MUSIK
The Monochrome Set
Fabula Mendax
Tapete/Indigo/VÖ: 27.09.2019
Was soll man musikalisch noch machen, wenn man Ende der 1970er-Jahre Teil der ersten Post-Punk-Bewegung war und Größen wie Morrissey, Franz Ferdinand, The Devine Comedy und Graham Coxon zu seinen Fans zählen darf?
Die stets psychedelisch angehauchten New Wave-Briten haben sich diesmal die Vertonung von Handschriften aus dem 15. Jahrhundert für ihr neues Album ausgesucht, verfasst von Armande de Pange, einer Gefährtin von Johanna von Orléans.
Die dazu passenden Geiger, Zupfer, Schellenläuter und Schreihälse bewegen sich – entgegen der Erwartung – jedoch im Hintergrund, ein bisschen mittelalterliche Grundstimmung weht dezent durch die einzelnen Tracks. Aber glücklicherweise muss man nicht sofort an Stockbrot, Met und Mittelaltermarkt denken, dafür sind die Beat-Gitarren und kreischenden 70s-Orgeln doch noch zu präsent.
Bei den Texten und Songtiteln wie »Come To Me, Oh, My Beautiful«, oder »La Chanson De La Pucelle« darf man sich allerdings in die unnachgiebige Zeit der intriganten
Adelsfrauen, schwertschwingenden Ritter und stinkenden Schurken und Schlawiner hinwegträumen und feststellen, dass The Monochrome Set ihrem verspielten Retro-Pop-Sound treu geblieben sind, egal
welches Jahrhundert sie nun gerade inspiriert.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss
27.09.2019
MUSIK
Moon Duo
Stars Are The Light
Sacred Bones/Cargo/VÖ: 27.09.2019
Natürlich wird es wieder psychedelisch, transzendent und weitschweifig, auf dem siebten Album von Psychoanalytikerin Sanae Yamada und Gitarrist/Klangforscher Ripley Johnson. Aber Yamada sieht sich auch mit gewissen Neuerungen konfrontiert: »Wir haben uns verändert, die Grundlage unserer Kollaboration hat sich geändert und die Welt hat sich verändert, das sollte sich in der neuen Musik wiederspiegeln«, so die weibliche Seite des Duos.
Disco, Funk und Rave werden durch klangverfremdende Gerätschaften gejagt, verbünden sich mit den einlullenden Gesängen sowie Johnsons markanten Gitarrenlinien und ploppen am anderen Ende als wabernd-oszillierende Klangteppiche wieder aus der Bewusstseinserweiterung heraus, der man jetzt so viel Transzendenz unterjubeln kann, wie man gewillt ist, selbst zu investieren.
Yamada ist in diesem Punkt pragmatischer und sieht vor allem das klanglich nur äußerst dezent aufblitzende Disco-Element als elementare Neuerung. Trotzdem wird jede Chillout-Bar an den weißen Sandstränden des Planeten diese Platte mindestens ebenso willkommen heißen wie die Tanzflächenclubs der Großstädte.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 27.09.2019
MUSIK
Brittany Howard
Jaime
Columbia/Sony/VÖ: 20.09.2019
Dass man auf dem ersten Soloalbum der Alabama Shakes-Sängerin/Gitarristin keine weichgespülte Kopie des mit Soul durchtränktem Southern-Bluesrock ihrer Band erwarten sollte, dürfte klar sein. Aber da gab es zum einen den Wunsch, sich einer neuen Herausforderung zu stellen, und andererseits noch diverse Demos auf ihrem Laptop, selbst aufgenommen und unfertig, und irgendwie nicht passend im herkömmlichen Bandkosmos.
Ein Abstecher von Nashville in den Topanga Canyon brachte keine Inspiration, erst im Studio von Engineer Shawn Everett fand sie, gemeinsam mit ihrem Bandbassisten Zac Cockrell, Keyboarder Robert Glasper und Drummer Nates Smith die passende Form für ihr Solo-Ding. Und das ist unerwartet abwechslungsreich, rau, biestig und frei, pendelt zwischen pumpend-wildem Lofi-Pop, Spoken-Word-Performance, tiefschwarzer Soul-Wehmut und ungestümem Sample- und Klang-Tetris.
»13th Century Metal« wird da zu einem fiepsend-aufbäumendem Ungetüm aus Bassdrum und kreischenden Analogsynthesizern, »Georgia« ist eine Ballade mit unerwartetem Wumms, als ob Drum’n’Bass die Gospelkirche besetzt hätte. Produktionstechnische Finessen und musikalischer Forscherdrang holen diese Platte schnell ganz nach oben. Howards Stimme glänzt in den zerbrechlichsten Höhen und grummeligsten Tiefen mit spürbarer Ehrlichkeit, die leider vielen Soloalben abgeht.
Und dieses hier ist klanglich sogar noch einiges mehr, die wild-trudelnde Achterbahn aus Lofi, Blues, Soul und Klangexperiment, die die ohnehin schon verehrten Alabama Shakes gehörig durcheinanderrüttelt – ganz fabelhaft, also.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 10.09.2019
MUSIK
Metronomy
Metronomy Forever
Because Music/Universal/VÖ: 13.09.2019
Bandkopf Joseph Mount hat Paris den Rücken gekehrt und ist zurück nach England gezogen, und zwar in die sprichwörtliche Pampa. Auf einem Hügel mit viel Natur drumherum erfüllte sich sein Wunsch, endlich wieder Luft holen zu können und Ruhe zu finden.
Diese Ruhe hat sich natürlich auch in die Musik hineingeschlichen, dezent, aber spürbar werden die Indietronics-Teppiche der britischen Band von der ländlichen Entspanntheit befallen. Wir sprechen hier nicht vom üblichen Folk-Geschirr (wo sollte das bei Metronomy auch unterkommen), aber Fallbeispiele wie »Upset My Girlfriend« wecken mit der anfänglichen Schrammel-Akustikgitarre kurze Panik, dass Mount zu viel Zeit im Schaukelstuhl auf der Veranda verbracht haben könnte.
Gut, bei 17 abwechslungsreichen Songs muss auch für sowas Platz sein, aber sonst laufen elektronische Tracks wie »Lately« oder »Insecurity« doch weiterhin gekonnt über die Brücke zwischen Indie-Nerdtum und tanzbarem Synthi-Kollaps. »Sex Emoji« fällt mit der Endlosschleifen-Textzeile »Love, Honey, Sex, Money, Text, Emojis, say you love me« in hoher Falsett-Tonlage gar in die Kategorie der albernen Spontanitäten, die zwanglose Umgebung lässt grüßen.
Eine Mischung aus prägnanten Pop-Songs, kleinen Experimenten und ländlicher Prokrastination steht dem siebten regulären Album sehr gut und macht deutlich, dass Metronomy weder von mangelnder Kreativität, noch von Zukunftsängsten geplagt werden.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 10.09.2019
MUSIK
Kazu
Adult Baby
Adult Baby Records/!K7/Indigo/VÖ: 13.09.2019
Aus dem Dreampop von Blonde Redhead wird auf dem ersten Album ihrer Frontfrau, Sängerin und Multi-Instrumentalistin Kazu Makino komplex-vielschichtiger Elektronik-Pop – mit der Betonung auf Elektronik.
Konzipiert wurde das Solowerk auf Elba, wo die gebürtige Japanerin momentan lebt, eingespielt wurde es ebendort, aber auch in New York, Berlin und Mailand, mit einer hochkarätigen Besetzung: Pianist/Komponist Ryuichi Sakamoto, Perkussionist Mauro Refosco (Red Hot Chili Peppers, David Byrne), das Art Orchestra of Budapest und Schlagzeuger Ian Chang (Son Lux, Landlady) sind nur einige der Musiker, die der zierlichen Künstlerin bei den Aufnahmen zur Seite standen, die überwiegend von Sam Griffin Owens coproduziert wurden.
Entstanden sind neun sympathische Tracks zwischen avantgardistischem Pop und verwunschenem Downbeat, mit englischem und japanischem Gesang, teilweise aber auch völlig reduziert und instrumental (»Place Of Birth«). Und weil Kunst manchmal auch von »(andere Künstler) Kennenlernen« kommt, hat die Filmemacherin Eva Michon sich daran gemacht, einen visuellen Albumfilm zu konzipieren, der über 40 Minuten jeden Song des Albums als »Kapitel in einer größeren Erzählung« abbildet. Ein Trailer dazu ist bereits bei Youtube zu finden.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht in der Schnüss 10.09.2019
MUSIK
Niels Frevert
Putzlicht
Grönland/Rough Trade/VÖ: 06.09.2019
Okay, ein Prélude namens »Mit laufendem Motor« samt großem Streicher-Geschmeide lässt zunächst befürchten, dass Frevert sich im furchtbar-banalen Alterswerk verheddert hat. Aber der zweite Track »Immer noch die Musik« macht klar, dass die Panik unbegründet ist.
Denn ab hier fügen sich seine immer hochpoetischen Texte und seine warmherzig-kratzige Stimme mit einem frischen Bandsound zusammen. Da sind Schlagzeug, E-Gitarren und warme Tastenklänge, die sich nicht in den Vordergrund drängen, sondern der Botschaft mehr Schwung und Gewicht verleihen, sich stets dem Song und den Worten unterordnen.
Erinnerungen an die Band Nationalgalerie werden wach, hinkender Vergleich aus einem vorherigen Leben, dem Produzent Philipp Steinke (Boy, Revolverheld, Kettcar) alle alten Flausen wegpoliert hat. Die Tatsache, dass auch internationale Liedermacher-Helden mit ihrem Songmaterial im ausstaffierten Band-Zusammenhang zuweilen kläglich scheitern, trifft hier erfreulicherweise nicht zu.
Und das muss man auch sagen, weil das ein oder andere Band-Arrangement aus Freverts Solo-Vergangenheit ziemlich belanglos war. Hier erstrahlen knackig-fette Songs wie »Ich suchte nach Worten für etwas das nicht an der Straße der Worte lag«, traurig-schöne Kompositionen wie »Leguane« und »Putzlicht«, die in ihrer altersweisen Rüpeligkeit gut mit alten Heimlich-Hits wie »Seltsam öffne mich« mithalten können. Es kann ja so einfach sein! Und wenn in der Indiedisco morgens das fiese Putzlicht angeht, werdet ihr ab jetzt immer melancholisch an den ewigen Geheimtipp namens Frevert denken müssen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Klenkes
10.09.2019
MUSIK
Killerpilze
Nichts ist für immer ...
Nordpolrecords/Soulfood/VÖ: 06.09.2019
Nach "17 Jahren Vollgas", wie es das Trio aus München selbst in ihrem digitalen Abschiedsbrief formuliert, ist nun die Zeit des Abschieds gekommen. Diese Platte und die anschließende Tour im November 2019 sollen die "vorerst" letzten Bandaktivitäten der Killerpilze sein. Und weil alles vielleicht nicht mehr so wichtig erscheint, läuft die ehemalige Teenieband in den zwölf Songs von "Nichts ist für immer" zur Höchstleistung auf.
"Da lässt sich was dran ändern, wenn du aufstehst, für etwas auf die Straße rausgehst", singen Jo und Mäx im Song "Mutausbruch", und das bezieht sich sicherlich nicht nur auf den allgemeinen Konsens, dass es höchste Eisenbahn ist, das Klima zu schützen, Populisten zu entlarven und generell bewusster zu leben. Spätestens seit der ersten Protestaktion von Klimaschutz-Galionsfigur Greta Thunberg sollten die Leute in den Machtpositionen der Welt verstanden haben, dass die Jugend nicht darauf hofft, dass endlich etwas passiert, sondern selbst die Initiative ergreift.
Jugend bedeutet für die Killerpilze die Gründung der Band im Jahr 2002 in Dillingen an der Donau, als sie alle noch zur Schule gingen. Die Bekanntheit der Alternative-Rock-Punkband nahm rasant zu. Ein erfolgreiches erstes Album bei einem großen Plattenlabel und endlos viele Konzerte in allen Ecken von Europa warfen die noch nicht volljährigen Musiker bald schon in den Rockstar-Strudel, mit dem man eben erst einmal umgehen lernen muss. Der bandeigene Kinofilm "Immer noch jung - 15 Jahre Killerpilze" von 2017 berichtet ausführlich und differenziert darüber. Auch von den nicht gerade wenigen negativen Seiten des plötzlichen Erfolgs.
Und nun haben sich die drei ehemaligen Teeniepresse-Schwärme für eine unbestimmt lange Pause entschieden, wie sie in einem auf der Homepage zu lesenden Brief verkünden. "Nach diesem Jahr ist es aber an der Zeit, Luft zu holen. Luft, um neuen Ideen zu begegnen", heißt es da. Das hat mit Erwachsenwerden zu tun, mit dem Wandel der Musikindustrie und vielleicht auch mit schwindendem Erfolg einer Band, die einst die durchaus coole und später wieder selbstbestimmte Variante eines Teenie-Rockstartraums war.
Da gerät das neue Album beinahe in Vergessenheit, völlig zu Unrecht. Sozialkritisch, politisch, nachdenklich, und in einen fetten Gitarrenrocksound verpackt, der immer noch in den Mainstream hineinpasst, aber an den Rändern auch ein bisschen rauer geworden ist. Die Distanz zum Genre "Deutschpunk" ist in einer guten Art und Weise schmaler geworden, und Features von Curse ("Nachtronauten"), Massendefekt ("Letztes Leben"), ZSK ("Gegenparty") und ITCHY ("Gefahr") beweisen, dass hier tatsächlich eine im Musikgeschäft durchaus geschätzte Band verloren geht.
Vorerst, wie es mehr als einmal von Seiten der Band heißt. Und mit einem souveränen und erwachsenen Album wie "Nichts ist für immer" kann man die Proberaumtür dann auch mit gutem Gewissen erstmal abschließen und Luft atmen gehen. The kids are erwachsen, das gilt nicht nur für die Band, sondern sicher auch für die Fans, die diese unbestimmte Pause und das zugehörige Album mit Trauer, aber auch mit Verständnis aufnehmen werden.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht in der Mittelbayerische
Zeitung
03.09.2019