MUSIK
Skullcrusher
Skullcrusher EP
Secretly Canadian/Rough Trade/VÖ: 26.06.
Weil in Corona-Zeiten alles ein bisschen anders erscheint, kann man plötzlich auch wieder das vernachlässigte Format »EP« (Extended Play) würdigen – obwohl doch auch genug Müßiggang für ein Konzept-Doppelalbum bestünde.
Wem offenbart man sowas bloß, in Zeiten von Streaming-Diensten? Aber Helen Ballentine, der gute Geist und das große Genie hinter dieser Debüt-EP, ist keine Künstlerin von der man lediglich einen Song in die neue Dauerschleifen-Playlist rüberzieht. So hart wie der Bandname klingt, so weich sind ihre träumerischen Akustiksongs mit gedoppeltem, sphärischem Gesang, deren Intensität sich aus Timing und Harmonietrunkenheit speist.
Bon Iver scheint kurz sehr nah. Tief schrammelt die Gitarre zu Ballentines Gesangslinien, Banjo, Piano und Trompete von Noah Weinman hinterlassen ihre charmanten Melodien irgendwo im Hintergrund, auf »Day Of Show« setzt plötzlich ein grooviges Schlagzeug ein und dann sind diese vier großartigen Songs schon wieder vorbei. Knappe zwölf Minuten Wahrhaftigkeit sind heutzutage zwar schon eine gewagte Forderung an die Aufmerksamkeitsspanne der U30-Generation, aber Skullcrusher wird die Mehrheit in glücklicher Trunkenheit erliegen.
Warum das EP-Format bei den Plattenfirmen gerade so viel Anklang findet (weniger Studiozeit, weniger Unkosten, weniger Gezeter?), ist uns noch nicht so klar – in diesem Fall ist es ein kompaktes Geschenk mit Hoffnung auf bessere Zeiten. Sollte es 2020 merkwürdigerweise EP-Jahrescharts geben, das hier wäre ganz vorne dabei.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 05.06.2020
MUSIK
Phoebe Bridgers
Punisher
Dead Oceans/Cargo/VÖ: 19.06.
Durch ihre Nebenprojekte wie boygenius (mit Julien Baker und Lucy Dacus) oder Better Oblivion Community Center (mit Conor Oberst), Gastauftritte bei The 1975, Lord Huron oder The National ist die Arbeit der Singer-Songwriterin und studierten Jazzsängerin aus Los Angeles unter eigenem Namen in den letzten zwei Jahren ein bisschen zu kurz gekommen.
Was die Erwartungshaltung nicht eben schrumpfen ließ – gerade auch, weil die beiden anderen Band-Projekte ebenso großartig waren wie ihr Debütalbum »Stranger In The Alps« (2017). Entwarnung gab es durch die beiden höchst unterschiedlichen Vorab-Singles »Kyoto« (hoffnungsvoller Indierock-Stampfer) und »Garden Song« (todtraurig-intimer Minimalpop mit herzerweichendem Gesang), da konnte eigentlich nichts mehr schief gehen.
Und tatsächlich können auch die übrigen neun Songs des zweiten Albums wieder Herzen gewinnen, Tränen erwecken und Lächeln erzeugen – kleinteilige Liedgiganten, die sich vornehmlich in der dunkleren, aber kuscheligen Ecke des Raumes aufhalten. Sanfte E-Gitarren-Pickings, rhythmische Geräusche, Klangreflektionen und Bridgers‘ hauchig-traurige Stimme wollen kein Mitleid und keine Depressionen, sondern sanfte Umarmungen und knuffige Gesten.
Auch Songs wie »Chinese Satellite«, die sich langsam zu lawinenartiger Größe aufbäumen, behalten diese sanfte Bescheidenheit bar jeder Aggression. Das muss man
erstmal hinkriegen. Schon wieder.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 05.06.2020
MUSIK
John Legend
Bigger Love
Capitol/Sony/VÖ: 19.06.
Verantwortlich zu sein für den angeblich beliebtesten Hochzeitssong aller Zeiten („All Of Me“) – ein Stempel, der den Soulsänger keineswegs stört. Denn schließlich kann er nicht nur schmelzend-zarte Soulballaden zaubern, sondern äußert sich öffentlich auch immer wieder zu sozialen und politischen Missständen. Sowas hat auf seinen Alben, wie dem neuen „Bigger Love“ allerdings weiterhin keinen Platz, dort wird mehr denn je der Liebe in allen Varianten gehuldigt.
Gut, wenn der „King of Schmaltz“ (so der britische „Independent“) in Songs wie „Bigger Love“ oder „Never Break“ über Brüche und Widerstandskraft singt, könnte das sozialkritisch gedeutet werden, etwa in Richtung Corona-Krise, oder den jüngsten Tötungen von farbigen Mitbürgern durch die amerikanische Polizei. Aber da war das Album ja schon längst im Kasten und es scheint so eine Grenze zwischen Legends durchaus nicht naiven Blick auf die Welt und seinem kuschelig-zarten, stets bis über beide Ohren verliebten R’n’B-Sound zu geben, die auch dieses Mal nicht überschritten wird.
Dass der Grammy-Gewinner aus Ohio längst in einem Atemzug mit Soul-Größen wie Marvin Gaye, Isaac Hayes, oder auch Prince genannt wird, ist indes nicht so ungewöhnlich. Denn den schmusigen, leicht funkigen, stets unaufdringlichen Bettgeflüster-Sound hat der Sänger mit seiner cremigen Stimme absolut perfektioniert. Für dieses siebte Album hat er Raphael Saadiq (Joss Stone, D’Angelo, Mary J. Blige, Whitney Houston) als Produzenten engagiert und klanglich ist „Bigger Love“ ein absolut stimmiges Leerstück in Sachen Soul und R’n’B geworden, zu dem Liebende gerne mal intim werden können.
Und daran ist auch eigentlich nicht zu rütteln: Legend liefert wie erwartet einen perfektionistischen Sound ab, der als Konsenz-Backgroundmusik prima funktioniert. Gleichzeitig begeistert das Album mit einer präsenten Emotionalität, die nicht gespielt wirkt – der Klang, mit dutzenden Referenzen in die Soul-Vergangenheit – schafft es stets, die Klippen der schnulzigen Bedeutungslosigkeit zu umschiffen. Manchmal braucht er dafür wenig mehr, als eine aufgeweckte Sub-Bass-Linie, oder eine schneidende Tremolo-Gitarre, die man in den Motown-Studios wohl auch nicht überzeugender hingekriegt hätte. Und wir können einen beruhigend-unpolitischen Soundtrack in diesen Tagen sicherlich auch ganz gut gebrauchen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht bei msn.com 19.06.2020
MUSIK
Larkin Poe
Self Made Man
Tricki-Woo Records/H'Art/VÖ: 12.06.
Die Lovell-Schwestern sind spätestens seit ihrem erfolgreichen Album „Venom & Faith“ von 2018 die weibliche Speerspitze des rohen, amerikanischen Roots-Rock. Mit „Self Made Man“ fügen sie ihrem lebhaften Sound nun noch ein paar tanzbare Ecken und moderne Akzente hinzu, die ihre Definition von Blues in die Moderne tragen.
Ein sogenannter „Selfmademan“, also eine Person, die sich ihren wie auch immer gearteten Erfolg selbst erarbeitet hat, kann heutzutage natürlich auch eine Frau sein. Deswegen darf der Opener auf Larkin Poes nunmehr fünften Album auch ruhig „She’s A Self Made Man“ heißen. Denn die Lovell-Schwestern, die sich hinter dem Bandnamen Larkin Poe verbergen, nehmen Sachen gerne selbst in die Hand und haben sich ihren Erfolg ohne viel fremde Hilfe erarbeitet. Schon ihr drittes Album „Peach“ veröffentlichten Rebecca (Gesang, Gitarre, Banjo, Mandoline, Klavier) und Megan (Gesang, Lap-Steel, Dobro-Gitarre) auf eigene Faust, und diesmal haben sie auch direkt alles selbst produziert und mit Freund und Toningenieur Roger Alan Nichols in ihrer neuen Heimat Nashville aufgenommen.
Nachdem „Venom & Faith“ 2018 die Spitze der amerikanischen Billboard-Charts erklomm und der Band eine Grammy-Nominierung einbrachte, begaben sich die Lovells erstmal auf eine 18-monatige Tour von Nashville bis nach Neuseeland und zurück, spielten das Bonnaroo-Festival, Lollapalooza und den Mountain Jam, begeisterten das Publikum an der Seite von Keith Urban oder als Opener von Bob Seger und waren am Ende kaputt, aber glücklich. Auch „Self Made Man“ lebt von der Kraft und Energetik, die Rebecca und Megan aus E-Gitarre, Slidegitarre und ihren energetischen Stimmen herauspressen, die oftmals zweistimmig den amerikanischen Roots-Rock-Mainstream und krachige Straßenmusik-Gitarrensounds vereinen.
Ein Song wie „Holy Ghost Fire“ lebt gleichermaßen von knarzenden Overdrive-Gitarren, stampfendem Beat und einem eingängig-gesungenen Chorus. „Scorpion“ offenbart noch blasse aber erkennbare Blues-Roots, tanzbare Rhythmik und Pop-Melodien kämpfen hier mit verfremdeten Gitarren-Arpeggios um die Wette. Auf „Back Down South“ darf schließlich der kommende junge Gitarrenheld Tyler Bryant aus Texas eine scharfkantige Blues-Gitarre beisteuern, während „Danger Angel“ ein etwas zurückhaltenderer Song ist, der dann schließlich doch von Megans weinender Slidegitarre aufgescheucht wird. Mit „God Moves On The Water“ von Blind Willie Johnson findet zudem ein Coversong seinen Platz im durchaus vielfältigen Stilangebot der Platte.
Larkin Poe schaffen die sehr schwierige Gratwanderung zwischen traditionell-konservativem (und meist weißem) Roots-Rock, schwarzem Bluesgesang und zeitgemäßen Sounds, die das manchmal zuweilen wilde Gitarrengehabe mit Effekten, stets tanzbaren Rhythmen und schönen Gesangsmelodien auch einem jüngeren Publikum zugänglich machen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht bei msn.com 19.06.2020
MUSIK
Rolling Blackouts Coastal Fever
Sideways To New Italy
Sub Pop/Cargo/VÖ: 05.06.
Schwierige Zeiten allenthalben – bei der Band aus Melbourne folgte auf das hysterisch-abgefeierte Indierock-Debütalbum »Hope Downs« 2018 eine nimmer enden wollende Tour, die ihnen das nötige Durchhaltevermögen abverlangte und graue Haare produzierte.
Doch nun steht Album Nummer zwei in den Startlöchern, und sie haben es tatsächlich geschafft, diesen fröhlichen, verschwitzten, abwechslungsreichen Jangle-Indie-Gitarrenpop-Sound wieder völlig unbefangen auf Platte zu bannen. Britische Chorus-Gitarren, australische Hemdsärmeligkeit und weltmännisches Pop-Songwriting gehen für das Quintett in eine weitere, erfolgreiche Runde.
»New Italy« bezieht sich dabei auf das gleichnamige Dorf in der Nähe von New South Wales, dort wo Drummer Marcel Tussie herstammt. Ein Ankerpunkt für dieses Heimwehgefühl, die fehlende Erdung und die überkommende Melancholie, die eine Band in den Fängen des endlosen Tour-Karussells schonmal überkommen kann. Aber RBCF hat es letztlich beflügelt, und es fällt schwer, bloß einen der insgesamt zehn neuen Songs herauszupicken, um zu untermalen, wie gelungen dieses überaus britische Album geworden ist.
»Cars In Space« bringt eine Mischung aus The Smiths und Vampire Weekend groovend auf den Punkt, »She’s There« ist ein aufpeitschendes Liebeslied mit grollender Basslinie, welches man auch vorzugsweise in England verorten würde. Und das ist trotz Brexit immer noch eine ausgezeichnete Referenz für mitreißende Popmusik.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 05.06.2020
MUSIK
Jockstrap
Wicked City EP
Warp/Rough Trade/VÖ: 05.06.
Angst vor Gegensätzen sollte man vor dem Genuss der zweiten EP des Duos Jockstrap (bestehend aus Georgia Ellery und Taylor Skye) tunlichst ablegen. Denn wenn die Beiden ihre gesammelte musikalische Absorption mit einem lauten »Fuck it« auskippen, verwischen Dubstep, Wave, Electro-Pop, Klassik und operettenhaft-übersteigerte Arrangements sich zu einer Verkettung von Fragezeichen.
Genau die richtige Mischung, um im musikalischen Wachkoma mal wieder Emotionen wahrzunehmen. »Acid«, die erste Single der EP (sic) verbindet Ragtime-Groove mit schmierigen Synthesizer-Melodien und der glasklaren Stimme von Ellery, die nie ganz überzeugt davon scheint, dass der nächste Ton unbedingt der erwartbare Ton sein muss.
Dabei sind die beiden Londoner keine krawallbürstigen Styler, die der Aufmerksamkeit hinterherlechzen, sondern reflektierte Musiker (Ellery ist auch Violinistin und studiert Jazzmusik, Skye studiert elektronische Musik) mit einem guten Sinn für Humor, der sich nicht für Stilgrenzen, sondern für die musikalische Kraft des Endproduktes interessiert. »Yellow In Green« glänzt mit klassischen und schnellen Klavier-Arpeggios, »Robert« taucht mit tiefen Bässen und HipHop-Rhymes direkt in mehrere Stil-Abwandlungen jenseits des Dubstep ein.
Fünf Stücke und knapp zwanzig Minuten Verwirrung, die nach einigen Durchgängen doch eine gewisse Sinnhaftigkeit offenbaren und gar nicht mehr so destruktiv erscheinen, wie sie Anfangs anmuten.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 05.06.2020