:::Konzertnachlese

Ratttengold live in Köln

»So Punk kommen wir nicht mehr zusammen«

 

7.12.2017, Köln, Jungle


Punk ist hier im Publikum natürlich keiner so richtig. Zumindest nicht so, wie damals im Ratinger Hof in Düsseldorf, anno 1978, oder beim Kleberschnüffeln mit Vivienne Westwood in London ein Jahr zuvor.

 

Aber Punk, diese überstrapazierteste aller Coolness-Vokabeln, die interessiert heute sowieso keinen mehr. Alte Menschen mit gesetzter Statur und Markenschals schauen sich eine Coverband an. Bloß, dass die Coverband namens Ratttengold ihre eigenen Songs nachspielt, mit demselben Personal, aber unter anderem Namen.

 

Die stetigen Namensänderungen einer ähnlichen Band rund um Jens Rachut, von Angeschissen und Blumen am Arsch der Hölle, über Dackelblut und Oma Hans, bis hin zu Kommando Sonne-nmilch und Alte Sau – vielleicht früher einmal das opportune Mittel, den Hype um die eigene Band auszubremsen. Hat nicht funktioniert, weswegen man zum Plan B griff und die eigene Coverband ins Leben rief, die heute Abend unter der Woche immerhin noch gut 200 Leute in den Kölner »Jungle« (ehemals Werkstatt) lockt.

Vorab darf erst mal der Nachwuchs ran, Divakollektiv aus Berlin wirken jünger als sie sind und spielen mit ihrem Quotengitarristen eine wenig glückliche Mischung aus NDW-Ideal-Plagiat und Rotzgören-Punk im Brieftauben-Stil, aufgeschäumt mit überzogenen Rockposen und schüchternen Ansagen. Aber der Vorband-Slot ist bei Ratttengold eh ein unglückliches Plätzchen, wie wir schon im Sommer in Frankfurt/Main erfahren durften, wo sich Hi Tereska ähnlich schwer taten (und dabei auch sonst nicht so richtig überzeugen konnten).

Ratttengold mit Jens Rachut, Gitarrist und Best-Buddy Andreas Ness, Schlagzeuger Armin Nagel und Bassist Wieland Krämer werden öfter von den Sibirischen Falten begleitet, dem unorthodoxen Frauenchor mit Orgel und wechselnder Stammbesetzung, heute Abend lediglich durch Piri und Becci (Rebecca Oehms, die auch bei Alte Sau die Tasten spielt) vertreten. Verwirrend? Ja, muss so. Und nach ein paar Songs ist der Sound am Mischpult auch austariert, der Laden voll und die Stimmung verzückt. Souverän knattert die Band durch eine lange Liste an Veröffentlichungen – Angeschissen gründete sich immerhin schon 1984! –, heute aber mit verstärktem Orgeleinsatz von Becci, oder wie man das Tastending so bezeichnen möchte, weil es auch durchaus charmante, verstimmte Fiepstöne zu erzeugen vermag.

Dieses Instrumentenarsenal mündet auch in einer stärkeren Betonung des neueren Materials von Kommando Sonne-nmilch und Alte Sau (in der Setlist z.B. der Song »Druck«), obschon die Stücke von Dackelblut (»Waschen Gehen«, »Kinder kriegen Kinder«) und Oma Hans (»Tse Tse Fliege«) nach wie vor überwiegen. Der Zugaben-Teil streckt sich in etwa so lang wie der reguläre Konzertteil und findet mit einem spontanen Finale in Form des straff durchgeknüppelten »1976« (u.a. mit der Textzeile »Darum weiß ich auch genau, dass Punk heut nichts mehr wert ist, und alles nur ein großer Irrtum war«) einen souveränen Abschluss.

Wir haben ja keine Ahnung, wie es bei den AC/DC-Coverabenden, oder dem Karaoke-Spektakel mit den besten Prince-Songs so abgeht, da wollen wir niemals hingehen. Zu Ratttengold sollte man aber jeden mitschleppen, der sich schon über den Namen echauffiert. Die Band ist vollends eingespielt, hat den Spaß sichtlich noch lange nicht verloren und mit den Sibirischen Falten und der Orgel eine zeitgemäße Erweiterung erfahren, die Jens Rachut und sein Schaffen erneut äußerst erfolgreich aus jeglicher Wertung herausnimmt.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei intro                                                                                                         22.12.2017


:::Plattenkritik

G-Eazy

The Beautiful & Damned
RCA/Sony Music

So ein Motiv auf einer HipHop-Platte - was G-Eazy da zeigt, darf man durchaus originell nennen. Schürfwunden, Blutkrusten und ein müder Blick im halbdunklen Scheinwerferlicht: Das Cover seines dritten Albums sieht nach klassischem Rock'n'Roll aus und will verdeutlichen, was das Leben auf der Überholspur unaufhaltsam mit sich bringt. Gerald Earl Gillum, wie G-Eazy eigentlich heißt, wirkt erschöpft und ausgelaugt in seiner schwarzen Lederjacke. Und die Querverweise führen noch weiter, etwa im Titel »The Beautiful & Damned«. Ahnt man es bereits? Die Verpackung der CD zählt bereits zum Spannendsten, was diese Platte zu bieten hat.

 

Natürlich: Der Albumtitel nimmt auch Bezug auf den berühmten gleichnamigen Roman des Schrifstellers F. Scott Fitzgerald, der bereits in den 1920er-Jahren ein ausschweifendes Leben führte - in einer Zeit also, als die Klischees des Rockstartums noch gar nicht erfunden waren. Doch der thematische Hochmut, der Hedonismus und eine dicke Lippe mischen sich bei G-Eazy neuerdings auch mit Verzweiflung und Demut. Auf »The Beautiful & Damned« beschäftigt er sich mit sich, der Welt und der wachsenden Diskrepanz zwischen seiner eigenen Persönlichkeit und der Kunstfigur G-Eazy.

Was besonders auffällt an diesem Album, ist die durchaus beachtliche und auch recht lange Liste an Gästen: Unter anderem sind Halsey und A$AP Rocky dabei, außerdem Kehlani, E-40, Charlie Puth, Anna of the North und Son Lux. Dazu gibt es auch noch einen begleitenden Kurzfilm, der das Album bildlich unterstützen soll.

 

Und die Musik? G-Eazy präsentiert auf »The Beautiful & Damned« modernen, fetten, gut hörbaren HipHop-Sound. Zu den Höhepunkten zählen etwa das dröhnend dumpfe Stück »No Limit« (mit A$AP Rocky und einer sehr tight rappenden Cardi B), oder den sehr düsteren und vertrackten Titel »Legend« (ausnahmsweise ohne »Featuring ...«).

 

Die einzelnen Titel wirken über weite Strecken allerdings immer wieder ein wenig beliebig. Als Hörer jedenfalls kommt man nie richtig bei diesem Album an, was auch mit fragwürdigen stilistischen Schlenkern zu tun hat. So lässt G-Eazy beispielsweise kaum einen Track verstreichen, ohne ein abgenudeltes »Yeah« vor seine Reime zu droppen. Das wirkt oft aufgesetzt, und manchmal auch ein bisschen plump. »The Beautiful & Damned« bleibt also nach der Hitflanke der Vorgängeralben deutlich hinter den Erwartungen zurück. Dass G-Eazy ein Rapper ist, der sich eigentlich sehr gut auf Eingängigkeit und progressive Härte versteht, wird hier bestenfalls angedeutet.

 

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei Weser-Kurier                                                                                      22.12.2017


:::Plattenkritik

Sharon Jones & The Dap-Kings

Soul Of A Woman
Daptone/Groove Attack

Wer auf altmodischen Soul und Deep-Funk steht, dem muss man die Musik von Sharon Jones und ihrer treuen Band, den Dap-Kings, nicht ausschweifend erklären. Hier sitzt jeder Trompetenakzent, jeder Schlagzeugfill und jede mit Inbrunst phrasierte Gesangsmelodie von Sharon Jones.

 

Leider starb die Soul-Queen im Jahr 2016 mit nur 60 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs, was dem Titel dieses letzten Albums eine besondere Schwere verleiht. Trotzdem fügt sich ihr Ableben – abseits aller Trauer – beinahe vorherbestimmt in das schwermütige Leid, das einen essentiellen Teil der Soulmusik ausmacht.

 

Dabei wäre Authentizität gar kein Qualitätsmerkmal, dass man bei Jones und den Dap-Kings gemeinhin vermissen würde. Für diese letzten Aufnahmen hat man sich, dem nahenden Finale durchaus bewusst, ein letztes Mal in das House of Soul-Studio in Bushwish/Brooklyn begeben, um die möglicherweise intensivste, beste und anspruchsvollste Platte in der Bandgeschichte auf Achtspurband festzuhalten. Mid-Tempo-Songs wie »Come And Be A Winner« treiben einem da in stillen Momenten beinahe die Tränen in die Augen. Mit dem Wissen, dass Sharon sich nur dann vor das Mikrofon stellen konnte, wenn sie wirklich bei Kräften war. Und mit dem Ergebnis dürften alle ziemlich zufrieden sein, ein mitreißend-intensives Abschiedswerk in allerbester Soul-Tradition.

 

 

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei Schnüss                                                                                                          01.12.2017


:::Plattenkritik

Dillon

Kind
PIAS/Rough Trade

Zum Auftakt erst einmal die eigenen Indiepop-Skills austesten. Der Titeltrack präsentiert nämlich den Tocotronic-Kopf Dirk von Lowtzow als Gesangs-Partner, der die kuschelig-morbide Stimmung des Albums kurzfristig durchbricht.

 

 

Alles fängt mit dem Song »Kind« an und endet plötzlich und abrupt, nach viel zu kurzen 33 Minuten mit »2. Kind«. Ja, ein sanfter wie alberner Humor inmitten der klassisch und anspruchsvoll flankierten Klavier-meets-Beats-Kompositionen der aus Brasilien stammenden Sängerin ist also durchaus vorhanden. Und man darf das Wort sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache verwenden, denn beide Bedeutungen sind auf diesem Konzeptalbum über die Liebe relevant.

 

Einmal mehr bedient Dillon sich auch der portugiesischen und deutschen Sprache für ihren spröden aber liebevollen Gesang, dessen Aura sich längst von Vergleichen mit Lykke Li oder Tori Amos verabschiedet hat. Lädierte Songs mit unperfekten Sounds, die nicht der theatralischen E-Musik nacheifern, sondern frische Emotionen transportieren, ehrlich gemeint und ein wenig herzergreifend. Auch wenn die elektronische Seite etwas vom knarzigen Hausklavier verdrängt wird, ist Dillons Spontanität weiterhin das bindende Glied für diesen ereignisreichen Klangkosmos, der auch mal behäbig in sich hineinlächelt.

 

 

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei Klenkes - Aachener Stadtmagazin                                              07.12.2017


:::Plattenkritik

Locas In Love

Saurus X
Staatsakt/Caroline

 

Zehn Jahre ist es nun her, dass die Kölner Band ihr Album »Saurus« veröffentlicht hat. Von Kritikern gemeinhin für gut befunden, verdichtet die Indie-Pop-Band um Björn Sonnenberg, Jan Niklas Jansen und Stefanie Schrank auf dem von Peter Katis (Interpol, The National) gemischten Zweitling ihre breitgefächerte Schrammelverliebtheit zu einem kompakteren Popsound.

 

 

Und da nun Weihnachten vor der Tür steht, wo mit Re-Issues aus allen Rohren auf den verbliebenen Plattenmarkt geschossen wird, gibt es auch von diesem Album eine Neuauflage. Aber es wäre ungerecht, der »besten unbekannten Band des Landes« ausschließlich kommerzielle Absichten zu unterstellen. Denn zum einen ist das Album nun erstmals wieder auf Vinyl verfügbar. Zum anderen sind neben den zwölf Originalsongs jede Menge schöne Goodies enthalten, die zur Not auch den mitunter langgezogenen Bescherungsterror an Heiligabend vergnüglich ausfüllen können (mit dem Album auf Kopfhörer natürlich): Unveröffentlichtes Bildmaterial, die gesammelten Tour- und Reiseberichte aus der Saurus-Zeit (40 Seiten), Linernotes aller Bandmitglieder sowie ein Songbook mit allen Texten und Akkorden zum Nachspielen. Das Songmaterial, mit Hits wie »Commandante« oder »Monkey« hat nach wie vor ausschließlich deutsche Texte und fühlt sich genauso angenehm zeitlos an, wie es schon damals als »reduzierter Bombast« mit einer Mischung aus Naivität und Detailversessenheit zu punkten wusste. Kann man mit gutem Gewissen kaufen, behalten und/oder verschenken.

 

 

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei Schnüss - Das Bonner Stadtmagazin                                              01.12.2017