MUSIK

Riki

Gold

Dais/Cargo/VÖ: 26.11. Stream|mp3|Vinyl|CD

Von Frontfrau Niff Nawors Vergangenheit in der Kunst- und Anarcho-Punk-Szene der Stadt Los Angeles ist spätestens seit dem selbstbetiteltem Debütalbum ihrer Band aus dem letzten Jahr nicht mehr viel übrig geblieben. Zumindest, wenn man ihr berufliches Schaffen auf die Post-EBM Elektropop-Stücke reduziert, die auch das zweite Album der Band ausfüllen.

 

Hier tuckern die Sequenzer, Fretless-Bässe, Digital-Saxophone und Chorus-Effekte im besten 1980er-Jahre-Style vorbei, lassen an Bananarama, Italo-Disco, Pat Benatar und eine entschlackte Adaption von New Wave und NDW denken. Was bei den einprägsam-melodiösen Openern »Lo« und »Marigold« ziemlich gut funktioniert, und im zeitlichen Kontext beinahe erfrischend naiv klingt.

 

Klar hängt klebrig-süßer, leicht melancholischer Pop bei einigen älteren Semestern noch als chronischer Zuckerschock nachhaltig in der Blutbahn, aber kompositorisch sind die neun Songs doch zu clever zusammengesteckt, um ihnen bloß schnödes Plagiat anzulasten.

 

Gemeinsam mit Co-Produzent Joshua Eustis (Telefon Tel Aviv) haben Riki den hook-lastigen Sound digital ins aktuelle Jahrzehnt transferiert, auch »Last Summer« mit seinen Miami Vice-Synth-Linien, oder das leicht angedubbte »It’s No Secret« reproduzieren spätestens nach drei Hördurchgängen eine greifbare Glückseligkeit, die man dem Backflash, trotz Drangsal und aller gezielt eingesetzten Klischeesounds gar nicht mehr zugetraut hätte.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Aachener Stadtmagazin Klenkes                           01.11.2021


MUSIK

Veranda Music

Unter Einfluss

Staatsakt/H'Art/VÖ: 26.11. Stream|mp3|Vinyl

Das fünfte Album der Band aus Hamburg ist eine Hommage mit deutschen Texten geworden. Eine Hommage an den 1996 verstorbenen Sänger und Songwriter Tobias Gruben (Die Erde), dessen letzter musikalischer Partner Veranda-Music-Keyboarder Felix Huber war.

 

Der Wechsel zur deutschen Sprache hat auch damit zu tun, denn einige Songs sind Titel von Gruben, die er gemeinsam mit Veranda-Sänger/Gitarrist Nicolai von Schweder-Schreiner schrieb. Dazu gehören »Moni« (im Duett mit Pola Lia Schulten) und »Der Dan«, die im Album-Rahmen längst über eine schnöde Reste-Verwertung hinausklingen.

 

Nebenbei hat der Fokus auf die Songs von Gruben auch klanglich einige Veränderungen mitgebracht, alles wirkt reduzierter, rückt weg von Tom Waits und Nick Cave und reiht sich hinter Die Regierung oder Palais Schaumburg in die Liste von HH-Bands ein, die intellektuell geschätzt, aber insgesamt doch ewig unter dem Radar fliegen. Zu starken Songs wie dem erwähnten und gefälligen Uptempo-Countrypop »Moni«, dem überzeugenden Blumenmarkt-Funk von »Denk Nicht« oder dem soulig-verruchten »Schwaches Lied« meint man bei anderen Songs jedoch konkrete Anspruchslosigkeit und schlichte Abwesenheit wahrzunehmen.

 

»Guten Tag, Herr Filmproduzent« kann sein Country-Bullseye mit launigem Text und ungelenkig-verschleppter Akkordfolge nicht mal ansatzweise treffen. Auch der Opener »Seit es dich gibt« hat gleichermaßen mit gestocktem Swing und einer gewissen Plapperigkeit zu kämpfen, die reichlich belanglos dahingeschmiert anmutet. Mit ein paar originellen Perlen reicht es trotzdem nicht für die Album-Länge – aber dafür hat der Internetgott ja schließlich Playlisten erfunden.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                              01.11.2021


MUSIK

Damon Albarn

The Nearer The Fountain, More Pure the Stream Flows

PIAS/Transgressive/Rough Trade/VÖ: 12.11. Stream|mp3|CD|Vinyl|MC

Ursprünglich sollte »The Nearer…« ein einziges, langes, orchestrales Stück werden, inspiriert von der eindrucksvollen Landschaft Islands. Doch dann zog der Blur- und Gorrilaz-Frontmann nach Devon, baute kurz vor dem Lockdown eine Scheune zum Studio um und versank in einer dunklen Reise mit diesem einzigen Song.

 

So tief, dass letztlich elf eigenständige Tracks daraus hervorschlüpften. Und dass »Royal Morning Blue« als erste Single das Licht der Musikwelt erblickte, dürfte auch an der melancholischen, aber ergreifenden Catchyness liegen, die dem restlichen Material ganz bewusst abgeht – die orchestrale Komponente muss sich schließlich auch entfalten können.

 

Und damit knüpft Albarn sowohl an sein 2014 erschienenes, großartiges Solodebüt »Everyday Robots«, als auch an diverse Versatzstücke vergangener Blur-Album an, die sich nicht mit den krachigen Enden der Band-Synapsen, sondern mehr mit dem durcharrangierten, pompösen Orchestralsound beschäftigen. Kreischende Bläser, Paukenversammlungen, wirbelnde und streichelnde Tasteninstrumente, akzentuierende Streicher, eben alles was so ein Orchestergraben eben so hergibt.

 

Obwohl kein Song die fünf-Minuten-Marke knackt, ist der gemeinsame Ursprung noch grob erkennbar, angereichert mit Vintage-Drumcomputerbeats und Albarns flüsternd-grummeligen Stimme, die sich wie üblich hin und wieder in höhere Tonlage hochschwingt.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                              01.11.2021


MUSIK

Van Holzen

Aus der Ferne

OMN/Believe/Rough Trade/VÖ: 12.11. Stream|mp3|Vinyl

Wer hätte gedacht, dass es im »Alternative Rock«-Bereich (selbstgewählte Schublade des Trios) mit deutschsprachigen Texten noch große Überraschungen geben könnte? Ach, das dritte Album des Twentysomething-Trios aus Ulm kann es sogar ganz gut mit den amerikanischen Flugzeugträgern des längst ein wenig räudig riechenden Genres aufnehmen.

 

Sehr punktierter, drängelnd bis schubsend aufbäumender Gitarrensound mit knackiger Rhythmusgruppe und Texten, die von Intelligenz und Herzblut zeugen. Aufgenommen wurde mit Produzent Kidney Paradise im bandeigenen »Studio Valachai«, die glückselige moderne Welt lässt es zu, dass man auch in der kleinsten Hütte mittels Rechner, Plugins ein wenig Hardware und viel Handwerkskunst Musik von Weltniveau erschaffen kann.

 

Und das mit gesundem DIY-Anspruch, ohne Druck und falschen Versprechungen (die es sicher 2017 zum Debütalbum »Anomalie« beim Major Warner Records gab). Mit zwölf haarsträubenden Songs, keiner länger als dreieinhalb Minuten, knallen die Jungs souverän durch die Einbahnstraße der Rockgeschichte, da fällt es beinahe schwer Anspieltipps zu geben.

 

Die knappen Chöre zum tonnenschweren Sound von »Nagel«, die Brechstange von einem Song namens »Dauerhaft«, der trotzdem die Formel der Popmusik verstanden hat, das Niveau ist hoch. Da wirkt viele junge, laute, wütende Musik aus diesem Land doch arg bemüht und inhaltsleer. Oder, um es den älteren Alt-Rock-Heads der Republik in Kurzform zu erklären: Das hier ist die Platte, an der die großartige Hamburger Untergrund-Gruppe Sport vielleicht seit Jahren vergeblich feilt.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                              01.11.2021