlegt) Das klingt jetzt platt, aber ich denke, weil sie Rat suchen. Weil die Instanzen, die bisher dafür zuständig waren, die Kirche, die Gesellschaft oder die
Eltern in dieser Disziplin zunehmend wegfallen. Aber der Trend geht ja weg von den Ratgeberbüchern, hin zum Netz und zum Beispiel schnell zu konsumierenden Top-Ten-Listen. Warum die beste Zeit
zum Arbeiten vor sechs Uhr ist, oder die zehn Fehler, die man beim Duschen macht. Offenbar hält man uns auch schon dafür für zu blöd. Es gibt mittlerweile sehr viel schnelle Angstmacher,
angebliche Ratgeberportale im Netz, die einem sagen, wie man am besten lebt.
Aber helfen diese Ratgeberbücher am Ende tatsächlich weiter?
Ich denke, dass es eher darum geht, eine gewisse Lebenseinstellung zu vermitteln. Letztlich sind ja alle Ratgeber irgendwie positiv behaftet, es wird nach vorne
geblickt und ein Lebensgefühl transportiert, welches eben nicht die Opferhaltung abbildet, die viele Ratsuchende vielleicht haben. Diese Mutlosigkeit aufzubrechen, dafür sind solche Bücher gut.
Ich habe aber auch viele Ratgeber gelesen, bei denen ich nach dreißig Seiten dachte, wenn ich das jetzt alles auch noch machen muss, dann lebe ich ja wie eine Maschine. Dann verzichte ich lieber
auf die Millionen Euro, wenn das der Weg ist, da ran zu kommen.
Gibt es eine strikte Trennlinie zwischen Ihnen und den im Buch verteufelten Lebensoptimierern? Oder gibt es da im privaten Bereich schon ein paar
Überschneidungen?
Teilweise ist das sogar deckungsgleich. Sean Brummel würde sicher nicht drei Mal die Woche Sport machen, Tennis spielen und zu einem Functional Fit-Kurs gehen, um
mit anderen Männern LKW-Reifen umzuwerfen und sich durch Kletternetze zu bewegen. Ich achte darauf, was ich esse und dass ich mir nicht jede Woche fünf Mal die Rübe wegsaufe. Also das Gegenteil
von Sean Brummel. Ich probiere sogar veganes Essen. Nicht oft, aber es interessiert mich halt. Ich stehe also zu Sean Brummel als Propagandist, aber nicht zu jedem seiner Inhalte.
Im Buch heißt es ja auch, dass man bei dem Versuch, sein Leben vollständig nachhaltig umzugestalten scheitern wird…
Die pure Tatsache, dass wir leben ist schon eine Katastrophe! Natürlich kann man sich bemühen, der Umwelt möglichst wenig auf die Nerven zu gehen, aber diesen
Spagat hinzukriegen ist schwierig. Wenn ich beispielsweise nach Los Angeles fliege und dann versuche, den entstandenen Schaden für die Umwelt durch eine Extragebühr zum Klimaschutz wieder gut zu
machen, ist das für mich dasselbe wie einen Liter Diesel in den Rhein zu kippen und dann mit dem Rad zu flüchten, statt mit dem Auto. Ich weiß auch nicht ob ein veganer Triathlet, nehmen wir mal
wieder die Comedy-Beispiele, der jedes Jahr nach Hawaii fliegt und Tonnen von veganer Pasta wegfuttert, für die Umwelt eine geringere Belastung ist, als ich. Das könnte man ausrechnen, aber will
man das?
Geht es bei diesen ganzen neuen Gesundheits-Trends nicht auch immer ein wenig um Dogmatismus?
Ja, und wenn der wegbleibt, dann finde ich es auch wieder interessant. Ich habe als Mensch immer ein Problem damit, wenn man mir vorschreibt, was ich zu tun habe.
Wenn ich aber darf, dann schaue ich mir gerne alles an. Und wenn man freiwillig darauf gestoßen wird, wie lecker man beispielsweise auch vegan kochen kann, ist das völlig in Ordnung. Wenn
andererseits jemand partout kein Fleisch essen möchte, soll er das tun, aber anderen Leuten damit bitte nicht auf die Nerven gehen.
Gibt es ein Ratgeberthema, welches nach Ihrer Recherche alle anderen Themen in seiner Sinnlosigkeit übertrifft?
Ich kann mit den Büchern nicht so viel anfangen, die ganz kleinteilig das ganze Leben regeln wollen. Zur Recherche war ich viel im Internet unterwegs, auf
englischen, amerikanischen und australischen Seiten, da steht natürlich auch viel Schwachsinn. Sachen die runtergebrochen werden, oder schon tausend Mal abgeschrieben wurden, sodass man teilweise
die Originalquelle gar nicht mehr zurückverfolgen kann. (Überlegt) Am schlimmsten finde ich diese Top-Ten-Listen für ein besseres Leben, die einen einfach total rappelig machen, zum Beispiel: „10
Dinge, die Sie als Mann vor 40 gemacht haben müssen!“
Zwei Ihrer Bücher, „Vollidiot“ und „Resturlaub“, wurden verfilmt, für beide haben Sie am Drehbuch mitgeschrieben. Darf man daraus schlussfolgern, dass Sie auch
an einer künstlerisch-vertretbaren Adaption der Bücher interessiert waren?
Natürlich wollte ich einen guten Film haben. Wenn dir als Erstlingsautor jemand anbietet, einen Kinofilm aus deinem Buch zu machen, hast du natürlich Tränen in den
Augen, da geht es erstmal um Schmeichelei und nicht um Geld. Aber ich kann ja selbst gar keinen guten Film machen, ich bin ja ein Autor und keine Filmproduktionsfirma, also kann ich nur versuchen
ein möglichst gutes Drehbuch schreiben. Bei „Vollidiot“ hat mir Christian Zübert beim Drehbuch geholfen, für „Resturlaub“ habe ich das Drehbuch mehr oder weniger alleine geschrieben.
Seltsamerweise gefällt mir aber „Vollidiot“ als Film wesentlich besser. Was vielleicht auch der Grund dafür ist, dass „Hummeldumm“ nach wie vor nicht verfilmt worden ist.
Haben Sie sich da nicht mehr rangetraut?
Naja, wenn man das Buch geschrieben hat, dazu noch eine Hörbuchfassung, und anschließend ein Drehbuch für die Verfilmung, dann ist man rund drei Jahre in diesem
Stoff gefangen. Deswegen wollte ich, dass das Drehbuch zu „Hummeldumm“ mal jemand anders schreibt. Das hat letztendlich leider nicht geklappt, weil die Produktionsfirma bis zum Schluss niemanden
gefunden hat, der das Drehbuch umsetzen konnte. Und irgendwann ist so ein Stoff ja dann auch nicht mehr heiß.
Waren Sie denn inhaltlich zufrieden, mit den beiden Buchverfilmungen?
Mit „Vollidiot“ bin ich ganz zufrieden, mit „Resturlaub“ nicht so sehr. Ich finde, dass Oliver Pocher das gut gemacht hat, er war die richtige Figur für „Vollidiot“
und der Film blieb dem Genre treu. Bei „Resturlaub“ war ich ein bisschen enttäuscht, vielleicht weil ich zu viel wollte, die große amerikanische Komödie. Aber es ist im Nachhinein müßig zu sagen,
wer daran schuld ist, ich selbst als Drehbuchautor, die Regie, die Produktionsfirma, die Schauspieler, das Catering… Das Risiko beim Film ist immer groß, selbst wenn man Regisseur oder Produzent
ist.
Könnte man denn das neue Buch im amerikanischen Stil in Deutschland überhaupt umsetzten, oder müsste man dafür auch tatsächlich in die USA reisen und dort
drehen?
Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht, obwohl es eigentlich noch viel zu früh dafür ist. Es würde auf jeden Fall absolut Sinn machen, das in Amerika zu drehen,
damit es authentisch aussieht. Das wäre ein sehr lustiges Projekt. Aber natürlich muss ich erst mal sehen, wie sich das Buch verkauft, bevor irgendjemand gewillt ist, für eine dazugehörige
Produktion Geld in die Hand zu nehmen.
Kann man den amerikanischen Film-Look nur in Amerika realisieren, oder ist das nicht auch eine Frage des Budgets?
Klar hat das auch mit Geld zu tun, aber ich weiß gar nicht genau, was es ist, das eine Filmproduktion so deutsch macht. Und natürlich wird in den USA auch unfassbar
viel Schrott produziert, wir kriegen ja immer nur die Perlen zu sehen. Und auch bei denen gibt es mal schwache Momente, selbst bei „Breaking Bad“ oder „Better Call Saul“.
Wäre es andererseits denkbar, aus diesem Buch keinen Film zu machen, sondern tatsächlich auf „Vorlesungs-Tour“ mit den Thesen von Sean Brummel zu gehen?
Ja, das ist vorstellbar. Ich habe mir dazu lange Gedanken gemacht, vor allem über die Frage, wer denn da liest, ich oder Sean Brummel. Aber das ist keine leichte Aufgabe, ich müsste mir die Perücke aufsetzen, den Schnurrbart und die Koteletten ankleben und amerikanisches Englisch sprechen, das passt alles nicht so richtig. Denn dann müsste ich als Sean Brummel letztendlich eine Show abliefern, und ich bin weder Stand-up-Comedian, noch Schauspieler. Ich kann aber eine schöne Lesung machen, und Sean Brummel quasi mitbringen, als Foto und mit einer Videoschalte nach Kalifornien zu Sean. Die hab ich im Übrigen schon gemacht und die kommt sehr schräg, weil ich ja mit mir selber sprechen muss.
Welche Angst steckt hinter dem geordneten, optimierten und sauberen Leben, dass sich die Gesellschaft anscheinend immer stärker herbeisehnt?
(Überlegt) Die Angst, die Kontrolle zu verlieren, vielleicht, über das eigene Leben und seine Umgebung. Ich bin auch jemand, der dann am besten funktioniert und am
zufriedensten ist, wenn ich grob weiß, was ich in der laufenden Woche machen muss und warum ich morgens aufstehe.
Hat die Angst auch mit den vielen Informationsquellen zu tun, die uns die Medien heutzutage bieten?
Sicher, je nachdem, über welche Quellen man sich
informiert, bekommt man eben mehr oder weniger Angst. Bizarrerweise kann aber auch das engagierte Nehmen von Angst selbst Angst machen, wie zum Beispiel in den ersten Tagen der
Flüchtlings-Berichterstattung. Da habe ich mich dann bei den Nachrichten schon gefragt: Bin ich denn gerade wirklich der Einzige, der sich fragt, ob wir das tatsächlich alles schaffen können? War
ich nicht, aber es wurde halt nicht vermittelt, die klassische „Schweigespirale“, soviel habe ich aus meinem Studium dann doch noch mitgenommen.
Sind Sie Mitte der 1990er nach Köln gezogen, mit der festen Absicht Comedy-Autor für das Fernsehen zu werden?
Nein, das ist einfach so passiert. Ich habe in Schweinfurt Lokalradio gemacht, noch zu Schulzeiten. Dann habe ich neben dem Studium in Bamberg bei Antenne Thüringen
moderiert, und von da ist ein Kollege zu „RTL Samstag Nacht“ nach Köln gewechselt, das war der Beginn der großen Comedy-Zeit in Deutschland und ich war fasziniert, habe mich aber erst zwei Jahre
später getraut, da mal nach einem Praktikum zu fragen. So bin ich nach Köln gekommen und habe schließlich angefangen, Gags für die Sendung zu schreiben. Obwohl das großen Spaß gemacht hat fand
ich es ziemlich hart, weil da pro Gag bezahlt wurde. Danach folgten die „RTL Nachtshow“ mit Thomas Koschwitz und „Die Wochenshow“, das wurde gut bezahlt. Aber ich bin ein ängstlicher Typ und habe
die Wohnung in Bamberg trotzdem noch zwei Jahre behalten, bevor ich endgültig nach Köln gezogen bin.
Eine Karriere als Schriftsteller war da sicherlich noch unvorstellbar…
Ja, der ausschlaggebende Grund dafür war eine mutige Aktion vom Fischer-Verlag, der Fernsehautoren gesucht hat, um Bücher zu schreiben. Da gab es ein paar
Sachbuch-Ideen, die ich nicht so interessant fand. Aber die grundsätzliche Idee blieb mir im Kopf und dann habe ich dem Verlag ein paar Seiten mit einer eigenen Idee gegeben. Daraus ist 2004
schließlich „Vollidiot“ entstanden, und das Schreiben hat so großen Spaß gemacht, dass ich dabei geblieben bin.
Würden Sie sich mittlerweile also als Schriftsteller bezeichnen?
Mit dem Begriff tue ich mich schwer, das klingt mir zu fein und zu hoch. Ich bin ein Comedy-Autor, das trifft es am besten.
Schreiben Sie denn derzeit noch Comedy-Texte für das Fernsehen?
Im Moment nicht. Ich habe 2013 mal zwei Wochen ein Praktikum bei der „heute-show“ gemacht, aus Spaß, und auch weil ich viele da von früher kenne, das ist wirklich
ein kleiner Kreis. Ich würde gerne wieder ein Format entwickeln, eine Show machen, irgendwas mit komplettem Unsinn. Aber dafür bin ich wohl inzwischen zu weit weg vom Fernsehgeschäft, da müsste
ich mich erst wieder einarbeiten. Ich habe ja noch nicht mal „Fack Ju Göhte“ gesehen (lacht)!
Nach Ihren Büchern „Hummeldumm“ und „Resturlaub“ eine notwendige Frage: Reisen Sie eigentlich gerne?
Ja und Nein. Ich bin nicht so der Abenteuer-Typ, ich brauche eine Zuflucht, in die ich mich zurückziehen kann, um dann von dort aus dann los zu gehen und Sachen zu
entdecken. Deswegen hat die Reise nach Namibia ja auch nicht funktioniert! Das ist wirklich ein schönes Reiseland, aber die Leute im Bus waren einfach eine Katastrophe, die Reisegruppe an sich
hat einfach nicht funktioniert. Ich bin aber trotzdem dankbar für jeden Reisetag, denn daraus ist ja „Hummeldumm“ entstanden (schmunzelt)!
Welche Bedingungen muss eine Reise erfüllen, damit Sie sich wohlfühlen?
Ich muss mich entspannen können und freue mich über gutes Essen. Und ich muss die Sprache halbwegs beherrschen. Zumindest die einfachsten Sätze können, sonst fühle
ich mich als Tourist nicht wohl. Deswegen haben mir die Reisen nach Kalifornien gefallen, für das neue Buch, weil ich die in fließendem Englisch ankacken kann, warum zum Teufel sie mir die
verdammte Rechnung bringen, wo ich doch noch nicht mal den letzten Bissen Steak gegessen habe. Da bin ich, trotz aller kulturellen Unterschiede, den Leuten in Kalifornien näher, als wenn ich im
90 km entfernten Venlo einem Kellner auf deutsch sagen muss, dass ich gerne zahlen möchte, weil ich halt einfach kein Wort niederländisch kann.