MUSIK
Maya Janes Coles
Night Creature
I Am Me/Rough Trade/VÖ: 29.10. Stream|mp3|CD|Vinyl|MC
Die britisch-japanische Wundertüte der elektronischen Musik ist nach wie vor kaum zu bremsen. Neben einer Reihe von Festival-Headline-Slots in diesem Jahr hat sie ab November eine eigene Radio 1-Residency im VK und sogar an einem neuen Song von Sting mitgearbeitet. »Night Creature«, das nunmehr fünfte Studioalbum, bekam trotzdem deutlich mehr Aufmerksamkeit, als man es bei solch einem vollen Terminkalender vermuten würde.
Nach wie vor tänzelt die Künstlerin/Produzentin/Djane zwischen den Grenzen der elektronischen Musik, tanzbare Standardbeats schwimmen auf wavigen Melodieteppichen, Pop-Elemente wechseln mit trippigen Tech-House-Tunnelfahrten. Coles klingt wie immer äußerst nahbar und doch so fern und hat sich für ihr Album u.a. Julia Stone (»Got Me«), Lie Ning (»Hypnotised«), Karin Park (»Light«) als Sänger*innen, sowie Claudia Kane als Co-Producerin für drei Songs dazugeholt.
In einem Trubel aus Superlativen, die ihr Künstlerdasein äußerlich abbilden, sind es auch auf »Night Creature« die Kompositionen, die durchaus glänzen können. »Wenn es um mein Musikmachen geht, war ich schon immer ein Geschöpf der Nacht«, so Coles, die nach eigner Aussage vorrangig den Momenten hinterherrauscht, die »von dunkel zu hell, von melancholisch zu energiegeladen« wechseln.
Oberflächlich ein cooles, vielleicht etwas zu routiniertes EDM-House-Album, das durchaus mit Tiefgang, musikalischem Herzblut und kreativem Talent punkten kann, gegenüber dem Vorgänger »Take Flight« von 2017 allerdings den genialen Überraschungsmoment vermissen lässt.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 01.10.2021
MUSIK
Lala Lala
I Want The Door To Open
Hardly Art/Cargo/VÖ: 08.10. Stream|mp3|CD|Vinyl|MC
Nach dem 2018er Album »The Lamb«, in bestem Indierock-Style live mit einer dreiköpfigen Band aufgenommen, war für Lillie West klar, dass der nächste Wurf in eine ganz andere Richtung gehen sollte.
»Ich möchte totale Freiheit, alle Möglichkeiten und totale Anerkennung«, erklärt die Sängerin/Songwriterin im Info zu ihrer dritten Platte. Der Song »Diver«, eine fröhlich-bombastische Pophymne mit starkem elektronischem Unterbau soll dabei als musikalischer Leitsatz des Albums dienen. West hat die Platte gemeinsam mit Yoni Wolf (Why?) produziert, die verschachtelten Gesangsarrangements arrangiert und die Sounds von Gitarren, Drums und verschiedenen elektronischen Klangerzeugern mit Hilfe gegenwärtiger Tontechnik zu einem organischen Ganzen gegossen.
Wenn im orchestralen Synthie-Auftakt von »Lava« ein rhythmisches Stuhlknarzen einsetzt, erkennt man schon die Bemühung, ausproduzierte Popgröße mit verspielter Homerecording-Attitüde zu vereinen. Natürlich wird auch hier selbstbewusst wieder die Kate Bush-Referenz gedroppt, die kreativ bestimmt Schnittmengen aufweist, musikalisch aber dann doch in eine längst vergangene Ära abzuschieben ist. West schafft die Brücke zwischen Death Cab For Cutie-Bombast und kleinteiligem Elektropop, unter der eine Menge kreativer Momente hindurchschwimmen, die sich wie so häufig erst nach und nach offenbaren.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Aachener Stadtmagazin Klenkes 01.10.2021
MUSIK
Isolation Berlin
Geheimnis
Staatsakt/H'Art/VÖ: 28.10. Stream|mp3|CD|Vinyl
Wie soll 2021 eigentlich mit dem verblassenden Typus des knorrigen Liedermachers umgegangen werden, von dem dieses Land einige durchaus akzeptable Exemplare hervorgebracht hat? Isolation Berlin sind da schon seit 2013 eine ausfüllende, manchmal ironisch angezählte Antwort, bei der die Musik als effektives Transportmittel für mächtige Texte dient.
Die Wanderklampfe hat natürlich trotzdem seinen Todesstoß im Pfadfinder-Club gefunden, Tobi Bamborschke (Gesang, Gitarre) drückt seine Texte mit der Dringlichkeit von Rio Reiser durch, ohne das Altherren-Pathos eines Element Of Crime-Konzertes in den Gliedern zu fühlen.
Auch »Geheimnis« ist ein Album für geschulte Zuhörer, die Texte studieren möchten, und gemäßigtes Gitarre-Bass-Schlagzeug-Getöse im Hintergrund wortlos abnicken. Und zwischen den vermeintlichen hellsten Texter-Köpfen in der heimischen Indiemusik (z.B. Erdmöbel, Element Of Crime) wirken Isolation Berlin weiterhin unbedarft direkt, stolpern durch austarierte Songs, die gleichermaßen von ihrer Mangelhaftigkeit wie von einer sauberen Produktion leben. Das ist nicht das elitäre Haus-am-See-Open-Air der Ü50-Gin-Trinker oder die piefige Kunststudentenklitsche in Hamburg, sondern ein dreckiges Loft in Berlins gentrifiziertestem Stadtteil, mit Zugluft und Kampfgeist, wo heimische Songwriter zwar verehrt, aber nie zitiert werden.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Aachener Stadtmagazin Klenkes 01.10.2021
MUSIK
Tirzah
Colourgrade
Domino/Goodtogo/VÖ: 01.10. Stream|mp3|CD|Vinyl
Die musikalische Geschichte von Tirzah Mastin reicht zurück bis ins Jahr 2013, als sie die EP »I’m Not Dancing« mit zappelnden Tanzballaden veröffentlichte, produziert von Mica Levi, die auch das gefeierte Debüt »Devotion« von 2018 eintütete. Das neue Album erschuf die Londonerin erneut mit Levi, sowie mit Coby Sey, aus diversen Jam Sessions in den The Room Studios entstand schließlich »Colourgrade«.
Und Tirzah bleibt ihrem verwaschenen Zitat-Stil treu, der Zeitlupen-Triphop, Pop-House und Minimal-Electro-Pop streift, widerspenstige Harmonien gegen einander antreten lässt, und ganz nebenbei die Popmusik erfreulich unbeeindruckt verwirbelt. Monotone Synthesizer, geflötetes Vogelgezwitscher, sanfte Gesangslinien an der Grenze zum belanglosen Geflüster erzeugen Aufregung, Spannung und Verwunderung.
Grundausstattungs-Beats erwecken wie in »Tectonic« kurz den Anspruch von elitärer Rausschmeißer-Clubmusik, sind aber nur Verbindungsstücke zwischen den übersprudelnd kreativen Klangwüsten, in denen Tirzah Popmusik, Prince-Verweise und quälende Gegenläufigkeit verbuddelt hat, die sich nach mehreren Hördurchgängen als clevere Popmusik-Updates mit Wiedererkennungswert offenbaren.
Ja, Songs wie »Recipe« tragen einen hoffnungslosen, düsteren Himmel über sich, während die Zeitlupen-1980er-Synthballade »Sink In« in ihrer Verzweiflung durchaus auch Anflüge von ehrlicher Kitschigkeit transportiert. Die Dekonstruktion, das Spiel mit den Extremen der Popwelt hat Tirzah schon ganz hervorragend raus, transportiert das obsolete Genre erneut selbstbewusst in die Gegenwart.
Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss 01.10.2021