MUSIK

Peter Oren

The Greener Pasture
Western Vinyl/Cargo/VÖ: 24.04.

Das amerikanische Musik-Fachmagazin »pichtfork.com« attestierte dem jungen amerikanischen Singer/Songwriter eine Stimme wie poliertes Eichenholz. Das ist klingt zwar erstmal nach einer oberflächlichen Reduktion, aber Oren unterfüttert dieses sonore Timbre mit weiteren, vermeintlich klischeehaften Fakten: Cowboy-Attitüde, Hillbilly-Raubeinigkeit, Geigen und Gesangsarrangements, die an Johny Cash, Smog und Nashville denken lassen.

 

Aber so einfach ist es auch in den Staaten manchmal dann doch nicht. Oren hat sich nach dem Debütalbum »Anthropocene« (2017) mit der Berufung als Musiker abgefunden, sich mit Aufnahmequipment in die Einöde zurückgezogen und legt nun einen Nachfolger vor, der amerikanischen Traditionen huldigt, sie aber auch hinterfragt und sich immer noch nicht sicher ist, wie er dem »notwendigen Systemwandel«, als Teil des Systems dienlich sein kann.

 

Neben knochentrockenen Gitarrenfolksongs, Slidegitarren, Geigen und mit Bourbon getränkten Chören finden auch elektronische Rhythmuspatterns (»The Greener Pasture«) oder Songs wie »John Wayne« Platz auf diesem Album, in dem diese überhöhte Cowboy-Heldenrolle mal ausgiebig und mit knarzendem Gesang hinterfragt wird. Denn auch das Leben als Musik-Hobo und Cowboy ist in diesen Tagen nicht eben einfacher und strukturierter geworden.

 

Oren liefert dazu eine fantastische Platte voller Klang-Klischees und Wildwestromantik, die sich selbst nicht zu ernst nimmt und dem stets so intellektuell-seriösen Americana-Stil zeigt, dass man durchaus mal zu seinen nicht immer ganz fleckenfreien Roots stehen kann. 

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                             24.04.2020


MUSIK

Ron Sexsmith

Hermitage
Cooking Vinyl/H'art/Sony/VÖ: 17.04.

Die Hoffnung auf künstlerische Erleuchtung war nicht der Grund dafür, dass der kanadische Singer-Songwriter vor einiger Zeit aus seiner langjährigen Heimat Toronto ins kleine Stratford, Ontario gezogen ist. Aber das Album „Hermitage“ schrieb sich in der ländlicheren Umgebung dann quasi fast von selbst, auch zur Überraschung des erfolgreichen Troubadours.

 

Wahrscheinlich waren ihm die Vorzüge des Landlebens in einer 30.000-Einwohner-Stadt wie Stratford schon vorher aufgefallen. Aber richtig deutlich wurde es wohl erst beim Einzug: „Sofort als wir hier ankamen fühlte ich wie der Stress von mir abfiel und im Gegenzug diese Songs auftauchten“, beschreibt der 56-Jährige die Ankunft im Presseinfo zu seinem mittlerweile 16. Album. „Ich bin jeden Tag am Fluss entlangspaziert und fühlte mich wie Huckleberry Finn oder so.“

 

Diese seelische Entspannung, weit weg vom wuseligen Toronto, mit all seinen Möglichkeiten und Ablenkungen wirkte nicht nur positiv auf die Kreativität, sondern auch auf die Art der musikalischen Arbeit aus. Zum ersten Mal spielte Sexsmith alle Instrumente (bis auf das Schlagzeug) selbst ein, aufgenommen wurde zusammen mit Produzent und Schlagzeug-Buddy Don Kerr im neuen Wohnzimmer. „Don sagte, ‚Warum machst du nicht so eine Paul McCartney-artige Platte?‘ und da ging mir echt ein Licht auf“, so Sexsmith, „da wäre ich nie alleine drauf gekommen.“

Und diese Bemerkung wirft einen neuen Betrachtungswinkel auf das flockige Schlagzeugspiel, die dumpfen Bassläufe und das Kaleidoskop an Harmonien, die Sexsmith auf „Hermitage“ offenbart, ohne dass er dabei seinen eigenen Sound mit der so charakteristischen Stimme verliert. Angeblich hat ihn Sir Paul ja vor einigen Jahren mal höchstpersönlich eingeladen, um mit ihm zu jammen, eine der vielen Geschichten, die die Runde machen, um Ron ins rechte Licht zu rücken, dass er so ja gar nicht nötig hat.

 

Denn auch dieses Album klingt sehr nach ihm selbst, sehr nach entspanntem Landleben und verströmt aufgeregte Lebenslust. Klar, wenn man sich nebenbei McCartneys Solo-Alben „Paul McCartney“ (1970) oder „Ram“ (1971) anhört, werden die Parallelen offensichtlich. Und obwohl es für diese Alben des Ex-Beatle bei den Kritikern schlechte Bewertungen hagelte, waren sie kommerziell erfolgreich. Sie enthalten zudem echte Klassiker, denen die neuen Sexsmith-Songs wie „Apparently Au Pair“ oder „Small Minded World“ gar nicht so weit hinterherhinken, wie man das vermuten würde. Auch er hat nämlich ein Händchen für gute Melodien, geschmeidige Arrangements und einen gemütlichen Optimismus, nach dem wir uns momentan wohl sicher mehr sehnen als je zuvor.

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht bei teleschau.de                                                                                 17.04.2020


MUSIK

The Strokes

The New Abnormal
RCA/Sony/VÖ: 10.04.

Die erste Single »At The Door« ließ schon im Februar aufhorchen: Hymnischer Synthi-Disco-Pop mit dieser tickenden und gleichzeitig lässigen Strokes-Präzision, cool. Doch es war sonnenklar, dass die New Yorker das Level auf ihrem mittlerweile sechsten Album, trotz Produzentenlegende Rick Rubin nicht durchalten würden.

 

Glücklicherweise können die vermeintlich allwissenden Rezensenten sich noch täuschen. Trotz des Albumklassikers »This Is It« von 2001, trotz der ewigen Coolness von Julian Casablancas, trotz der Tatsache, dass die Band immer noch in Originalbesetzung existiert und sich nie wirklich hat verbiegen lassen: »The New Abnormal« ist ohne Übertreibung ein großartiges Album geworden.

 

Ja, es sind auch Gitarren drauf, aber welche, die nicht schon wieder den Rock’n’Roll neu erfinden müssen (das haben die Strokes ja zur Jahrtausendwende schon getan). Es gibt Synthesizer, es gibt Casablancas außergewöhnliche, und hier durchaus mal verfremdete Stimme, und es gibt Songs.

 

Also die Essenz des Musikantentums, die in der Streaming-Endlosigkeit irgendwann den Fokus verloren hat. The Strokes klingen authentisch, und doch zwanzig Jahre reifer, weltgewandt und so souverän, wie es nach solch einem epochalen Debütalbum kaum möglich schien. Zackige Rhythmen, viele songdienliche Tastenklänge, Stakkatogitarren, Harmonien und den ewig gescholtenen Gitarreneffekt namens Chorus.

 

Unterm Strich aber eben bloß großartige, eingängige, logische Songs, bei denen man sich fragt, wie sie diese nach so langer Zeit nun plötzlich aus dem Ärmel schütteln. Jahrescharts, aber sowas von.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                             10.04.2020


MUSIK

Inwards

Bright Serpent
Small Pond/Rough Trade/VÖ: 10.04.

Psychedelische elektronische Musik, die sich bei den Texturen handgemachter Musik bedient und gemächlich hinwegklickert, ohne je in die strunzlangweilige Schublade namens »Ambient« zu tappen.

 

Tja, es ist schwierig die Sounds von Kristian Shelley aka. Inwards in knappen Worten zu beschreiben, dafür fließen hier zu viele Einflüsse und Gegenpole durcheinander. Seine EP »Feelings Of Unreality« (2019) und das Debütalbum »Diesel« (2018) ließen schon erahnen, dass hier jemand die Arbeit mit Synthesizern und elektronischem Studioequipment mal ganz unvoreingenommen angeht. Als alter Skateboarder, der erst kürzlich wieder zum Rollbrett zurückfand, hat er auch diesem Sportgerät einen Song gewidmet, der eben gar nichts mit New York Hardcore oder Skatepunk zu tun hat.

 

Kompositionen wie »19TET« oder »Tottertot« klingen nach amoklaufenden Demosongs aus coolen alten Synthesizern, die vor kuscheligen und verwirrenden Sounds nur so überquellen. Da sind die Steel-Drum-Samples auf »Flowers« schon fast keine Überraschung mehr, in diesem Gewusel zwischen Detroit-Techno, Electropop und Klangexperimenten, die Shelley in seiner selbstgebauten Studio-Kemenate zurechtgefrickelt hat.

 

»Bright Serpent« ist schlicht ein aufregend-großartiges Album voller schöner Ideen, toller Sounds und gepflegter Nostalgie, die einmal mehr beweist, dass das elektronische Musikfelde dem ewigen Folk- und Rock-Gehansel längst die Spannungsbögen geklaut hat. 

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                             10.04.2020


MUSIK

Die Happy

Guess What
Bullet Records/Soulfood/VÖ: 10.04.

Nicht nur wegen Corona sind das gerade merkwürdige Zeiten. Auch die Finanzierung eines Albums kann heute auf ungewöhnlichen Wegen realisiert werden. Die Band um Sängerin Marta Jandová hat nicht nur ihr letztes, sondern auch das neue Album „Guess What“ über eine Crowdfunding-Kampagne finanziert. Musikalisch bleibt die Band derweil bei ihrem bewährten Popcore-Sound.

Sechs Jahre Abstinenz, mit Babypause und zahlreichen Nebenprojekten, doch nun ist das Quartett wieder zurück. Zumindest mit einem neuen, Album, die Konzertdaten sind vorsorglich schon ans Ende des Jahres 2020 gepinnt worden, und das aktuelle Video zur Single „Here I Am“ wurde in Eigenproduktion im „stay-home“-Modus in den Wohnzimmern und Fluren der Bandmitglieder gedreht.

 

Die Happy können also nicht nur auf einen unermüdlichen Optimismus zurückgreifen, sondern sich auch auf eine sehr treue Fanbase verlassen, die sie schon beim letzten Album „Everlove“ (2014) mittels Crowdfunding unterstützt hat und sie in den letzten 25 Jahren auf mehr als 1200 Konzerten abfeierte. Im Gegenzug durften die Crowdfunder sich beim neuen Album mit ihrem Namen im Booklet verewigen lassen.

 

 

Und obwohl Die Happy bei der Finanzierung ihrer Musik, und auch bei der Nutzung moderner Kommunikationskanäle wie Instagram voll mit der Zeit gehen, berufen sie sich klanglich nach wie vor auf ihren standardisierten Poprock-Sound mit gelegentlichen Hardcore- und Numetal-Anleihen. Bombastisch hereinbrechende Rocknummern wie „Kiss Me“ entfachen genauso zuverlässig die 2000er-Jahre-Nostalgie, wie langsamere Rockballaden („Love Suicide“) zum melancholischen chillen auf der Couch einladen. Die Single „Here I Am“ schafft es da sogar kurz in eine Ohrwurm-Schleife, auch weil sie exakt der Erfolgsformel vom Poprock-Hit-Reißbrett folgt: ein hartes Gitarrenbrett, ein innehaltender Mitsing-Chorus und ein paar melodiöse Gitarrensolo-Linien im dritten oder vierten Refrain.

Damit gewinnt man natürlich keinerlei Innovationspreise, aber darauf war die Band aus Ulm ja eigentlich noch nie aus. Es ist eher diese rockig-perfektionistische Kuscheligkeit der späten 1990er und frühen 2000er Jahre in Deutschland, Arm in Arm mit Bands wie Guano Apes, Rammstein, H-Blockx, 4Lyn oder Emil Bulls, der die Band und ihre Fans gemeinsam hinterherschwelgen. Wer nicht länger darum bangen will, ob sein Lieblings-Rockfestival dieses Jahr denn nun stattfindet oder nicht, kann zu diesem Album die Camping-Atmo kurzerhand auf dem Balkon oder der Terrasse nachstellen.

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht in Nordbuzz                                                                                          09.04.2020


MUSIK

Wilma Archer

A Western Circular
Domino/GoodToGo/VÖ: 03.04.

Das Debütalbum »Company« von Will Archer erschien 2015 noch unter dem Pseudonym »Slime«, was natürlich in Deutschland für Verwirrung sorgte, schließlich hatten die Punks aus Hamburg den Namen schon 1979 für sich gepachtet.

 

Der neue Nom de Plume Wilma Archer ist nicht nur ein namentlicher Neuanfang, sondern auch ein stilistischer, statt wunderbarer Elektronik hat sich Archer in seiner Heimatstadt Newcastle klassisch-experimenteller Crossover-Musik verschrieben. In einem kleinen günstigen Appartement, umgeben von Gitarren, einem Schlagzeug und einem Piano schuf der Multi-Instrumentalist eine zähflüssige, aber durchaus spannende Klangsynthese, die Strukturen der elektronischen Tanzmusik mit klassischen Arrangements, Sprechgesang, Spoken Word und Poesie verbindet.

 

Die Gästeliste beinhaltet Samuel T. Herring, Sudan Archives und Laura Groves, die Liste nachhaltiger Impulsgeber ließe sich auf den Autor John Fante (bekannt durch Bücher über Paranoia und Todesangst) und Frank Zappas instrumentale Kompositionen beschränken. Ähnlich sperrig wirkt »A Western Circular« auch in seiner fließenden Erscheinung, die sich ständig an Kanten reibt, pompöse Arrangements und fremdelnde Grooves aufeinanderprallen lässt und stilistische Brüche auskostet.

 

Experimentelle Musik, die sich hinter entspannten Harmonien und Chillout-Flächen verbarrikadiert, das ist definitiv nichts für musikalische Grünschnabel und schnöde Passivgenießer.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                             03.04.2020


MUSIK

Stu Larsen

Marigold
Nettwerk/Warner/VÖ: 03.04.

Eigentlich stehen charmant-schmeichelhafte Singer-Songwriteralben momentan auf der roten Liste. Zu viele selbsternannte Poeten mit Akustikgitarre belagern die Hipstercafés und Rathausvorplätze dieser Welt. Aber auf ein »Eigentlich« muss natürlich eine Entkräftung folgen.

 

Denn auch mit »Marigold« kriegt dieser Popjuwelengräber Larsen einen wieder, tatsächlich glaubt man hier elf Songs lang aufrichtig an die Magie des talentreichen Songwritings. Ja, der langhaarige Mann aus Queensland spielt obendrein ein ziemlich passables Picking und hat eine samtig-freundliche Stimme, die einen ohnehin schon schnell in seinen Bann zieht.

 

Aber er kann auch hervorragende Songs schreiben, »Phone Call From My Lover« ist so ein simples Beispiel dafür, dass es nicht mehr braucht als ein gutes Arrangement, einen schüchternen Beat und ein paar zaghafte Töne aus der E-Gitarre, kombiniert mit einer tollen Stimme und ein bisschen Liebeskummer. »Hurricane« nähert sich klanglich bei den Kings Of Convenience an, kriegt mit Larsens Timbre aber schnell eine eigene Note, und beim gesetzt-groovenden »Wires Crossed« Countryfolk-Abstecher denkt man schon, dass Herr Larsen doch nun bald mal sein Songwriter-Genie-Pulver verschossen haben müsste.

 

Denkste! Diese eingängige Komplexität, kombiniert mit Texten über Liebe, Leben und Leidenschaft zieht sich auf »Marigold« bis zum letzten Akkord durch, da kann man nicht anders, als ehrfürchtig und erfreut die Dunstkiepe zu ziehen.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                             03.04.2020