MUSIK
Der Plan
Safe Your Software
Bureau B/Indigo/VÖ: 19.03. Stream|CD|Vinyl
Angeblich ist dies ein lang verschollenes Album der Band aus Düsseldorf, welches erst 2020 wiederentdeckt wurde. »Mitte der 80er kamen Moritz Reichelt, Kurt Dahlke (Pyrolator) und Frank Fenstermacher auf die Idee, sich als Mensch-Maschinen unsterblich zu machen, Projektname `Fanuks´«, lautet die kurze wie überdrehte Erklärung dazu, die natürlich astrein in die Timeline der Minimal-Electro und Synth-Pop-Pioniere passt.
1979 als Weltaufstandsplan gegründet, frickelten sie sich im ersten Frühling der elektronischen Klangerzeugung von verwirrend-gestalteten Klang-Experimenten wie dem Debütalbum »Geri Reig« (1980) zu Easy-Listening-Helden in Japan und ewigen Manipulatoren der Neuen Deutschen Welle und der maschinellen Ernsthaftigkeit von Kombattanten wie Kraftwerk.
Der Plan spielte die Rolle stets mit durchdringender Ironie, auch auf »Safe Your Software« findet man Klamauk, gepaart mit durchaus seriös zu nehmendem Musikanspruch, der Herbie Hancocks »Rock It« touchiert, Kraftwerk dezent überzeichnet und mit »Der Geschichte der Fanuks« zwölf Minuten das fiktive Experiment hinter dem Album erklärt. Elektro-Pionierarbeit in Hörspiel-Ambiente mit Kunstakademie-Schenkelklopfern, an dieser Melange hat sich mit dem alten-neuen Album glücklicherweise nichts geändert. Vielleicht zeigt es aber auch, dass die hochgehandelten heimischen NDW-, Krautrock- und Electro-Ikonen wie Kraftwerk, DAF, CAN oder Neu! öfter mal einen Treppenwitz hätten erzählen sollen.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 01.04.2021
MUSIK
Mint Julep
In A Deep & Dreamless Sleep
Western Vinyl/Cargo/VÖ: 19.03.
Für diese Veröffentlichung hat sich das Ehepaar Hollie und Keith Kenniff aka. Mint Julep geschlagene zwei Jahre Zeit gelassen. Ausgedehnte wie ungezwungene
Sessions, in denen dieses Technicolor-Pop-Projekt die klassischen Strukturen abgelegt hat, Verschmelzungen nach Perfektion strebten und dem klanglich-verwunschenen Ganzen ein idealer Mittelweg
aus Melodie, Melancholie und zeitlosem Fluss aufgezeigt werden sollte.
Vielleicht die beste Art der Paartherapie, könnte man meinen, denn hinter den verfremdeten Gesangslinien, den fluffigen Synthesizer-Wölkchen und den kaum mehr als Fixpunkte wahrzunehmenden
Drumbeats blüht durchgängig eine tiefgehende Zufriedenheit auf. Blumiger aber ziemlich Wahrheitsgetreu kann das nur die Promotionabteilung der Band zusammenfassen: »Sie haben es geschafft, den
Wert jahrelanger Rendezvous-Nächte in eine 46-minütige Sammlung von phosphoreszierendem Ambient-Pop zu verwandeln, der ein Gefühl von gekonnter Konsistenz vermittelt, das die beiläufige
Entstehung des Albums widerlegt.«
Dagegen wirken die weiteren Projekte von Keith namens Helios, Goldmund sowie das ebenfalls gemeinsam betriebene Kindermusik-Projekt namens Meadows beinahe wie starr auf dem Reißbrett
hingetackerte Standardtänze.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
05.03.2021
MUSIK
Visionist
A Call To Arms
Mute/PIAS/Goodtogo/VÖ: 05.03.
Was früher dem Progrocker sein genau austariertes Konzeptalbum war, ist heute eine elektronisch-knisternde Klanglandschaft wie Louis Carnell sie nun zum
dritten Mal in Albumlänge präsentiert. Es geht viel um Inhalte, »der Möglichkeit, Anderen zu vertrauen, sich zu öffnen und nach den Dingen jenseits des Horizonts zu greifen«, so der Künstler
selbst.
Was im Falle von elektronischer Musik weit jenseits des Grime-Grabens sehr viel bedeuten kann. Instrumentale Geräuschsammlungen wie »Allowed To Dream« wechseln sich mit Stücken im klassischen
Songformat wie »Form« oder »The Fold« ab, rhythmisch-losgelöste Trance-Erwartungen mit verhallten Gesängen, pathetischem Klavier und New Wave-Versatzstücken.
Die künstlerische Erscheinung außerhalb der Musik scheint Carnell dabei ebenso wichtig zu sein, das Album-Artwork stammt vom belgischen Künstler Peter De Potter (Kanye West) und das Modelabel
Heliot Emil aus Kopenhagen wirft zur Album-VÖ eine spezifische Kollektion auf den Markt, an der man z.B. mit T-Shirt und Album für selbstbewusste 85 Pfund Sterling teilhaben kann.
Auf der Gästeliste sind dieses Mal u.a. Ben Romans Hopcraft, Wu-lu, Haley Fohr (Circuit Des Yeux), Lisa E. Harris und K.K. Null. Was »A Call To Arms« trotzdem nicht aus seiner innehaltenden
Unentschlossenheit heraushebt, die möglichst alle Kunstbereiche infiltrieren möchte, aber dann doch teilnahmslos-unterkühlt auf der Strecke bleibt.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss
05.03.2021
MUSIK
Fruit Bats
The Pet Parade
Merge/Cargo/VÖ: 05.03.
Egal ob es nun seine Arbeit mit The Shins, die 2019 gegründete Supergroup Bonny Light Horseman (mit Anaïs Mitchell und Josh Kaufman) oder Film-Soundtracks
(u.a. »Our Idiot Brother«) betrifft, abseits dessen bleibt Fruit Bats für Eric D. Johnson immer der Ruhepol, zu dem er jederzeit zurückkehren kann.
Das, was Variety einst als »strummy folk-rockiness« umschrieb, trifft nach wie vor auf seinen – im positiven Sinne angestaubten – Sound zu, entspannt-souveräne Bummelmusik für endlose
nordamerikanische Landstraßen, denen Johnsons stets leicht nasal-hohe Stimme die nötige Prägnanz verleiht. Ein schleppender Schlagzeug-Groove, gezielte Bombast-Akzente und viel verträumte
Indie-Folk-Gelassenheit, der sich akustische und elektrische Gitarren, Tasteninstrumente und verschiedene Gesänge und Effekte brav unterordnen.
Kaum zu glauben, dass auch dieses Album im Social-Distancing-Modus aufgenommen werden musste, Produzent Josh Kaufman und Johnson selbst fügten verschiedene Musikspuren aus verschiedenen
Schlafzimmern und Studios verschiedener Bandmitglieder zu einem durchaus homogenen, fließenden Ganzen zusammen. Irgendwo zwischen Devendra Banhart, Donavan, The Byrds und The Polyphonic Spree
kriegt man diese Platte definitiv noch ins Handschuhfach des Straßenkreuzers gequetscht.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 05.03.2021