White Denim
Side Effects
City Slang / Rough Trade / VÖ 29.03.2019
Das letzte Album “Performance” erschien erst im August 2018, nun gibt es schon Nachwuchs von der Rockband aus Austin, Texas. Was eben so passiert, wenn man ohne Einschränkungen und Zeitlimits im eigenen „Radio Milk“-Tonstudio immer brav die Gitarrensoli und Oldschool-Orgel-Arpeggios mitschneidet.
Dabei hat die Band nicht nur ein technisch-versiertes Fundament, auf dem es seine Songs aufbauen kann, sie spielen auch gleichermaßen souverän mit psychedelischen Jamband-Versatzstücken und erdigem, runtergebrochenen Riff-Rock. Daran hat sich auch auf dem achten Album »Side Effects«, welches textlich das Leben abseits der Bühne dokumentiert, nicht viel geändert.
Alles klingt schön old-fashioned und druckvoll-modern zugleich, mit den harmonisch-wechselnden Gesängen von Gitarrist James Petralli und Bassist Steven Terebecki kratzen sie immer noch aufmüpfig am Pop-Kontext. Jeff Tweedy (Wilco), Santigold und Mos Def stehen auf der Liste von Künstlern/Produzenten, mit denen White Denim ihren Sound in der Vergangenheit feingeschliffen haben. Das Album klingt dadurch keinen Deut weniger wild, die jugendliche Rebellion ist vielmehr freudiger Souveränität gewichen, was dem unbändigen Live-Erlebnis von White Denim noch ein gutes Stück näher kommt.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Klenkes 29.03.2019
Kakkmaddafakka
Diplomacy
Bergen Mafia / Rough Trade / VÖ 22.03.2019
Sommer in der norwegischen Stadt Bergen. Der ist normalerweise zwischen vereinzelten Sonnenstrahlen trotzdem vor allem geprägt von kühlen Temperaturen und viel Regen. Doch 2018 hat der Klimawandel wohl auch dort einen kurzen Halt eingelegt, die dort beheimateten Jungs von Kakkmaddafakka sprechen davon, dass die Sonne »auf die Stadt herunterbrannte«.
Was nicht nur zu schönem Sonnenbrand und Songwriting-Sessions im Freien führte, sondern auch zu diesem mittlerweile sechsten Album der Band. Jetzt soll keiner erwarten, dass die smarten Melancholie-Indie-Popper plötzlich seelenlose Sundowner-Musik fabrizieren, es bleibt beim fluffig-eingängigen Schrengelsound zwischen Electropop und Proberaum-Genialität, wenn vielleicht auch mit etwas mehr Glitzer.
Für Follower der 2004 gegründeten Band ändert sich also glücklicherweise nichts, Instant-Konsum ist ausdrücklich erlaubt. Als überdurchschnittlich gelungen darf man das flotte »Sin« und die synthetisch-kitschige 1980er-Ballade »This Love« am Ende bezeichnen, die sich wohltuend vom Rest abheben. Denn obwohl die Band sicherlich alles richtig macht und durchaus wohlwollend durch die neun Songs rudert, am Ende bleibt bloß ein kurzes, wohliges Gefühl, das eigentlich Ekstase hätte werden wollen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 19.03.2019
Camilla Sparksss
Brutal
On The Camper / Cargo / VÖ 22.03.2019
»Idylle trifft Raubtier«, fasste das leider dahingeschiedene Musikmagazin intro die Wirkung von Camilla Sparksss als Live-Künstlerin treffend zusammen. Hinter dem Pseudonym steckt die deutsch-schweizerische Musikerin Barbara Lehnhoff, nebenbei auch Sängerin in der Postpunk-Band Peter Kernel.
Und weil sich beide Bands personell (Ex-Freund Aris Bassetti ist auch bei Kernel, betreibt mit Lehnhoff das Label »On The Camper« und hat dieses zweite Album produziert) wie inhaltlich ein wenig überschneiden, stellt Camilla Sparksss nach Lehnhoffs Auffassung die weibliche Seite von Peter Kernel da.
Sparksss singt, spielt und tanzt hier ganz alleine im dichten Gewummer aus Lofi-Synthis, kreischenden Melodiekollagen und verzerrten Vocals. Experimente mit Dubplates (Schallplatten), die durch aufgestrichene Farbkleks-Stopper zu Rhythmusinstrumenten werden, treffen auf düstere Wavemelodien und elektronische Apokalypse. Rundum eher bedrohlich als aggressiv, sucht man
Vergleiche zu Crystal Castles oder Ladytron, die der Intensität von »Brutal« jedoch nur teilweise das Wasser reichen können. Camillas Sparksss erschafft eine gesunde Symbiose aus Electropop-Verträglichkeit, kompromissloser Tanzbarkeit und ungeschönter Wut, die mitreißt und konsequent am Vorgänger »For You The Wild« (2014) anknüpft.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 19.03.2019
Jenny Lewis
On The Line
Warner / VÖ 22.03.2019
Auch beim mittlerweile vierten Solo-Album nach dem Ende ihrer Band Rilo Kiley kommt man wieder nicht dahinter, wie diese musikalische Zauberformel geht. Perfekte Popharmonien, ein bisschen einschüchternder Hollywood-Glitzer und eine gesunde Portion Country-Schmelz geben Lewis‘ Songs exakt den richtigen Drall.
Die zackigen Akkordfolgen der Western-Romantik müssen dieses Mal allerdings ein bisschen zurücktreten, stattdessen geht es gleich zu Beginn mit clever-adaptierten Beatles-Klavierharmonien (»Heads Gonna Roll«) in den Refrain. »Red Bull & Hennessy« erinnert dagegen fulminant an Fleetwood Mac zur Comeback-Zeit von »Tango In The Night« (1987).
Erst mit »Hollywood Lawn« kehrt die glamouröse Nashville-Tristesse zurück, stoischer Schlagzeugbeat und Barpiano verschmelzen mit der liebkosenden Stimme der Frontfrau. Irgendwie klingt alles mal wieder gleichermaßen bekannt wie einleuchtend, zumal die Backing-Band, die für die Aufnahmen im berühmten Capitol Records Studio B aufgestellt wurde, ganz bescheiden aus Beck, Benmont Tench, Don Was, Jim Keltner, Ringo Starr und Ryan Adams besteht.
Behauptet da noch irgendwer, das hier wäre nicht mindestens höchst ausgefuchste Pop-Musik-Oberliga? »I met the devil down in Austin, he gave me a Fuji-apple«
(»Party Clown«) – wer obendrauf noch solche Zeilen zimmert, hat definitiv den Bogen, bzw. die Zauberformel raus.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 19.03.2019
Howe Gelb
Gathered
Fire / Cargo / VÖ 08.03.2019
Kleine Zusammenkünfte, nette Tischgespräche und Wiedersehensfreuden in Europa und den Vereinigten Staaten führten zu diesem neuen Soloalbum des grummeligen Erzählsängers aus Tucson.
Die Lost Brothers schenkten Gelb ein bisschen Studiozeit in Dublin, Frank Birch Pontoppidan lud ihn für Aufnahmen nach Kopenhagen ein, Anna Karina, Pieta Brown und Kira Skov unterstützten ihn stimmlich. Die Partystimmung ist melancholisch, aber unvergleichlich gut, sogar M. Ward trägt für »A Thousand Kisses Deep« etwas dazu bei, dass alle am Ende glücklich sind, und Gelb eine neue Platte fertigstellen kann.
Sofort wiedererkennbar natürlich seine Stimme, halb Spoken-Word-Performance, halb gelangweilter Melodiebogen, begleitet von akustischen und cleanen elektrischen
Gitarren, die sich in ihrer atmosphärischen Präsenz vollends selbst genügen. Der Titelsong (feat. Pieta Brown) bekommt eine kurze Ankündigung von Gelb, knarzige Glückseligkeit, die
Wohnzimmerkonzert, Homerecording und Songwriter-Weisheit an einem langen Esstisch neben dem Klavier versammelt, der ausgewählte und wohlschmeckende Getränke und Häppchen zu bieten hat. Bloß das
Erscheinen von Tochter Talula Gelb zu später Stunde, mit ihrer etwas wackeligen Skizze des nicht eben einfachen Klassikers »Moon River« stört die harmonische Zusammenkunft für einen Moment. Aber
der pubertierenden Tochter kann ja dann doch keiner etwas abschlagen, auch Howe Gelb nicht.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
08.03.2019