MUSIK

Louis Philippe & The Night Mail

Thunderclouds

Tapete/Indigo/VÖ: 11.12.

Auch der Baroque-Pop von Philippe Auclair (der unter diesem Geburtsnamen ein bekannter Fußballjournalist in England ist) passt gut in die Adventszeit, Pandemie hin oder her. Und während viele Acts dieses Jahr umständehalber ein wenig ins Straucheln gekommen sind, haut er nach dem Album »The Devil Laughs« (eine Zusammenarbeit mit Young Marble Giant Stuart Moxham) noch dieses Anschlusswerk auf den Tonträgermarkt.

 

Gemeinsam mit der Drei-Mann-Band The Night Mail (Musiker/Journalist Robert Rotifer, Ex-Paul Weller Band-Mitglied Andy Lewis und Death in Vegas-Schlagzeuger Ian Button) hat der gebürtige Franzose und Wahl-Londoner aus zahlreichen Song-Skizzen einen guten winterlichen Swing zwischen knackigem Beatles-Pop, Chamberpop-Schwere und hoffnungsvoller Filmmusik-Orchestrierung herausgearbeitet.

 

Souveräne Jazz-Anklänge, zarte Tropicalia- und Folk-Töne, urbane Soundscapes (»Alphaville«) und sogar keltische Klänge (»Do I«) hat das musikalische Super-Trio mit Philippe erarbeitet, die wegen ihres gelegentlichen Hangs zum Kitsch ganz hervorragend als alternative Weihnachts-Hintergrundmusik taugen. Und das soll gar nicht abwertend aufgefasst werden, schließlich ist es überaus schwer, dem Lametta-Fest musikalisch noch einen originellen und verträglichen Drall zu geben, der sich auch noch gut ins neue Jahr hineintragen lässt.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                        04.12.2020


MUSIK

The Postal Service

Everyhting Will Change

Sub Pop/Cargo/VÖ: 04.12.

Da dieses Live-Album schon Anfang Dezember erschienen ist, drängt sich der Verdacht auf, dass es wohl als Weihnachts-Single-Ersatz im Geschenke-Marathon herhalten sollte.

 

Immerhin gab es schon 2014 den gleichnamigen Dokumentar-Konzertfilm dieses in 2013 im Greek Theatre in Berkeley mitgeschnittenen Auftritts des Projekts um den Death Cab For Cutie-Frontmann Benjamin Gibbard. Nun also nochmal als Stream, den Remix hat Don Gunn übernommen, das neue Mastering stammt von Dave Cooley. Allerdings ist es natürlich auch so, dass das Projekt The Postal Service faktisch nur ein Studio-Album (»Give Up« von 2003, ein unerwarteter Top-Seller für das Label Sub Pop) veröffentlicht hat, alle mit ihren eigentlichen Bands schon schwer eingespannt sind, und dieser Auftritt von Gibbard, Jimmy Tamborello (Dntel), Jen Wood (Tattle Tale und Solo) und Jenny Lewis (Rilo Kiley und Solo) eine Spiel- und Lebensfreude versprüht, die wir derzeit gut gebrauchen können.

 

Enthalten sind alle ihre Indietronic-Hits wie »Such Great Heights«, »The District Sleeps Alone Tonight« oder »Sleeping In« und eine Coverversion von »(This Is) The Dream Of Evan And Chan«, ursprünglich von Jimmy Tamborellos Soloprojekt Dntel zur Welt gebracht.

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                        04.12.2020


MUSIK

Calexico

Seasonal Shift

City Slang/Rough Trade/VÖ: 04.12.

Echt jetzt? Ein Weihnachtsalbum von den Wüstenfüchsen aus Tucson, Arizona? Naja, Sänger und Frontmann Joey Burns spricht in diesem Zusammenhang lieber von einem »Seasonal Album«, aber die Verquickung von staubigem Besenschlagzeug, wabernden Tremologitarren und melancholischen Bläsern lässt sich mit ein bisschen Überzeugungskraft auch erfolgreich unter die Weihnachtstanne schieben.

 

Und obwohl das musikalisch natürlich manchmal eindeutig kitschig wird, ist bei der Songauswahl doch höchst ernsthaft gearbeitet worden. »Hear The Bells« beschreibt inmitten wohliger Klänge Feierlichkeiten wie den »Dia de Los Muertos« und »The All Souls Procession« die im November zur Kulturfolklore von Southern Arizona gehören.

 

Als Gäste sind Gaby Moreno, Nick Urata (DeVotchKa), Camilo Lara und Gisela João dabei, und natürlich dürfen auch Coversongs (u.a. John Lennon und Tom Petty) hier nicht fehlen. Und wer sich damit angefreundet hat, dass in der Weihnachtszeit eben Kitsch, Zimtgebäck und musikalische Eintönigkeit zum Tagesgeschäft gehören, wird mit dem spanischen Weihnachtslied »Mi Burrito Sabanero« in der mexikanisch-groovenden Adaption von Calexico jeder Bescherung eine originelle, neue Nuance verpassen wollen.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                       04.12.2020


MUSIK

Deafheaven

10 Years Gone

Sargeant House/Cargo/VÖ: 04.12.

Ein Live-Album in 2020? Das war eigentlich so überhaupt nicht geplant, wollten die Blackgaze-Berserker aus San Francisco doch eigentlich dieses Jahr auf ausgedehnte Nordamerika-Tour gehen, um ihr zehnjähriges Bandjubiläum zu feiern.

 

Doch das böse »C« machte auch bei Deafheaven einen dicken Strich durch die Pläne, sodass die Band um George Clarke und Kerry McCoy kurzerhand ein Livealbum mit acht Songs aufnahm, die Jack Shirley in seinem Atomic Garden-Studio festhielt. So kommt die oftmals zurecht stiefmütterlich behandelte Kategorie »Live-Album« zu neuen Ehren.

 

Mit dem brachialen Screamo-Inferno »From The Kettle Onto The Coil« brettert das Quintett los, spielt den frühen Song »Daedalus« genauso kompakt wie den Band-Liebling namens »Vertigo«, oder das Stück »Glint« vom letzten regulären Studioalbum »Ordinary Corrupt Human Love« (2018), dass verstärkt die träumerischen Shoegaze-Momente aus der Band herauskitzelt.

 

Mit beeindruckender Präzision und bekanntem Tiefgang präsentiert, passt dieses Album sehr gut in ein verwirrendes, beängstigendes, unsicheres Jahr 2020 – ein spontaner Mix aus Live- und Best-Of-Momenten, verschnürt mit der optimistischen Hoffnung, dass die Kultur nächstes Jahr wieder befreit durchatmen wird.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                                       04.12.2020