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Beck

Colors

Capitol / Universal

Bei Beck Hansen darf man keinen Stillstand und keine Saturation erwarten. Das verhuschte Chamäleon des Slacker-Pop serviert diesmal smarten Dance-Pop für die Schaumpartys der vermeintlichen Bildungselite.

 

Im Jahr 1996 zündete Beck mit »Odelay« eine schrammelige Lo-Fi-Glitzerkanone, voll mit genialen Samples, Stilen und Zitaten, um die satt gefressene Musikwelt aus dem Untergrund heraus aufzumischen. In der Folge testete er weitere Styles im Pop-Kosmos und hielt mit dem feinen und seelenruhigen Folk-Pop-Album »Sea Change« (2002) auch mal an Standards fest. Dass es nach sechs Jahren Album-Abstinenz im Jahr 2015 aber direkt zwei Grammys für »Morning Phase« gab, setzte dem Musikzirkus und dem konsterniert aussehenden Beck aber die Krone auf.

»Colors« greift nun wieder die unberechenbare Spontaneität von »Odelay« auf, allerdings ohne Samples und mit einem starken Hang zu tanzbarem Chartsgetöse. An der Grenze zur Ironie groovt sich Beck zwischen Disco, Electro und R’n’B in die fremdelnde Dance-Pop-Abteilung. Musiktheorie, die im Radio als plärrende Nerverei auf Heavy Rotation läuft, erstrahlt in Becks Händen nunmehr als smartes Partygold. Die Hoffnung, Beck würde nun nicht nur die Grammys, sondern auch die Charts erobern, wird wohl trotzdem ein Wunschtraum bleiben. Was schade, aber auch ein wenig beruhigend ist.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei intro                                                                                                       20.10.2017


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And So I Watch You From Afar

The Endless ShimmeringSargent House/Cargo

Wenn deine Playlist die Musikrichtung Mathcore anzeigt, dann wird es anstrengend. ASIWYFA sind quasi in der Premier League des wütenden Taktverknotens und polieren selbstbewusst wie verdient an ihrem Status.

 

Neue Stilmittel, Einflüsse oder Reisemitbringsel, die den Sound der nächsten Platte optimieren? Kann man bei ASIWYFA definitiv vergessen. In Belfast wird weiterhin an ungeraden Rhythmen, überbreiten Gitarrenbrettern und kleinen Melodiefetzen im instrumentalen Kopfrechner-Universum getüftelt. Wer will da überhaupt mehr erwarten als einen musikalisch aufreibenden Mindfuck, wie ihn die Iren seit 2005 nahezu perfektioniert haben? Spannend bleibt es auch weiterhin, zwischen angedeuteten Rockismen fliegen süße Gitarrenlinien umher, die kurzerhand von einem grollenden Schlagzeug-Bass-Getöse platt getreten werden


Durch den konsequenten Verzicht auf Gesang wird der musikalische Rausch noch intensiviert, ohne jemals zum Horrortrip zu mutieren. Mehr denn je vermittelt eine wohldosierte Portion Melodiegefüge den Kompositionen eine gewisse Zugänglichkeit, die festhält und zum nächsten unerwarteten Break mitzieht. Trotzdem ist das noch ziemlich kompliziert und bleibt weiterhin völlig bewusst eine Nischenerscheinung. Aber eine voller Entdeckungen, Ideen und genialer Arrangements, die kaum eine andere Band des Mathcore so einleuchtend zu vereinen weiß.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei intro                                                                                                       20.10.2017


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Girls In Hawaii

NocturnePIAS/Le Label/Rough Trade


Manchen Bands scheint das Songmaterial einfach so aus den Fingern zu fließen. Die Belgier Girls In Hawaii nehmen sich gerne etwas mehr Zeit und bringen ihren traurig-kuscheligen Indie-Pop dann ohne Umschweife auf den Punkt.
 
Ja, traurig sind Girls In Hawaii immer noch. Aber diesem perfektionistisch zusammengefügten Pop-Sound aus Synthies, Gitarren, vielschichtigen Gesangslinien und trägen Melodien wohnt gleichzeitig eine aufmunternde Fröhlichkeit inne, die auf dem mittlerweile vierten Album der Band zehn stimmige Songs ausgespuckt hat.

Vielleicht gründet gutes Songwriting hier auch auf einer entspannten Unaufgeregtheit, die dem Belgier eher zu eigen zu sein scheint als dem abgeklärten Briten oder dem polternden Amerikaner. Erneut hat Luuk Cox das Album produziert, das Cover-Artwork basiert auf einem Gemälde des Engländers Tom Hammick, welches von den Jungs sofort als Abbild ihrer Musik und Weltanschauung definiert wurde. Die äußere Betrachtung ist ein wichtiges Thema auf diesem Album, Beobachtungen in einer sich verändernden Welt, die selten ihre gute Seite zeigt, was von den Girls auf abstrakte Weise textlich verarbeitet wurde.

Musikalisch greift die Band durchaus auch mal tief in die Referenzkiste: Midlake, Grandaddy, Synthie-Pop der 1980er und ein bisschen Krautrock finden in Belgien ein neues gemeinsames Zuhause, in dem man hoffnungsvoll und sehr überzeugend besseren Zeiten hinterherträumt.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei intro                                                                                                      20.10.2017


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Kakkmaddafakka

HusThe Nordic Mellow/Rough Trade

Das Eigenheim ist der wichtigste Ort der Welt – sofern man an Werbeslogans glaubt. Für kuschelige Hausmusik tut es aber wohl auch ein gemietetes Objekt, Hauptsache, es steht in Bergen und hat ein rotes Dach.
 

So viel triviale Verwirrung packt das Sextett freimütig zu seinen Songs dazu, vielleicht auch, weil man in Bergen in den langen Wintern viel Zeit zum Gedankenspinnen hat. Die Musik zeigt sich davon recht unbeeindruckt: Kakkmaddafakka stehen nach wie vor für knuddelig-schrammelige Indie-Pop-Hausmusik, geprägt durch die manchmal recht dünnen Stimmen von Axen Vindenes und Stian Sævig. Und obwohl das alles harmlos klingt, feiert die Band ihre fröhliche Unbeschwertheit mit Chören, Rasseln und ein wenig Naivität intensiv ab. Damit zementieren sie zwar keinen Meilenstein, erzeugen aber mindestens eine prima Berieselung für den Hintergrund.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht bei intro.de                                                                                                 20.10.2017


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Liam Gallagher

As You WereWarner

Wie war das - »Don't Look Back In Anger«? Auf seinem ersten Soloalbum gibt sich Liam Gallagher, der sich über Jahre einen Ruf als rüpeliges Großmaul erarbeitete, erstaunlich selbstkritisch und geläutert.

 

Während die Liebe zur Ex-Frau Nicole Appleton für ehrliches Textmaterial auf »As You Were« sorgt, bleibt die Musik stets in der Nähe des alten Flaggschiffs Oasis, das Liam nur zu gerne wiederbeleben würde.

 


Vielleicht wird durch geballte Rückschläge sogar der ehemaligen Oasis-Sänger irgendwann weich und nachdenklich. 2014 trug Liam das Oasis-Nachfolgeprojekt »Beady Eye« frustriert zu Grabe. Im selben Jahr endete offiziell auch die Ehe mit der früheren All-Saints-Sängerin Nicole Appleton. Auslöser hierfür war Liams medial ausgeschlachtete Affäre mit der Journalistin Liza Ghorbani, mit der er obendrein ein Kind zeugte.

 

 

Wenn sich Liam nun als plötzlich braver Popstar gibt, so haftet dem natürlich auch ein bisschen Inszenierung an. Erst kürzlich bekräftigte der 45-Jährige in der englischen Zeitung »Independent«, dass auf »As You Were« seine bisher ehrlichste Musik zu hören sei. Und natürlich ließ er nicht unerwähnt, dass er eigentlich viel lieber ein Oasis-Album aufgenommen hätte. Ob daraus noch etwas wird? Schließlich geht der ältere Bruder Noel (50), der den gemeinsamen Oasis-Welterfolg mit größerer Distanz zu betrachten scheint, inzwischen aus Überzeugung eigene Wege.

 

 

 

So oder so: Bei Liam haben die vermeintliche Altersmilde und die Zwangs-Selbstständigkeit künstlerisch einen Fortschritt erwirkt. Erstmals hat er sich nicht nur als Texter, sondern verstärkt auch als Songwriter und Produzent mit eingebracht. Trotzdem klingt »As You Were« wie ein alter Bekannter: Immer wieder tauchen Harmonien und Gesangslinien auf, die stark an Oasis erinnern. Aber was gestern gut war, muss heute nicht völlig daneben sein. »Bold« jagt mit einem choralen Refrain besonders eifrig den alten Erfolgen nach, während ein ruhiger Song wie »Paper Crown« sich eher an die Beatles anlehnt.

 

 

Würde hier also nicht bloß Liams Name draufstehen, sondern die Trademark der vereinten Gallagher-Brüder, könnte man »As You Were« glatt mit einem Oasis-Album verwechseln - und es wäre definitiv als eines der besseren einzuordnen. Kein »(What's The Story) Morning Glory?« oder »Definitely Maybe«, aber ein eingängiges Britpop-Album in bester Tradition, mit dem markanten Sound, der auch 20 Jahre später noch im Ohr hängen bleibt. Liam solo ist also zumindest ein bisschen wie Oasis, nur ohne den ewigen Bruderzwist - was mancher sicher auch ganz schön finden wird.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht auf stimmt.de                                                                                           06.10.2017