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Fjørt

»Genügend Gründe für Klartext«

Das berüchtigte dritte Album ist für die Post-Hardcore-Band aus Aachen kein gefürchteter Endgegner, sondern die Möglichkeit, alles auf eine Karte zu setzen. Fjørt haben ihren Sound verdichtet, klingen aber vielseitiger als zuvor. Die deutschsprachigen Texte zeigen klare Kante zu den sozialen Umstrukturierungen unserer Gesellschaft. Klaas Tigchelaar hat nachgefragt.

 

Es fühlt sich gut an, wenn plötzlich alles zusammenkommt. Chris Hell, David Frings und Frank Schophaus starteten im September mit einem beklemmenden Live-Stream aus einem stillgelegten Hotel die Werbetrommel für ihr drittes Album »Couleur«. Tatsächlich packt dieser Videomitschnitt die vielschichtige Definition des Fjørt -Sounds bei den Haaren – düster, brachial, mit viel Platz für Zwischengedanken – und trifft dabei auf clevere, durchaus technisch-versierte Arrangements, die auf dem Vorgänger »Kontakt« noch nicht so stilsicher ausdividiert wirkten. Jetzt erinnern Fjørt für kurze Momente gar an internationale Größen wie Mogwai.  

Von ihrer Plattenfirma Grand Hotel Van Cleef werden sie derzeit vor allem mit Textausschnitten des Songs »Raison« gepusht: »Ich bin so müde vom Zählen, ich habe 1933 Gründe, schwarz zu sehen. Doch egal, wie viel da kommt, ich hab alles, was ich brauch, denn die 1933 Gründe, ihr habt sie auch.« Eine Meinung zu vertreten ist Ende 2017 durchaus relevant, die Hintergründe zu kennen ebenfalls, auch wenn man sich des Einverständnisses der eigenen Fans sicher sein kann. »Es ist wichtig, Multiplikatoren zu bilden, damit die Zuhörer das auch in ihren Freundeskreis und ihr Arbeitsumfeld hinaustragen«, meint Bassist David. »Im besten Fall führt es dazu, dass Sprüche wie ›Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber ...‹ einfach nicht mehr geduldet werden.«

Natürlich sind Fjørt keine Band, die auf der Konzertbühne »Nazis raus« skandieren muss, sich zu positionieren ist aber dennoch ein Anliegen. Erst recht, wenn der Bekanntheitsgrad kontinuierlich wächst, was wohl auch mit den veränderten Hörgewohnheiten der Leute zu tun hat, die bei »solcher Musik« vor einigen Jahren noch weggehört hätten. »Bands wie Escapado, Yage oder die Eaves aus Aachen machten Anfang 2000 laute, harte und doch musikalisch attraktive Musik, sind aber nie aus ihrem kleinen Musikbereich rausgekommen, weil sich damals nicht genug Leute dafür interessiert haben«, so David.

Breite Akzeptanz ist Balsam, ohne dass das Trio mit einer gesunden Verbundenheit zu seiner »verschlafenen« Heimat Aachen einen konkreten Masterplan für die eigene Bandzukunft mit sich herumtragen würde. Die Festivalsaison 2017 hatte erstmals Bühnen für sie im Angebot, die Chris »groß wie Flugzeugträger« vorkamen, erste Dates der kommenden Tour sind ausverkauft. Da ist zwar noch Luft nach oben, die wird jedoch mit Bedacht geatmet. Die Verquickung von tiefgründigen deutschen Screamo-Lyrics, spannendem Post-Hardcore-Sound und einer sympathisch-bodenständigen Anspruchshaltung sind dabei der wahre Widerhaken im Brett, das die Band auch 2018 wieder auf viele Bühnen bringen wird.

Klaas Tigchelaar / Foto: Andreas Hornoff // veröffentlicht bei intro                                                          13.11.2017