MUSIK

Com Truise

Persuation System
Ghostly International / Cargo / VÖ 17.05.2019

In den 1980er Jahren war die Klangerzeugung mit Synthesizern noch ein futuristisches neues Betätigungsfeld, dem sich vor allem Soundtrack- und Videospiel-Komponisten stellten. Aber wer weiß heute noch, von wem die Titelmelodie der Serie »Miami Vice« stammt (von Jan Hammer), oder wer die schräge Serie »Max Headroom« musikalisch untermalt hat (das war Michael Hoenig)?

 

Seth Haley tritt unter seinem Pseudonym Com Truise einmal mehr in die Linie dieser und anderer Synthesizer-Komponisten wie Jean-Michel Jarre oder Mike Oldfield, befreit die analogen Sounds der Zeit aber von ihrer staubigen Selbstgefälligkeit und nennt das Ganze sehr selbstbewusst »Slow Motion Funk«. Klar können solche Tracks heute theoretisch in Windeseile mit ein paar Plugins zusammengeschraubt werden, aber Com Truise hat nicht nur die durchweg fetten Sounds und einschneidenden Melodien, sondern auch gestalterisches Feingefühl.

 

»Existence Schematic« zeigt als erste Single schon, wie die melodiöse Zuckrigkeit der 1980er und moderne, beatlastige Electronica hier souverän zur Symbiose verschmelzen. Titelmelodien und tanzbare Glückseligkeit verschwimmen kurzerhand zu einem verführerischen Sound, der ohne Scham einem vergangenen Jahrzehnt huldigt. Der Mittdreißiger Haley versieht sein Material mit solch einer punktierten Retro-Coolness, dass manch anderer Revival-Hype dagegen schlicht wie schnöde Geldmacherei wirkt.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                                                     26.04.2019


MUSIK

Muito Kaballa

Everything Is Broke
Switchtance / Broken Silence / VÖ 10.05.2019

Das »Straßenguerilla-Soundsystem« aus Köln besteht faktisch nur aus dem Multi-Instrumentalisten Muito Kaballa und seinem cleveren Fahrradanhänger. Darin versteckt: Keyboard, Gitarre, Percussion, Kabel, Saxophon, Flöte und viele andere Gegenstände, aus denen sich mit der Loop-Sampling-Technik ganze Orchester basteln lassen.

 

Damit ist er in der Domstadt stets unterwegs, spielt sein »Guerilla Soundbombing« unter freiem Himmel, solange Polizei und Ordnungsamt wegschauen. Mittlerweile hat er sich natürlich fleißig einen Namen erspielt und entert die Clubs mit seinem wilden Soundkonzept, welches überwiegend Instrumental aus den Stilen Afrobeat, Funk, HipHop, Electropop und Soul schöpft und nun auch als Vinyl-LP und Digital für den Heimgebrauch erhältlich ist.

 

Eine wild zappelnde Sammlung von gut gelaunten Sounds, denen oft schwingende afrikanische Rhythmen zugrunde liegen, verziert mit vielerlei Melodiegeschmeide, dass sich als Gesamtpaket grob zwischen Afro-Easy-Listening, Chill-Out und unverkrampfter Tanzmusik einordnen lässt. Wer im Sommer mal in Köln ist, sollte seine Facebook-Seite checken, und eine angekündigte Live-Performance mitnehmen, die einen unweigerlich zum Tanzen bringt.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                                                     26.04.2019


MUSIK

Vampire Weekend

Father Of The Bride
Columbia/ Sony / VÖ 03.05.2019

Zur Veröffentlichung sagte Frontmann Ezra Koenig, dass die sechs Jahre Pause zwischen »Modern Vampires Of The City« und dem neuen Longplayer angemessen sind, für »eine Band, die bereits drei Alben in Umlauf gebracht hat, aber jeder hat da sein eigenes Zeitgefühl.«

 

Die Fans von Vampire Weekend werden ihm da wohl entschieden widersprechen. Zum Glück sind sie aber nun zurück, und Koenig war ja auch nicht untätig: Die Band war auf Welttour, er veröffentlichte die Netflix-Anime-Serie »Neo Yokio« und produzierte den Song »Hold Up« für Beyoncé. Diese ganzen Erfahrungen finden sich natürlich in den neuen Songs wieder, fröhlich schunkelnd und doch erstaunlich komplex, wenn man erst mal tiefer eintaucht in die vielschichtig-inspirierten Stücke.

 

Während »Unbearably White« mit einem relaxten Percussionbeat und jazzigem Gitarrenlick die Stimme von Koenig galant umschmeichelt, präsentiert »This Life« zur knatternden Tremolo-Gitarre Weltmusik-Schnipsel und mehrstimmige Gesänge in bester Doo-Wop-Manier – scheinbare Gegensätze, mit denen die Band seit der Gründung 2006 zu faszinieren weiß. Auch auf diesem Album fließen Stile aus allen Ecken der Welt wie selbstverständlich zu gutgelaunter und spannender Popmusik zusammen, auf der Gästeliste standen dieses Mal Danielle Haim (Haim) als Backgroundsängerin auf »This Life« und Gitarrist Steve Lacy für »Sunflower«.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                                                     26.04.2019


MUSIK

Drahla

Useless Coordinates
Captured Tracks / Cargo / VÖ 03.05.2019

Nach einigen gefeierten EPs und einer schlauchenden Tour mit Ought und Metz fand das Trio aus dem englischen Leeds zwischendurch noch die Zeit, dieses Debütalbum aufzunehmen.

 

Gemäß der Statuten gegen die Harmonielehre, in der Tradition von Bands wie Gang Of Four, Don Caballero, Art Brut oder The Ex, dekonstruieren Sängerin/Gitarristin Lucien Brown, Bassist Rob Riggs und Drummer Mike Ainsley klassische Rock- und Punk-Strukturen zu hektisch-unvorhersehbarem Druck, dem einige harmonische Pop-Momente als Leuchtsignale dennoch nicht fehlen dürfen. Die Anwesenheit von Chis Duffin (XAM Duo) mit seinem Saxophon auf zahlreichen Tracks hilft natürlich bei diesem Artrock-Anspruch, und Einflüsse von Swell Maps, Behaviour und Talking Heads (Selbstauskunft der Band) unterstreichen den Wunsch nach unvorhergesehener Konfrontation.

 

Somit ist es – inmitten bester Indie-Traditionen – bei Drahla wieder möglich, sich als Endverbraucher Songs zu erarbeiten, in den kakophonischen Rahmenbedingungen die Wiedererkennungsmerkmale zu sammeln und festzustellen, dass dieses Pop-Verständnis viel mehr Befriedigung versteckt hält, als der ganze Instant-Brei, der sonst so auf dem Speiseplan steht.

 

 Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                                                   26.04.2019


MUSIK

The Mountain Goats

In League With Dragons
Merge / Cargo / VÖ 26.04.2019

Singer-Songwriter und Bandkopf John Darnielle bleibt eine überschäumende Quelle der Kreativität – scheinbar schafft er es jedes Jahr aufs Neue, ein Album mit den Mountain Goats zu vollenden, das keine Spur von Ermüdung oder kreativer Mittelmäßigkeit zeigt.

 

Dieses Mal wurde in den Blackbird Studios aufgenommen, mit Matt Ross-Spang (Jason Isbell, John Prine), Robert Bailey steuerte noch ein paar Gesangsarrangements und Streichersätze des mazedonischen Radio-Sinfonieorchesters bei. Was ursprünglich als Rockoper mit eindeutigem Fantasy-Einschlag begann, entwickelte sich dann doch zu einem ruhig-beschwingten Indie-Folk-Album, dessen fantastische Momente eher in den Texten und gelegentlichen, bombastischen Ausbrüchen (wie etwa dem Saxophonsolo in „Younger“) zum Ausdruck kommen.

 

Klar, das wenig subtile Albumcover trägt auch seinen Teil dazu bei, dass hier mehr Rollenspiel-Kitsch vermutet wird, als letztlich drin ist. Wie auch schon beim Vorgängeralbum „Goths“ von 2017 (in dem es um eben diese Subkultur geht)schafft es der Geschichtenerzähler Darnielle wieder, ein Thema sowohl musikalisch, als auch textlich zu bearbeiten, ohne sich dessen formellen musikalischen Regeln unterzuordnen.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Aachener Stadtmagazin Klenkes                                                                 24.04.2019