Piroshka
Brickbat
PIAS / Bella Union / Rough Trade / VÖ 15.02.2019
Miki Berenyi ist zurück! Die Sängerin/Gitarristin der britischen Shoegaze-Legende Lush hat sich für dieses neue Projekt mit KJ »Moose« McKillop (Moose), Mick Conroy (Modern English) und Justin Welch (ehemals Schlagzeuger bei Elastica) zusammengetan. Eine Verquickung alter Kontakte, die gemeinsam sehr intuitiv zu musizieren scheinen.
Immerhin war Berenyi immer und ausschließlich mit Lush aktiv, bis zur Auflösung 1997 (bedingt durch den Selbstmord von Drummer Chris Acland) und auch bei der kurzen Wiedervereinigung von 2015 bis 2016. Da war unter anderem auch Mick Conroy als Bassist dabei, eins führte zum anderen, Songideen wurden ausgetauscht und Piroshka war geboren.
Natürlich können und wollen sich die Veteranen des britischen Shoegaze- und Indierock-Sounds nicht völlig freimachen von ihren alten Tugenden. Berenyis einnehmender Gesang wiegt sich immer noch in viel melancholischem Hall, die Gitarren und auch die Rhythmusgruppe können ihre Trainingseinheiten in den 1990er-Jahren nicht verleugnen. Trotzdem wirken die zehn Songs erfreulich eingängig und frisch, unabhängig von den doch eindeutigen Lush-Verweisen.
Das flott-punkige »This Must Be Bedlam« oder die träumerische Shoegaze-Blaupause »Blameless« mit seinen unerwarteten Streichersätzen dürften alte Hasen und Neuzugänge aus dem Shoegaze-Revival der letzten Jahre gleichermaßen aufhorchen lassen. Warum sollte man sich schließlich guten, jungen Kopien hingeben, wenn man auch das Original haben kann?
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 15.02.2019
Disarstar
Bohemien
Warner / VÖ 15.02.2019
»Warum macht ein Linker ausgerechnet Rap?«, fragte die Zeit 2015 zur Veröffentlichung des Debütalbums »Kontraste« und portraitierte den Hamburger Rapper mit einer Mischung aus Bewunderung und Verwirrung. Aber warum sollte ein »Linker« sich denn nicht dieser musikalischen Ausdrucksform bedienen?
Der 1994 geborene Gerrit Falius, aka. Disarstar hat auch als bürgerliches Kind seine Ghetto-Erfahrungen machen müssen, ist sprachlich überaus eloquent und hat es auf »Bohemien« definitiv geschafft, die eher eintönige Hip-Hop-Szene in Deutschland um eine frische, kreative Facette zu bereichern. Die Anti-AfD-Hymne »Alice im Wunderland« macht Carroll und Weidel zum ungleichen Paar, glänzt aber vor allem mit einem markerschütternd-basslastigen Beat.
»Alle woll‘n ein Haus am See, Kohle und gut aussehen, ich will Schuhe und ne große Pommes« (»Nike’s x McDonald’s (feat. BLINKER & Philipp Dittberner)«) darf oberflächlich wie ironisch gedeutet werden, was angesichts der noch kurzen Karriere von Disarstar schon überzeugendes Reflektionsvermögen beweist. Zwischen den großartigen, kreativen Tracks finden sich leider auch ein paar schnulzige Chartsanwärter wie »Dunkle Wolken (feat. KAIND)« oder »Wach (feat. Lina Maly)«, die womöglich der neuen großen Plattenfirma oder der anscheinend unverzichtbaren Allround-Credibility geschuldet sind. Doch der Optimismus überwiegt, gekonnte Lines und musikalische Untermalung abseits der Standard-Presets sind Grund genug, den Hamburger Jung weiter zu verfolgen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 15.02.2019
Panda Bear
Buoys
Domino / GoodToGo / VÖ 08.02.2019
Für Noah Lennox, aka. Panda Bear wurde mit dem letzten Album »Panda Bear Meets The Grim Reaper« von 2015 ein musikalisches Kapitel abgeschlossen, das sich immerhin über drei Alben zog. Zeit für einen neuen Ansatz – erneut auf einer Subebene vom Hip-Hop inspiriert, und erneut mit ungewöhnlichen Mitteln umgesetzt.
Vor allem die Vocals mäandern mit beinahe penetranten Dringlichkeit durch die Tracks, versehen mit leiernden Effekten, pulsierenden Hallfahnen und einer gewissen kreativen Aufdringlichkeit, die im krassen Kontrast zu den sanften Electro-Folk-Hintergründen steht. Schroffe Klangpuzzle, die sich mehrheitlich aus Samples zusammensetzen und eine gewisse Agression in sich tragen, ohne sich dafür der üblichen Stilmittel zu bedienen.
»Inner Monologue« könnte mit den eiernden Harmonium-Schleifen und der sanft-gepickten Gitarre auch als betagte Folknummer durchgehen, wären da nicht die überlauten, stellenweise verzerrten Stimmen, die sich dreist über jegliche Friedfertigkeit stülpen. Aus beschwingter Krautrock-Passivität wird schnell ein progressiver Horrortrip, dessen Nebenwirkungen man gewachsen sein muss. Das mit Rusty Santos in seiner Heimat Lissabon aufgenommene Album will bewusst provozieren, drückt in verstörenden Bassfrequenzen nach vorne, spielt Versöhnlichkeit vor, bei der die Parameter bewusst aus dem Ruder laufen. Was »Buoys« zu einer durchaus spannenden Erkundungsreise werden lässt, die einem bisweilen gefühlt die Zahnfüllungen rausdrücken möchte.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 08.02.2019
Ocie Elliott
We Fall In
Nettwerk Records / VÖ 08.02.2019
Jon Middleton und Sierra Lundy kommen aus Victoria, B.C., Kanada, und trafen sich zum ersten Mal musizierend beim feinen »Salt Spring Festival« ebendort. Es war Liebe auf den ersten Blick. Keine körperliche Anziehung indes, sondern eine musikalische, denn die beiden Folkmusiker waren sofort auf einer Wellenlänge.
Nach ihrer ersten gemeinsamen wie namenlosen EP aus dem Jahr 2017 zeigt nun das Debütalbum, wie verzückt-harmonisch die beiden Stimmen und das butterweiche Folkpicking von Middleton zusammenpassen. Natürlich ist das weder besonders originell, noch einzigartig, aber den einnehmend-reduzierten Kompositionen, gepaart mit den schmeichelnden Stimmen des Duos kann sich auch der härteste Folk-Verweigerer nicht lange entziehen.
Gillian Welch, Simon & Garfunkel und Angus and Julia Stone werden von der Plattenfirma als Einflüsse genannt, aber Ocie Elliott wählen den vergleichsweise direkteren, ehrlicheren Weg. Die sieben kurzweiligen Songs kommen mit wenigen Zusatzinstrumenten aus, dezente Percussion, ein karges Schlagzeug, kleine Synthiflächen, alles bloß Sahnehäubchen für ein sehr stimmiges Gespann, dass die Folkwelt nicht zu bekehren braucht. Schöne zweistimmige Parts, Texte über die erwünschte wie verflossene Liebe – Ocie Elliott sind intuitive Glücklichmacher und zeigen, dass einehmend schöne Musik bar jeglicher Trends immer funktioniert.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 08.02.2019