MUSIK
Widowspeak
Plum
Captured Tracks/Rough Trade/VÖ: 28.08.
In den letzten zehn Jahren seit ihrer Gründung in Brooklyn hat sich das Duo hinter der schüchternen Flüsterstimme von Molly Hamilton und dem Psychedelic-Gitarren-Kaleidoskop von Robert Earl Thomas kontinuierlich in die Herzen der Musikkritiker gespielt.
Mit einer Mischung aus Folk, Dreampop, 60s-Psycho-Rock und einer »certain unshakeable Pacific-Northwestness«, wie es im aktuellen Info zur neuen Platte heißt. Wie schon beim letzten Album »Expect The Best« (2017) gönnen sich die Beiden wieder eine kleine Bandbesetzung mit Schlagzeug (Andy Weaver), Klavier (Michael Hess), Bass und Synth (Sam Evian), die den verträumten, verwirrten Harmlos-Sound stets in die richtige Flugbahn lotsen.
Mit »The Good Ones« ist ihnen ein großartiger und staubtrockener Western-Funksong gelungen, der in einer Reihe mit guten Einfällen und Arrangements wie der spannenden Ballade »Amy« oder dem tollpatschigen Fleetwood Mac-Double »Even True Love« steht. Womit Hamilton und Thomas ihren Ruf als unscheinbar-verzauberte Songwriter weiter festigen, verspulte Songs mit viel Gefühl, versteckten Verzierungen und einer einzigartigen Sängerin, der man mit großer Ausnahme auch mal den ein oder anderen schiefen Ton verzeiht
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 04.08.2020
MUSIK
Slomosa
Slomosa
Apolon/Plastic Head/VÖ: 28.08.
Schon die im Oktober 2019 erschienene Single »Horses« ließ vermuten, dass diese Musiker aus Norwegen wahrscheinlich große Verehrer von Kyuss, Queens Of The Stone Age, Red Fang und dem typischen Stoner Rock-Bulldozer-Sound sind. Mittige Gitarrenwände, kurze Fuzz-Melodielinien, viel Haupthaargeschüttel.
Die Single wanderte schnell in die »Stoner Rock«- und »Norwegian Rock«-Playlisten von Spotify und dieses selbstbetitelte Debütalbum ist die logische Fortführung für den ironisch als »Tundrarock« umschriebenen Sound der Band. Auf den ersten Blick scheinen alle klanglichen Manöver natürlich vorhersehbar, eine eng verschraubte Klangschublade bietet wenig Platz für Experimente.
Aber trotzdem schaffen die Skandinavier es, dem bekannten bösen Grollen eine ansprechende Gefälligkeit zu verpassen. Der Schlagzeuger prügelt, zwei runtergestimmte Gitarren dröhnen und die tiefen Töne der neuen Bassistin Marie Moe drücken Wut und Verzweiflung durch die Lautsprecher, die von geschmeidigem Gesang konterkariert werden. Alle acht Songs punkten mit Melodiegefühl und variieren zwischen schnellen Rockern und moshenden Mid-Tempo-Songs. Nicht bloß ein Aufguss der immergleichen, lauwarmen Klischees, sondern eine durchaus poppig-inspirierte Platte, die gleichermaßen zum Luftgitarre spielen wie zum Autofahren geeignet ist.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 04.08.2020
MUSIK
CLT DRP
Without The Eyes
Small Pond/Rough Trade/VÖ: 28.08.
Der Bandname (»Clit Drip« ausgesprochen) des Electro-Punk-Trios zeigt schon, dass Provokation, Krawall und Feminismus hier eine tragende Rolle spielen. Mit Peaches als großer Referenz haut Annie Dorrett ihre Texte raus - gesungene, geschriene, gejodelte und gerappte Klagen, die ihr Verhältnis zum Feminismus und zur Welt thematisieren.
»Ich habe viele Fehler gemacht, im Bezug auf die Art wie ich mich selbst und die Frauen um mich herum betrachte«, erklärt sie im Pressetext zu diesem Debüt, das genug kluges Textmaterial liefert, um tiefer in diese Gedankenstränge einzutauchen. Womit aber noch nichts zur eindringlich-aufwühlenden Musik gesagt ist.
Ein berstender Mix aus verfremdeter Klangsynthese, Punkschlagzeug und zerbröselnden Grooves, die mit ihrer erfrischenden Unberechenbarkeit das Gefühl vermitteln, endlich mal wieder musikalisch herausgefordert zu werden. Allein ein Song wie »Seesaw«, der zwischen exzentrischem Falsett-Gesang, pumpenden Elektropunk-Breaks und melancholischen Verschnaufpausen aus der Synthesizer-Ecke hin und her hüpft, reicht, um Lunte riechen zu lassen.
Und solange das Konzerterlebnis weiterhin vertagt wird, kann »Without The Eyes« diese brachiale, aufrüttelnde, aber auch berührend-poppige Klangmixtur sehr überzeugend vermitteln. Live sind Annie, Daphne und Scott sowieso ein wütender Vulkan, dessen konservatives Fundament aus Schlagzeug, Gitarre, Gesang (und, zugegeben, vielen Effekten) noch mehr Direktheit transportiert. Bis dahin: Abrissbirne im heimischen Quarantänewohnzimmer, und definitiver Jahreschartsvermerk.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
04.08.2020
MUSIK
Fullax
Dann Dann Dann
Ferryhouse/Rough Trade/VÖ: 21.08.
Deutschpop in der Krise? Jenseits von Belanglosigkeiten wie LEA, Mark Forster, Pietro Lombardi oder Joris und einem großen Haufen von HipHop-Halbstarken ist es in den Charts recht einsam geworden, wenn man dort nach eingängigen, aber gut gemachten Titeln sucht.
Wobei die Charts ja nun von Streaming-Diensten kontrolliert werden und das die Beliebigkeit der Inhalte wahrscheinlich nur noch verstärkt. Das Duo Fullax aus der Nähe von Kassel hat sich seinen durchaus massenkompatiblen Synthie-Popsound ohne fremde Hilfe in einem eigenen Studio zusammengesteckt, der Abstandshalter zu den oben Genannten ist hier auf jeden Fall die textliche Komponente.
Sänger/Gitarrist Julian Giese und Schlagzeuger Jonas Hoppe krönen ihre etwas weichgespülten Annäherungsversuche an MGMT, Chvrches oder Daft Punk mit schönen Pop-Befindlichkeitstexten. »Du bist mir egal so wie ich dir egal bin« (»Egal«) findet da einen Mittelweg zwischen jüngerer Zielgruppe und poetischem Anspruch, dessen Rhythmik durchaus eingängig im Ohr hängenbleibt. Ein bisschen mehr Mut auf der Suche nach frischen Sounds hätte trotzdem nicht geschadet, um der gleichgeschalteten Popmusik des Landes vielleicht doch ein wenig mehr die Stirn zu bieten.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
04.08.2020
MUSIK
Whitney
Candid
Secretly Canadian/Cargo/VÖ: 14.08.
Was der Auslöser für die Veröffentlichung eines Albums mit Coversongs sein könnte, ist natürlich nie ganz klar. Im schlimmsten Fall so etwas wie eine Schreibblockade. Sänger und Schlagzeuger Julien Ehrlich gesteht vorab, dass sie natürlich nicht an die originalen Songwriter in ihrem eigenen Metier heranreichen könnten.
Weswegen sie nach Songs suchten, die sie zu etwas Eigenem formen konnten, ohne den genialen Kern des Originals zu zerstören. Mit dabei sind u.a. Songs von Kelela, Damien Jurado, Moondog, »Strange
Overtones« von David Byrne and Brian Eno, »Rain« von SWV und »Rainbows And Ridges« von Blaze Foley. Eine schöne Sammlung von hierzulande eher unbekannten Nummern, deren Coversong-Anzahl in den
Playlisten der Streaming-Dienste relativ klein sein dürfte. Weswegen sich die Band auch für den einzigen Evergreen auf der Platte, »Country Roads« von John Denver, Katie Crutchfield von
Waxahatchee als zweite Stimme dazuholte.
Dieser Song definiert ganz gut das richtige Maß an Verehrung für gute Songs, nah am Original, aber doch ganz anders. Und da die meisten Titel hier eh etwas für fanatische Plattensammler sind, darf man das Pferd ruhig von hinten aufzäumen und sich nach dem Genuss dieser Platte die Originale im Secondhand-Recordstore als 7“-Vinylsingle raussuchen. Okay, oder eben mit einem Streamingdienst schummeln.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Aachener Stadtmagazin Klenkes 04.08.2020