MUSIK
Space Afrika
Honest Labour
Dais/Cargo/VÖ: 27.08. Stream|mp3|CD|Vinyl
Aus dem englischen Manchester kommt ein weiterer Versuch das Kunsthandwerk »Musik« auf die nächste Evolutionsstufe zu schieben. Komplexe Arbeit mit losen Versatzstücken, klanglichen Schichten und einzelnen musikalischen Hooks, die sich in einer wabernden Beliebigkeit als Ankerpunkte manifestieren.
In einer oberflächlicheren und tanzbareren Variante nannte man das mal »Ambient Music«, aber die Arbeit dieses Duos geht tiefer, bindet Sprachsamples ein, Versatzstücke der Weltmusik und Naturgeräusche, stets eher mit einem verstörenden, unharmonischen Ziel vor Ohren. »Lose You Beau« ist der klanggewordene Moment, in dem der Zuhörer auf LSD in einem dichten Dschungelgeflecht zur Besinnung kommt, und die Umwelt nur noch aus fremden Tierlauten, tropfenden Höhleneingängen und bedrohlichem Rauschen besteht.
»Über Musik zu schreiben ist wie…«, Sie kennen die alte Leier. Und bei »Honest Labour« muss man als Musikschreiberling unweigerlich darüber nachdenken, ob daran vielleicht doch was dran ist. Denn dieser Klangteppich in 19 Teilen ist schwer zu greifen, und doch als Hintergrundgeräusch viel zu schade, weil dann doch eine ganze Menge passiert. Dahinter steckt ein ausgetüftelter Plan, der Mosaike wie Kacheln zusammenfügt, bei denen der vielschichtige Albumtitel nur ein zu googelnder Anfang sein kann.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 03.08.2021
MUSIK
Tropical Fuck Storm
Deep States
Joyful Noise/Cargo/VÖ: 20.08. Stream|mp3|CD|Vinyl|MC
Ein erneutes Update zur vielleicht obsoleten Frage, wie Punk 2021 klingen sollte. Die Krachmacher aus Melbourne, namentlich Gareth Liddiard, Fiona Kitschin (beide auch bei Drones), Erica Dunn (Mod Con) und Lauren Hammel (High Tension) haben eine Antwort, aber es ist ihnen natürlich gleichgültig, ob das jemand hören will. Die klassische Anti-Haltung, die mit dem Anspruch eines Protestalbums zusammenstößt.
Denn »Deep States« ist in zweiter oder dritter Linie ein solches Protestalbum, gegen Konzernmedien, Waterboarding-Marsianer, Pizzagate, The Shining Path und Romeo-Agenten, gegen Kapitalismus und Mainstream, für krachige Alternativen und eine ewigwährende gute Portion Humor.
Und ja, Punk funktioniert nur noch bedingt mit drei Stromgitarren-Akkorden und einem Mitgröhl-Refrain an der Kante zur Volksmusik. TFS nutzen Kakophonie, weiblich-männliche Chöre, predigenden Sprechgesang, leiernde Soundschnipsel und musikalische Cut-Up-Techniken, um ihre Botschaft durchzuboxen. Das ist von popkulturellem Musikgestreichel ziemlich weit entfernt und über weite Strecken anstrengend für mainstream-geschmirgelte Ohren.
Aber da die Australier ohnehin etwas härter drauf sind, belohnten sie TFS 2019 bei den Music Victoria Awards mit der Auszeichnung für »Best Rock/Punk-Album« und ehrten Erica Dunn als »Best Female Musician«. Wer meint Sonic Youth, Bailter Space und Brian Jonestown Massacre verstanden zu haben, darf hier weitergraben.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 03.08.2021
MUSIK
Villagers
Fever Dreams
PIAS/Invada Records/Rough Trade/VÖ: 20.08. Stream|mp3|CD|Vinyl
Zwischen Songwriter-Herzschmerz und einem unverhohlenen Faible für Musical-Dramaturgie hat Conor O’Brien sein fünftes Studioalbum in die Welt entlassen. Während man bei einem Song wie »So Simpatico« förmlich die Abtitelung einer furchtbar aus der Zeit gefallenen 1980s-US-Sitcom vorbeifliegen sieht (inklusive Saxophon-Solo und Weihnachtsglöckchen), wirkt das deutlich straightere »The First Day« mit paukigem Schlagzeug, geschätzt vierzig Chorstimmen und knackigen Bläser-Arrangements schon deutlich charmanter.
Gerade diese taumelnde Emotionalität verleiht O’Brien eine gewisse Faszination, die einen schwächere Songs wie »So Simpatico« oder das klatschige-Klaviergeheule »Full Faith In Providence« kurz vergessen lässt. Spätestens wenn im langsam aufbäumenden »Restless Endeavour« das intonierende Klavier in Flammen aufgeht und die Klimax inmitten von groovigen Schlagzeugfills und Bläserkanonaden ihren Zenit erreicht, fühlt man sich emotional im Stich gelassen.
Villagers Lust an weinerlichen Klavier-Depressionen schwächt die großen Songs des Albums, gerade weil O’Brien oft genau den richtigen Ton trifft, emotionale Nähe und klischeefreie Komposition durchaus schlau zu vereinen weiß. Letztlich ist es vielleicht die äußerst differenzierte und Hifi-eske Produktion von David Wrench (Frank Ocean, The xx, FKA Twigs), die »Fever Dreams« doch auf die Gewinnerseite zieht. Und genau für solche Zweifler hält die Neuzeit ja personalisierte Playlisten bereit.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Stadtmagazin Schnüss 03.08.2021
MUSIK
Deafheaven
Infinite Granite
Sargent House/Cargo/VÖ: 20.08. Stream|mp3|CD|Vinyl
In der Vergangenheit war die Mischung von Black Metal, Postrock und Shoegaze, aus der Deafheaven ihre Blackgaze-Spielwiese strickten, eine Offenbarung wie Grenzerfahrung zugleich. Genre-treue Musikfanatiker konnten diesem vermeintlich hippen Crossover-Getue natürlich nichts abgewinnen.
Aber wer von den immergleichen Genre-Grenzen längst genervt und ausgelaugt war, fand bei Sänger George Clarke und seiner Band eine spannende Neusortierung des überlauten Gitarrengeschwurbel-Anspruchs. Und »Infinite Granite« wirkt da beinahe wie ein Friedensangebot nach alten Grabenkämpfen, über dem die Versöhnlichkeit von verhallten Wavegesängen liegt, die Clarke stimmlich von hoch über tief bis hin zu mehrstimmigen Harmonien schwelgen lassen.
Vielleicht eine durch das Livealbum »10 Years Gone« von Ende 2020 hervorgerufene Transformation, welche die Screamo-Elemente fast vollständig aus der Präsentation gestrichen hat. Die 100 Meter hohen Gitarrenwände sind zwar geblieben, der überbordende, pompöse Sound stößt beinahe in 30 Second To Mars-Gefilde vor, aber alles wirkt etwas entschärfter, poppiger, ohne letztlich an musikalischer Boshaftigkeit viel einzubüßen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 03.08.2021
MUSIK
Die Supererbin
How To Ruin Your Life
Motor Music/VÖ: 13.08. Stream|mp3
Eigentlich hatten wir ja gehofft, dass die Autotune-Manie (mit der Gesangslinien, absichtlich missbraucht, in einem neuen, sehr synthetischen Sound erklingen) so langsam ausgelutscht sei. Aber gut, bei der Supererbin, darf darüber aus mehreren Gründen hinweggesehen werden.
Die aus Rheinland-Pfalz stammende Wahlberlinerin mischt ihren »Emo-Electro-Pop« mit so vielen Widersprüchen und Ironiefeuer auf, dass klassische Kategorien nicht mehr gelten sollen. Mit goldenem Badeanzug und Space-Trousers hinter den Synthies, ein Vorbild-Katalog von Falco über Alexisonfire bis Robyn im Gepäck, schraubt sie sich mit poppiger Oberflächlichkeit durch die Dramen der Hauptstadt-Millenials, die beim Berghain anfangen, an Tinder-Dates (»Swipe Me Away«) verzweifeln und bei »Maennertraenen« noch nicht zu Ende sind.
Dazu kommt die Zusammenarbeit mit Produzent Moses Schneider (Tocotronic, Turbostaat, Ätna) für zwei Songs, ein Feature von Torsun Burkhardt (Egotronic) in »Sehr, sehr schön« und die Tatsache, dass hier nicht alles in stumpfer Feierlaune verblassen soll, sondern mitunter auch die ein oder andere Botschaft (»Es ist so fucking dunkel, es ist so fucking kalt«, aus »Fucking Dunkel«) antriggert. Zwischen altbackener Drummachine, Autotune-Vocals und ein paar fixen Synthesizer-Linien streut die Erbin schmachtende Elektro-Schlager-Balladen und Rap-Linien von Lius (»Alleine sein«). Geplante Verplantheit, so kommt man in Berlin momentan anscheinend okay über die Runden – und das macht auch musikalisch dann durchaus Spaß.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 03.08.2021