MUSIK

Alicia Walter

I Am Alicia

Sooper Records/Cargo/VÖ: 17.09. Stream|mp3|CD|Vinyl|MC

Eine gute Stimme (vielleicht bereits bekannt von der Chicagoer Artrock-Band OSHWA) und erste Assoziationen mit fröhlich-tanzender Worldmusic prägen die ersten beiden Songs dieses Debüts. Doch damit wird man der Singer/Songwriterin natürlich nicht gerecht, Song Nummer drei, »Who Am I« baut sich dann plötzlich als jazzige Piano-Ballade auf, mit orchestralen Swing-Einlagen, kleinen Tori-Amos-Momenten und einer, zugegeben, immer noch sehr guten Stimme.

 

Und mit dieser Ungewissheit, was als Nächstes kommen wird, spielt Walter auch in den weiteren Songs ihres Debüts, Doo-Wop-Gesangsarrangements, beatgetriebene wie pompöse Electropoptracks und Songs wie »Suit Yourself«, der sich recht pedantisch die Harmonien und Sounds aus dem Welthit »Kiss« von Prince klaut, für eine Persiflage dann aber doch zu konsequent durchgezogen wird.

 

Ja, das ist alles sehr perfektionistisch durchdekliniert, beschwörte bei Walter einen Burnout und eine anschließende einjährige Überarbeitung des kompletten Albums mit Tontechnikerin Heba Kadry (Björk, Japanese Breakfast, Mars Volta) herauf und kann sich trotz der angewandten Mühe nie so ganz entscheiden, ob bei allem Talent und künstlerischem Selbstbewusstsein doch letztlich die Parodie das Ruder über eine Sammlung von durchaus vielschichtigem Ursprungs-Songs genommen hat.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                              03.09.2021


MUSIK

José González

Local Valley

City Slang/Rough Trade/VÖ: 17.09. Stream|mp3|CD|Vinyl

Bei manchen Künstlern soll sich bitteschön gar nichts ändern. Der schwedische Folkstar González gehört zu seinem eigenen Leidwesen auch in diese Kategorie.

 

Seit seiner mit zartem Fingerpicking verschmolzenen Coverversion von »Heartbeats« (ursprünglich durch das schwedische Electronic-Duo The Knife zum Leben erweckt), den anschließenden 1 Milliarde Streams und jede Menge Superstargetöse ist die sanfte Gitarre, gepaart mit seiner intimen Stimme ein kuscheliger Folk-Dauerbrenner. Und dieser oberflächlich recht anspruchslosen Vorgabe wird auch sein aktuelles Album vollends gerecht.

 

In eindeutiger Tradition von Nick Drake, Leonard Cohen und Simon & Garfunkel perlen die Songs in trauriger Perfektion aus den Boxen, verziert mit kleinen Nettigkeiten wie dem ersten spanischen Text auf »El Invento« oder dem leisen Vogelgezwitscher im Hintergrund von »Visions«, das man durchaus auch im eigenen Vorgarten verorten könnte. Hin und wieder ein wenig rhythmisches Klopfen, eine winzige Perkussions-Spur aus der modernen Digitalität, die doch so warmherzig erklingt, dass sie nicht stört. Und dann kann man auch dieses Album schon wieder zufrieden abhaken, klingt ganz fabelhaft, zumindest wenn man gelegentlich auf solche traurige Glückseligkeit steht.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Aachener Stadtmagazin Klenkes                           10.09.2021


MUSIK

Vaovao

Vaovao

Staatsakt/H'Art/VÖ: 03.09. Stream|mp3|CD|Vinyl

Hanitra Wagner (Ωracles, Die Heiterkeit) präsentiert ihr erste Soloalbum. Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Produzenten und Musiker Oliver Bersin (Urban Homes) hat die Kölnerin in einer Corona-geprägten »Bedroom Produktion« den Sound ihrer Bands ein wenig den eigenen Bedürfnissen angepasst.

 

Überwiegend deutschsprachige Texte, warme Analogsynthesizer-Teppiche und knackige Beats verknüpfen 1990ies Electronic, 1980er Wave, Streicher-Sätze und Post-Y2K-Elektropop zu einem organisch hinfortfließenden Musiktrip. »Die Wellen schäumen schön geschmeidig, man sieht die Finsternis verglühen«, betextet Wagner im Opener »Weiße Steppe« ihren Sprechgesang zum gemächlichen Sundowner-Klangteppich. Doch Songs wie die poppig-kantige mid-tempo-Tanznummer »Zeitschleife«, oder das großartige instrumentale »Finale« als siebter und letzter Track wollen ausbrechen aus Klangvorgaben und tanzmusikalischen Marschbefehlen.

 

Wie schon bei Ωracles klingt dieser Electrosound kuschelig-warm, kreativ und erstaunlich Strandbar-tauglich – vorausgesetzt es gibt Sand unter den Füßen, geschmeidige Sitzmöglichkeiten und belebende Cocktails in der Happy-Hour. Da scheint es nur folgerichtig, dass Vaovao im Spätsommer 2018 auf Lanzarote von Wagner und Bersin ins Leben gerufen wurde. Unbedingt dem Urlaubs-DJ am Last-Minute-Lieblingsstrand in die Playlist drücken, damit die Teutonen auch mal ein bisschen musikalische Palmen-Coolness abbekommen.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                              03.09.2021


MUSIK

Suuns

The Witness

Joyful Noise/Cargo/VÖ: 03.09. Stream|mp3|CD|Vinyl

Sie waren Artrock-Gitarrenslacker, jonglierten mit Free-Jazz, brachten No Wave und IDM in ihren Heimatort Montreal und haben sich auch mit deutscher Elektronik der Anfangstage auseinandergesetzt. Wichtiger als all das scheint für das Trio aber Progression zu sein.

 

Wenn im siebenminütigen Opener »Third Stream« doch kurz eine kleine Gitarrenwand erklingt, ist das kein zelebriertes Männlichkeitsritual mehr, sondern bloß noch eine Klangsynthese in einem eigenen Kosmos voller Ideen und Sounds. Dieses selbstproduzierte fünfte Album entstand 2020, inmitten von Corona, Streit, Einsamkeit und Reflexion, ist sicherlich das langsamste Album der Band, und das elektronischste, ohne auch nur irgendein Klischee des Genres länger als ein paar Sekunden zu adaptieren.

 

Ein einziger Track sollte das Album werden, geprägt von Ben Shemies verfremdeten Gesangslinien, den kleinen, glorreichen Pop-Momenten, die dann doch wieder in einem Rhythmus, einer Analogsynthie-Nebelwolke oder einem plötzlichen Stilwechsel verschwimmen. Die Kantigkeit besteht hier eher darin, dass die Kanadier unerwartete Tiefen in ihren Slo-Mo-Sound gewebt haben, als darin, dass sich hier Stil-Schubladen immer wieder selbst dekonstruieren.

 

Die Entscheidung, das Album selbst zu produzieren hat zu einer überzeugenden Homogenität geführt, die trotzdem mit jedem Hören noch wächst. Ein Pflichtkauf für alle, denen die Popmusik in all ihren Auswüchsen der vergangenen Jahre nur noch langweilig erschien.

 

Klaas Tigchelaar // Veröffentlicht im Bonner Stadtmagazin Schnüss                              03.09.2021