Christoph Amend

Wie geht's dir, Deutschland?
Rohwolt Verlag 2019, 221 Seiten. VÖ 22.10.2019

Es geht nicht einfach nur um die anhaltenden Diskursthemen wie Flüchtlinge, Seenotrettung, das Verblassen der Volksparteien, AfD, Klimawandel und Wirsindwiederwer – es geht darum, dass die ganze Welt (und damit auch Deutschland) vor einem gewaltigen Wandel steht.

 

»Wir stehen heute wieder an so einem Punkt, an dem wir aufräumen und Transparenz schaffen müssen«, sagt Designer-Legende Dieter Rams zum Journalisten Christoph Amend bei einem Besuch im Auftrag des ZEITmagazin. Der 1932 in Wiesbaden geborene Rams lässt diesen Satz als jemand fallen, der den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat und ein Gespür zu haben scheint – auch angesichts der Tatsache, dass diese Kriegsgeneration langsam ausstirbt und das Vergessen eine Decke über die Gräueltaten der Vergangenheit legt. Und auch wenn dieses Buch in gewisser Weise als Update zu seinem 2003 erschienenen »Morgen tanzt die ganze Welt: Die Jungen, die Alten, der Krieg« gesehen werden kann, geht es vor allem um die Zukunft des Landes, die Amend mit zahlreichen Gesprächspartnern in unverfänglich-philosophischer Art bespricht.

 

Es sind keine Frage-Antwort-Interviews, eher Begegnungsbeschreibungen mit Zitaten, die mal mehr (Dieter Rams, Herbert Grönemeyer), mal weniger ergiebig (Lena Meyer-Landrut) ausfallen, aber zusammengefasst ein paar klare Denkanstöße liefern, ohne erhobenen Zeigefinger.

 

Zwölf Gesprächspartner, die ihre öffentliche und private Verbindung zum Heimatland vermitteln und manchmal ängstlich sind. Auch der Deutschlandfunk ist dabei, nicht als Person, sondern als Teil des Deutschlands, dem Amend hinterherrecherchiert: »Wer so eine aufregende, existenzbedrohende Geschichte hinter sich hat, der will Nüchternheit und Sachlichkeit, der will keine Morningshow, sondern ›Informationen am Morgen‹.«

 

Ein spannendes Buch ist es geworden, herrlich unaufdringlich und mit einem ergreifenden Lesefluss, der noch lange nachhallt und leise »Obacht!« ruft.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss                                                              18.10.2019



Meşale Tolu

"Mein Sohn bleibt bei mir!": Als politische Geisel in türkischer Haft
Rohwolt Verlag 2019, 192 Seiten. VÖ 23.04.2019

Spätestens seit der medial sehr präsenten Causa Deniz Yücel wissen auch die politisch Desinteressierten, wie es Kritikern des türkischen Präsidenten Erdogan ergehen kann. Doch auch ehemals leise Menschen wie Meşale Tolu geraten ins Visier der türkischen Obrigkeit.

 

Die in Ulm geborene Deutsche mit kurdischen Wurzeln arbeitet als Übersetzerin und Journalistin und wurde am 30. April 2017 von zehn vermummten Polizisten frühmorgens in ihrer Istanbuler Wohnung verhaftet, unter Anwendung grober Gewalt und zum Erschrecken ihres zweijährigen Sohnes Serkan, der daraufhin erst bei Nachbarn, später bei Verwandten unterkommt.

 

Ihr Mann Suat Corlu wurde drei Wochen vorher in Ankara festgenommen, beide Male lautete die Begründung »Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation«. Wie Tolu bei »Markus Lanz« im Fernsehen jüngst feststellte, ist dies der gängige Verhaftungsgrund für Kritiker des Despoten. Tolu hat diese Ereignisse zu einem Buch gemacht, nachdem sie am 18. Dezember 2017 aus Mangel an Beweisen freigelassen wurde, ohne jedoch in ihre Heimat Deutschland ausreisen zu dürfen, was erst im August 2018 genehmigt wurde.

 

Auch ihr Mann ist mittlerweile frei und wieder in Deutschland. Tolu beschreibt in diesem kurzweiligen, aber niederschmetternden Bericht detailliert ihre Verhaftung und die Zeit in einer Zelle mit 24 anderen weiblichen politischen Gefangenen, zu denen sie nach 17 Tagen Haft auch Ihren Sohn holen muss, weil er angefangen hat zu stottern, den Kontakt zu Verwandten abweist, und sich selbst die Schuld dran gibt, dass er nun ohne Mutter und Vater ist.

 

»Wir wollten ihm zeigen, dass die Gefängnistüren für ihn immer offenstehen, deswegen war er auch zwei Mal bei seinem Vater im Gefängnis«, so Tolu bei Lanz. Die Familienkomponente, wie auch die Beschreibung der oft chaotischen Vorgehensweise der türkischen Justiz wirken zwar manchmal etwas aufgesetzt, lassen aber die Wut und Hilflosigkeit erkennen, mit der sich die Familie ausein-andersetzen muss.

 

Ein wichtiges Buch. Denn auch wenn die Regime-Kritik derzeit allgegenwärtig ist, muss man dem Wahn als Leser erst derart nahekommen, um seine Schmerzhaftigkeit zu erkennen.

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss                                                              19.06.2019


Nariman Hammouti-Reinke

Ich diene Deutschland - Ein Plädoyer für die Bundeswehr - und warum sie sich ändern muss
Rohwolt Verlag 2019, 256 Seiten. VÖ 22.01.2019

»Alles Schrott (außer unseren Soldaten)« titelte die Bild Ende Januar 2019, Der Spiegel  legte Anfang Februar 2019 mit »Deutschland abgewrackt – Die Gorch Fock und der Niedergang der Bundeswehr« zu dem Thema nach, über das die Öffentlichkeit vermeintlich längst Bescheid weiß. Das Equipment hoffnungslos veraltet, die Strukturen verkrustet, das Image desolat.

 

Wie gut kommt der Bundeswehr da jemand wie Nariman Hammouti-Reinke zupass, 1979 als Kind marokkanischer Eltern bei Hannover geboren, seit 2005 bei der Bundeswehr und heute Leutnant zur See. Sie war zwei Mal im Afghanistan-Einsatz und ist Vorsitzende des Vereins »Deutscher.Soldat e.V.«. Eine Vorzeigesoldatin, die allen gängigen Klischees widerspricht, die gerne Soldatin ist, und dazu stolz auf ihre Heimat Deutschland. Deswegen bekam sie auch schon vor der Veröffentlichung des Buches große mediale Aufmerksamkeit. Und natürlich ist es gut und wichtig, dass jemand aus dem »inneren Zirkel« mal ein bisschen aus der Munitionskiste plaudert.

 

Leider finden auch diejenigen, die bereit sind, ihr negatives Bild der Bundeswehr ein wenig geraderücken zu lassen, dieses hier eher noch bestärkt. Dass es viel Kameradschaft gibt, dass die Bundeswehr ein vermeintliches Vakuum an Zusammenhalt darstellt, dass es keine Militär-Seelsorger für Menschen mit muslimischem oder jüdischem Glauben gibt, und dass es schwierig ist, den monströsen Apparat mit Veränderungen oder Alternativen zu konfrontieren (wenn frau z.B. aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch ist, dies schriftlich auf der Verpflegungsliste vermerkt und trotzdem Eintopf mit Bockwurst vorgesetzt bekommt).

 

Tiefergehende Betrachtungen, die darlegen, warum die Strukturen so festgefahren sind, was die Skandale heraufbeschwört, mit denen sich die Bundeswehr immer wieder konfrontiert sieht, werden nur am Ende stichwortartig als »Wunschliste« angedacht. Das Umdenken in der Gesellschaft wird dieses Buch, trotz »Bestseller«-Aufkleber nicht bewirken. Eine Kapitel-Überschrift wie »Was läuft schief in der Bundeswehr? Nichts Besonderes, nur das, was auch ›draußen‹ schiefläuft« zeugt da leider von Unwillen, oder schlichter Machtlosigkeit, der Parlamentsarmee ein hoffnungsvolleres Gesicht zu verpassen.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss                                                              15.03.2019