MUSIK
William Fitzsimmons
Ready The Astronaut
Grönland/Rough Trade/VÖ: 25.06. Stream|mp3|CD|Vinyl
Beim Singer-Songwriter aus Pittsburgh braucht man glücklicherweise keine Angst zu haben, dass er musikalisch jetzt plötzlich mal etwas ganz Neues
ausprobieren möchte. Der bärtige Knuddelbär fasst es auch nach gut einem Dutzend traurig-melancholischer Alben, EPs und Live-Aufnahmen mit einem Zitat von Ani DiFranco zusammen: »When I’m happy,
I just want to live, I don’t want to write about it.«
Glück für uns, dass Fitzsimmons immer wieder durch die Tiefen des Lebens waten muss, und dann auch fleißig darüber schreiben kann. Der neue Tonträger knüpft gewissermaßen an »Mission Bell« (2018)
an, welches sich mit der Trennung von seiner Frau auseinandersetzte. Auch ein Umzug, viele Versuche und einige Paartherapie-Stunden konnten den Bruch aber nicht wieder kitten.
Wir, die egoistischen Fans, freuen uns trotzdem über das daraus resultierende, künstlerische Endprodukt: elf wundervolle Songs, die stets von seiner karamellig-sanften Stimme umhüllt werden, aber mittlerweile in einem opulenten Bandgefüge vor den Folkanfängen bedächtig den Hut ziehen. »Daedalus, My Father« ist so eine kurze Stille im wohldosierten Gewirr, mit Picking, Fitzsimmons Stimme und wenigen Sample-Teppichfetzen im Hintergrund.
Ansonsten schaffen es die Arrangements mit Schlagzeug, Bass, organischen Samples und Effekten, die Intensität zu verstärken, ohne Fitzsimmons von seinem Fan-Thron
zu stoßen. Ein sehr schönes, empfindsames Album, für Fans, aber auch für Neu-Einsteiger im kuscheligen Fitzsimmons-Kosmos.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
04.06.2021
MUSIK
Nichts
Made In Eile (Remastered Deluxe Edition)
Cargo Records/Cargo/VÖ: 18.06. Stream|mp3|CD|Vinyl
Dieses Debüt-Album wird gleichzeitig mit dem Nachfolge-Album »Tango 2000« als Remastered Deluxe-Edition mit Bonustracks und Foto-Booklet, ziemlich genau 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung von Cargo Records neu herausgebracht.
Die 1981 als Quartett gegründete Band aus Düsseldorf reflektiert gleichberechtigt die harmonischen Pop-Momente der Neuen Deutschen Welle wie auch die schrammeligen Punk-Einflüsse der deutschen Irokesen-Gründungszeit. Getragen werden die frühen Songs von Nichts vor allem durch die Stimme von Andrea Mothes, aber auch durch das recht filigrane und tighte Spiel der Saiteninstrumente und des Schlagzeugs, das in vielen späteren NDW-Songs mit Aufkommen der analogen Synthesizer-Welle vermeintlich vernachlässigbar wurde.
Die klangliche Ähnlichkeit zu Ideal und zahlreichen etwas weniger räudigen Punkbands der frühen 1980er ist vor allem der Zeit geschuldet, da Promotionmöglichkeiten
der heutigen Zeit damals noch reine Utopie waren. Die Single »Radio« wurde trotzdem zum kleinen Charthit, »Made in Eile« verkaufte 70.000 Exemplare und kann sich dank des neuen, druckvollen
Masterings von Dieter Joswig auch heute noch neben aktuellen Bands wie Friends Of Gas, Messer, Die Nerven oder Karies eindrucksvoll behaupten.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
04.06.2021
MUSIK
Kings Of Convenience
Peace Or Love
EMI/Universal/VÖ: 18.06. Stream|mp3|CD|Vinyl
Ihr Debüt »Quiet Is The New Loud« war ein musikalischer Faustschlag aus dem Nichts, mit dem das norwegische Indie-Folk Duo Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe akustische Gitarren plötzlich wieder äußerst cool erscheinen ließ.
2004 traten sie im Bonner Collegium Leoninum auf, das Publikum saß überwiegend auf dem Boden und in meiner Erinnerung waren die Wände mit gebleichten Jutebahnen abgehängt und sogar die Jungs trugen Blumenkränze im Haar. Was das Album von 2001 und auch den Nachfolger »Riot On An Empty Street« (2004) natürlich keinen Deut schlechter macht. Zwölf Jahre nach dem letzten gemeinsamen Album »Decleration Of Dependence« und vielen gelobten anderen Projekten von Øye (u.a. Whitest Boy Alive) sind die cleveren Folk-Nerds zurück, um uns erneut von der Faszination des pianissimo zu überzeugen.
Cremige Chorgesänge, filigranes Fingerpicking und zuckersüße Melodiebögen sind zurück, und Stücke wie »Rocky Trail« oder das getragene »Killers« knüpfen in ihrer Eingängigkeit an das legendäre Debüt an. Als zusätzlichen Bonus hat man Leslie Feist für »Love Is A Lonely Thing« und »Catholic Country« zum Gastgesang geladen.
Extra Topping auf der Sahnehaube sozusagen, denn KOC ihre musikalische Relevanz in der heutigen Zeit abzusprechen hieße auch Simon & Garfunkel, Nick Drake, Burt
Bacharach und Leonard Cohen als heulsusigen Musikmüll der Geschichte zu deklassieren. Und dann hat man echt den leisesten Schuss nicht gehört.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
04.06.2021
MUSIK
Turner Cody and The Soldiers Of Love
Friends In High Places
BB Island/Broken Silence/VÖ: 04.06. Stream|mp3|CD|Vinyl
Manchmal braucht man eine Mitternachts-Cognacschwenker-Americana-Folk-Platte, um den Tag anständig ausklingen zu lassen. Und da kommt Turner Cody mit dem
perfekten Menü daher, »er ist ein Poet des strauchelnden Amerika«, wie sein Label sehr weise anmerkt.
Alles an seinem Sound ist gut abgehangen und weich, das groovige Schlagzeug wie in Watte gepackt, die Gitarren mit Engelsfingern intoniert, dazu eine Stimme, die leicht nölende die Traurigkeit
der Welt für sich vereinnahmt, ohne sich aufzugeben. Gesegnet mit der neuen Band „The Soldiers Of Love“ reiht Cody seine poetischen Singer-Songwriter-Perlen auf, geschmeidig, unaufdringlich und
damit irgendwie unaufgeregt in eine Reihe mit Townes Van Zandt, Hank Williams oder Richard Hawley.
Klanglich schwingt hier viel von mittelfrühen Fleetwood Mac mit, stoischer Beat, feine Pickings, kleine Gitarrensoli. Nur dass Turner Cody dabei stets noch ein wenig mehr gespielte Hillbilly-Naivität an den Tag legt, ein kleiner Schlenker zu den festgezurrten Country-Traditionen. Das fließt alles so geschmeidig, aber keineswegs belanglos am Zuhörer vorbei, gemütlich, nachdenklich, mit so manchem Liebeslied-Keyword in den Lyrics, dem man spätestens nach dem zweiten Aufguss verträumt nachhängt, während die Band einen Akkord in einem fort zum Refrain treibt. Herrlich unaufgeregt, ohne dabei blass zu werden, davon könnte unsere wilde Welt eine weitaus höhere Dosis vertragen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
04.06.2021
MUSIK
Red Fang
Arrows
Relapse/Membran/VÖ: 04.06. Stream|CD|Vinyl|mp3|MC
Ein
düsteres, gegröltes Mantra namens »Take It Back« leitet das neue Album der Band aus Portland ein. Tief-wummernde, stehende Basstöne bündeln die Emotionen, welche gemeinsam mit Chris Funk (der
auch schon »Murder The Mountains« von 2011 und »Whales And Leeches« von 2013 produzierte) in ihrer Heimatstadt festgehalten wurden.
»Doing whatever the fuck we wanted«, lautete nach Aussage von Sänger/Bassist Aaron Beam das Motto und zieht sich auch konsequent durch den ersten Teil des fünften Albums. Erst zur ersten Single
»Arrows« kehrt das Quartett zum bretthart-kompakten Sludgerock-Sound zurück, eine prägnante Melodie wird von einem Bulldozer in Zeitlupe zermalmt.
Die Arbeit am Album beschreibt Gitarrist/Sänger Bryan Giles gegenüber rockhard.de als locker und angenehm, die Songs wurden nicht live eingespielt, sondern
nach und nach zusammengefügt. Mit verzerrten Gitarren, verzerrterem Bass, Growl-Gesang und mehrstimmigen, kurzen Melodiebögen die sich öfter mal von Vorbildern wie Black Sabbath, No Means No oder
den Melvins entfernen. Feedback-Flächen, Störgeräusche aus Gitarreneffekten und generell mehr Experimentierfläche sind dagegen Neuland im tighten Soundgerüst der Band, fühlen sich aber sogleich
wie ein gemeinschaftlicher großer Spaß an. Wütender Backstein-Doom wie »Rabbits in Hives« oder »Funeral Coach« ist trotzdem auch dabei, genauso wie es zur Single »Arrows« wieder ein
launig-humorvolles Video gibt, wie immer von Whitey McConnaughy produziert.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
04.06.2021
MUSIK
Hailu Mergia & The Walias Band
Tezeta
Awesome Tapes From Africa/Cargo/VÖ: 04.06. Stream|CD|Vinyl|mp3|MC
Selbst wenn man sich mit der Clubmusik Äthiopiens der 1970er passabel auskennt, wird einem die originale Veröffentlichung dieses Re-Releases vermutlich nicht bekannt sein.
Denn »Tezeta« wurde 1975 lediglich als Musikkassette veröffentlicht, hergestellt in Griechenland und von der Band über ihren eigenen Musikladen in Addis Abeba vertrieben. Brian Shimkovitz und seinem Label »Awesome Tapes…« ist es zu verdanken, dass dieses erste Album der Band nun als CD, LP, Download und auch als Kassette wieder erhältlich ist. Die Walias Band war in den frühen 1990ern ein großes Ding in Äthiopien, mit ihrem behäbigen Freestyle-Jazz-Funk waren sie präsent im Fernsehen und Radio, wenn auch meist als Begleitmusik für Einspieler.
Dabei war die ehemalige Hausband des Hilton Hotels in Äthiopiens Hauptstadt tatsächlich die erste Independent-Band Äthiopiens, die auch im Ausland auf Tour ging und die nach Angaben des Labels maßgeblich dazu beitrug, dass die musikalische Revolution des Landes moderne Instrumente und ausländische Stile mit dem traditionellen Sound von Äthiopien verknüpfen konnte.
So definiert sich ihr intensiv-groovender Mix aus äthiopischem Jazz, polyrhythmischem Funk im Stil von Künstlern wie King Curtis oder Maceo Parker und dominanten Orgel- und Moog-Synthesizer-Sounds von Hailu Mergia. Die Neuauflage wurde von Jessica Thompson remastered, hat sich aber den rauschenden Schmeichelsound alter Mixtapes erhalten, der ferne Welten und alte Erinnerungen zu ekstatischen Tanzeinlagen erklingen lässt.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 04.06.2021