Cosmo Sheldrake

The Much Much How How And I
Transgressive Records / PIAS / Rough Treade / VÖ 06.04.2018

Die Idee des verrückten Wissenschaftlers scheint bei dem Multi-Instrumentalisten aus London gar nicht so weit hergeholt. Seine bunt gespickte Folk-Kirmes sprüht vor Eingebungen, dem Wahnsinn mitunter näher als der Normalität.

Die EP »Pelicans We« aus dem Jahr 2015 gab schon einmal einen Vorgeschmack darauf, was aus einem mittlerweile 27-jährigen Autodidakten an Kreativität heraussprudeln kann. Cosmo Sheldrake, Sohn des Wissenschaftlers und Autors Rupert Sheldrake, hat sich über 30 Instrumente (Gitarre, Schlagzeug, Bass, Banjo, aber auch Tin Whistle, Sousaphon und Akkordeon) selbst beigebracht und setzt sie auf diesem Debüt auch ohne jegliche Scheu ein. Ein widerspenstig-künstlerisches Kirmes-Inferno aus Geräuschen, Stimmen, akustischen und elektronischen Melodiebögen, Rhythmen und Stimmungswechseln, dass sich durch 14 Titel zieht.

Vereinzelt fühlt man sich an das erste Album von The Coral aus dem Jahr 2002 erinnert, hin und wieder vielleicht auch an die letzten Handgriffe der Beatles für ihr Album »Abbey Road« aus dem Jahr 1969. Doch Sheldrake schießt mit seinen Collagen stets weit über die Grenzen der Popmusik hinaus und scheut konkrete musikalische Statements. Die pompösen Arrangements und ständig wechselnden Instrumente lassen die Frage aufkommen, ob das nun schlichtweg ironische Musikalität oder doch nur manischer Kunstquatsch ist.

 

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht im Musikmagazin intro                                                                              09.04.2018


Chrome Sparks

Chrome Sparks
Counter Records / Rough Trade / VÖ 13.04.2018

Endlich liefert Jeremy Malvin auf Albumlänge ab. Hypnotische Synthie-Soundscapes und HipHop-Bruchstücke sind nur zwei Stärken dieses höchst vielschichtigen und kreativen Musikrausches.

 

Gerade bei elektronischer Musik lohnt sich die Suche nach Zuckerstückchen noch richtig. Obwohl der in Brooklyn lebende Jeremy Malvin in den Staaten vereinzelt schon als das nächste große Ding in der Sparte Electronic Music gehandelt wird, muss man hierzulande schon kundiger Vinyl-Sammler oder gewiefter Spotify-Abonnent sein, um seine ersten EPs auf dem Schirm zu haben. Nun legt er auf einem Sublabel von Ninja Tune sein Debüt vor, das vor kreativer Perfektion förmlich übersprudelt. Allem voran breiten sich die knisternd-warmen Analog-Synthesizer-Flächen aus, Malvins Spielwiese, die wahlweise mit Electro-Pop, HipHop oder leichtfüßigem House dekoriert wird.

 

Sehr eingängig und doch mit entsprechendem Tiefgang glättet er die Kanten zwischen detailverliebter Studioarbeit und herbsüßer Popmusik. Das ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit im Brooklyner Studio und in einer abgelegenen Hütte am Stadtrand. Zudem holte er sich das australische Duo Kllo, Angelica Bess (Body Language) und Graham Ulicny (Reptar) für ein paar Gast-Features, was die Vielschichtigkeit noch mal erhöht. So wurde »Chrome Sparks« zu einem überzeugenden Debüt jenseits von verkopfter Electronica-Komplexität, das trotzdem jede Menge Entdeckungen parat hält.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht im Musikmagazin intro                                                                              10.04.2018


Dapayk Solo

The Calling
Mo's Ferry / Rough Trade VÖ 06.04.2018

Es ist wieder einmal Zeit für ein Soloalbum von Niklas Worgt alias Dapayk. Ohne seine Frau und musikalische Partnerin Eva Padberg wirkt die karge Mischung aus Minimal, Detroit- und Deep-House noch deutlich kompromissloser.

 

Klar, den clever verschraubten Electropop von Dapayk & Padberg haben wir längst und für alle Zeit ins Herz geschlossen. Aber der Berliner Produzent, Labelbetreiber und Musiker tobt sich manchmal auch alleine aus, hier auf dem mittlerweile fünften Soloalbum, dem ersten Alleingang seit »#nofilter« aus dem Jahr 2015. Die Brücke zu den Alben mit seiner Supermodel-Ehefrau sind auch diesmal wieder die kreativen Ansätze bei der Klanggestaltung. Mit großer Eleganz gelingt es Worgt, frische Sounds und Rhythmen zu dekonstruieren und umzuschichten.

 

Analog geprägte Tonhöhenschwankungen mischen sich mit ungehörten Bleeps, beruhigende Electro-Flächen zappeln im kreativen Dusel, meilenweit entfernt von den sonstigen, vergleichsweise lahm erscheinenden 303- und 909-Techno-Schablonen vieler Nebenbuhler. Aus jedem Sequencer holt Worgt wie selbstversändlich immer noch ein Quentchen mehr Forscherdrang heraus. Schmeichelnd, tanzbar und knackig sinnierend blättern sich Stücke wie »Aurora« oder »Tinitus« für diejenigen auf, die bereits sind, hinter den Beat zu hören. Dazu gibt es noch Vocal-Features von Komplement, Vars und Mental Bend.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht im Musikmagazin intro                                                                              09.04.2018


Kylie Minogue

Golden
BMG / Warner /  05.04.2018

Da kommt man sich natürlich ein bisschen verschaukelt vor: Im Vorfeld wurde keine Gelegenheit ausgelassen, Kylies neues Album als ihre Country-LP zu vermarkten, obwohl doch nur der übliche, abgelaufene Stampf-Pop drauf ist.

 

Kylie macht jetzt Country - gibt es wirklich jemanden, der da Hoffnung schöpft? Klar, musikalisch ist das Oeuvre der ewigen Sympathieträgerin, charmant gesagt, eher blass. Abgesehen vielleicht von den frühen und mittlerweile irgendwie legendären cheesy Pop-Hits aus der Stock-Aitken-Waterman-Vorhölle der 1980er und dem gelungenen Duett »Where The Wild Roses Grow« mit Grummelbär Nick Cave aus den 1990ern, welches immerhin ihr größter Hit in dem Jahrzehnt war. Aber warum bitte muss es im Vorfeld zum Album »Making-Of«-Videos regnen, in denen Kylie die authentische Produktion, das ehrliche Songwriting und die tolle Atmosphäre des legendären Aufnahmeortes Nashville lobpreist, wenn davon auf der Platte kaum mehr als ein zaghaftes Banjo und ein freches Fingerschnippen zu hören ist?

 

»Wir fanden einen Weg, einen Hybrid aus Country und dem zu machen, was ich meinen ›normalen Sound‹ nenne«, lässt sich Kylie zitieren. Dieses Album braucht tatsächlich niemand, nicht mal Kylie Minogue selbst. Irritierend ist am Ende aber vor allem, dass die greise Musik-Industrie-Maschinerie immer noch glaubt, mit Marketinggags aus der Steinzeit jede Menge Platten verkaufen zu können. Sorry an die A&R-Rollator-Gang, der Zug ist vor ungefähr 20 Jahren definitiv abgefahren.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht im Musikmagazin intro                                                                              09.04.2018


En Vogue

Electric Café
eOne Music / SPV /  VÖ 06.04.2018

Nein, offiziell aufgelöst haben sich En Vogue tatsächlich nie. Das Soul- und R'n'B-Trio hat nur 14 Jahre lang kein Album veröffentlicht. Nun bringt sich die Gruppe mit „Electric Café“ wieder souverän zurück ins Rampenlicht.

 

14 Jahre sind in der Musikwelt eine Ewigkeit, gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung. Seit 2004 hat sich derart viel verändert, dass die Rückkehr von Cindy Herron-Braggs, Terry Ellis und Rhona Bennett definitiv ein mutiger Schritt ist. Die junge Hörerschaft wird sich vermutlich gar nicht mehr an Megahits wie „Free Your Mind“, „Never Gonna Get It“ oder „Whatta Man (feat. Salt-N-Pepa)“ erinnern, die auf das Konto von En Vogue gehen. Trotzdem wollen die drei „Funky Divas“, die zu den erfolgreichsten Musikerinnen der 90er-Jahre gehörten, es nun mit „Electric Café“ noch einmal wissen.

 

En Vogue haben über 20 Millionen Alben verkauft, sieben MTV Video Music Awards gewonnen, und sie wurden vom „Billboard Magazine“ zur zweiterfolgreichsten Gruppe der 1990er-Jahre gekürt. Damit war das R'n'B-Trio, das 1988 in Oakland, Kalifornien gegründet wurde, auch Wegbereiter für nachfolgende Girlgroups wie TLC oder Destiny's Child. Der digitale Wandel ist jedoch nicht an En Vogue vorbeigezogen, immerhin können sie im Zahlenwerk des Erfolgs auch noch 30 Millionen Streams und 26 Millionen Youtube-Views verbuchen.

 

Damit ist aber auch klar, dass die Erwartungen an das neue, siebte Album enorm groß sind. Mit der Produktion des Albums wurden Raphael Saadiq (Solange Knowles, D'Angelo), Dem Jointz (Rihanna, Janet Jackson) und die langjährigen Wegbegleiter Denzil Foster und Thomas McElroy beauftragt. Ein Gastauftritt von Snoop Dogg („Have A Seat“) rundet die Rückkehr geschmeidig ab. Der Aufwand hat sich gelohnt, sofern man gleichermaßen mit alten Soul-Referenzen aus den 1960-ern und mit modernem Electropop etwas anfangen kann. Stimmlich bewegen sich Herron-Braggs, Ellis und Bennett mit ihren Solos und Chören natürlich auch noch immer auf höchstem Niveau.

 

Aber es ist auch die gekonnt üppige, abwechslungsreiche Produktion, die „Electric Café“ zu einem gelungenen Comeback-Album machen. Moderne, beatlastige R'n'B-Songs wie „Rocket“ wechseln sich mit funky Electropop („Electric Café“) und klassischem Songmaterial im En-Vogue-Stil ab („Blue Skies“). Ob En Vogue mit „Electric Café“ großen Eindruck auf die jungen Dancepop-Szene machen können? In jedem Fall liefern sie hier ein unterhaltsames, klanglich perfektes Album - und wer derart viel Erfolg im Rücken hat, darf sich in auch damit schon völlig zufriedengeben.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht im Weser-Kurier                                                                                          06.04.2018


Wye Oak

The Louder I Call, The Faster It Runs
Merge/Cargo VÖ 06.04.2018

Nach dem Soloausflug als Flock Of Dimes zaubert Jenn Wasner mit Andy Stack wieder ein neues Wye-Oak-Album aus dem Ärmel: wunderbar elegischer Dream-Pop, der weit über die Kapazitäten eines Duos hinausreicht.

 

Kaum eine Band kann derzeit so aufrichtig von sich behaupten, live und auf Platte zwei unterschiedlich intensive, aber gleichermaßen mitreißende Konzepte zu verfolgen, wie Wye Oak. Als multifunktionales Duo-Tentakel auf der Bühne, das ein analoges Schlagzeug und einen Synthesizer so gut zusammenschweißt, wie die mit Loops gestützte Frontfrau-Präsenz von Jenn Wasner das tanzbare Show-Element über die Zuhörer stülpt. Zehn Punkte für die Live-Qualitäten, die auch auf dem neuen konservierten Arsenal an Songs keine Abzüge fürchten müssen.

Denn die verschlungen-komplexe Rhythmik der Schlagzeug/Bass-Strukturen fließt wie ein zappelnder Trauerzug an den akzentuierten Pop-Momenten vorbei, die Wasner mit schmeichelndem Gesang (der Kate-Bush-Vergleich gilt nach wie vor) und virtuosem Rhythmus-Gitarrenspiel festpinnt. Im Gegensatz zum 2014er-Vorgänger »Shriek« ist der Einsatz des E-Basses dieses Mal etwas zurückgefahren, vielleicht auch, weil der Gitarrenhersteller Reverend Wasner eine Signature-Gitarre gewidmet hat. »If it ain’t broken, don’t fix it«, sagt der amerikanische Volksmund, und Wye Oak können ihr hohes Niveau im tanzbaren Dreampop-Universum auf Platte definitiv halten.

Klaas Tigchelaar // veröffentlicht im Musikmagazin intro                                                                              02.04.2018