Conrad Schnitzler
Consequenz II / CON 84 - Reissues
(Bureau B/Indigo) VÖ: 27.05.
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Reissues sind die essentiellen Lückenfüller der Musikvergangenheit – zumindest wenn es relevante Künstler betrifft. Im Fall von Conrad Schnitzler (1937-2011), der »zu den bedeutendsten Avantgardisten der elektronischen Musik in Deutschland« (so die Plattenfirma) gezählt wird und u.a. auch Teil von Tangerine Dream und Kluster war, trifft diese Relevanz sicherlich zu. Bureau B bringt nun zum einen »Consequenz II« von 1986 aus den Händen von Conrad Schnitzler und Wolf Sequenza (Wolfgang Seidel), aber auch »CON84« von 1984 neu auf Vinyl, CD und Digital neu heraus. Pulsierende Synthi-Pionierarbeit, gepaart mit künstlerischem Freiheitsdrang, den der Joseph Beuys-Schüler Schnitzler zu jeder Zeit in seinem Oeuvre manifestiert.
Beim Rückblick in die 1980er Jahre erscheinen die wabernden, changierenden Klänge auf beiden Veröffentlichungen auch immer ein bisschen wie avantgardistische Klangforschung an frühen analogen Synthesizern, Sequenzern und (im Fall von »CON84«) auch an ganz frühen Computern. Die Sounds wirken 2022 natürlich nicht mehr so futuristisch, bedrohlich oder gar unbegreiflich wie damals, viel mehr bilden sie die Entwicklung digital-erzeugter Musik in einem anspruchsvollen Grenzbereich ab.
Das ist nichts für den Genuss nebenbei, sondern musikalische Forschungsarbeit, die auf eine spannende Art gealtert
ist. Auf Bonustracks oder sonstigen Firlefanz hat das Label bei diesen Reissues konsequenterweise verzichtet.
Klaas Tigchelaar für Schnüss
Erdmöbel
Guten Morgen, Ragazzi!
(jippie!industrie/Rough Trade) VÖ: 20.05.
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Gute Musik für alternde Berufsjugendliche. Wer der Kölner Band um die Wirrköpfe Markus Berges und Ekki Maas schon in der Vergangenheit aufmerksam seine Ohren zugewandt hat, weiß natürlich um die stets konstante Qualität ihres Liedguts. Entspannte, groovige Pop-Musik ohne Allüren, mit vielen cleveren Ideen, wunderschönen Hochkultur-Texten von Berges und von Ekki Maas als Produzent jedes Mal zu einem kleinen, bescheidenen Meisterwerk hochgejazzt. Natürlich geht auch dem zehnten Album »Guten Morgen, Ragazzi!« da nicht die Puste aus. Man fragt sich eher, warum Erdmöbel noch immer nicht offiziell zum relevanten Kulturgut unseres Landes deklariert wurden, und die Kultur-Großkopferten immer noch so viel Unsinn abfeiern.
Der Sound ist kuschelig wie eh und je, Berges anschmiegsame und souverän intonierende Stimme der perfekte Geschichtenerzähler, drumherum passieren viele Sounds aus alten und modernen Instrumenten, Popmusik, Klangkulisse, Rettungsanker für diejenigen, die von Pandemie und Krieg schon längst viel zu wirr geworden sind. Die erste Single »Supermond« schlägt da mit verfremdendem Gesangseffekt (vielleicht eine Persiflage des Autotune-Hypes im HipHop?) beinahe ein wenig aus der Art – wichtige kleine Grenzüberschreitungen, die das etablierte Konzept frisch halten
Klaas Tigchelaar für Schnüss
Rolling Blackouts Coastal Fever
Endless Rooms
(Sub Pop/Cargo) VÖ: 06.05.
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Ihr drittes Album haben die Indie-Rocker aus Australien erstmals selbst produziert, with a little help von Tontechniker und Freund Matt Duffy. Quasi die logische Ausfahrt nach dem Corona-bedingten Online-Austausch von Songideen, der immerhin zwölf aufwühlend-hibbelige Songs hervorgebracht hat. Aufgenommen wurde zwei Stunden nördlich von Melbourne, in einem Haus der Familie Russo, zu der ja auch die Brüder Tom (Gitarre,Gesang) und Joe (Schlagzeug) gehören. Das Haus hat es schließlich sogar aufs Cover geschafft. Was, neben dem Albumtitel wieder bekräftigt, wie essentiell die passende Umgebung für kreative Arbeit ist.
Aufregende Gitarrenlicks, gute Harmonien, drei Gitarren und drei Stimmen, alles soweit sehr geschmackvoll und beim alten. Dazu kommen jetzt Feldaufnahmen von Regen, Feuer, Vögeln und Wind, die dieses »Anti-Konzept-Album« (so RBCF) welche die kreative Energie des Hauses auf die Platte transportieren sollen. Diese Mischung aus angezerrtem Gitarren-Voodoo, 1980er-Pophooks und – ganz neu – Synthesizern (wie auf »The Way It Shatters« zu hören) macht Laune, verknüpft Gitarrenrock der 1970er mit Indie-Attitüde der 1990er und den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der 2020er-Jahre.
Und wer wie in »Dive Deep« ein episch-großes Gitarrenlick mit schnappatmenden Pavement-Gesängen zusammenfügt, dürfte eh die
Mehrheit der junggebliebenen Gitarren-Slacker auf seiner Seite haben.
Klaas Tigchelaar für Schnüss
Hater
Sincere
(Fire Records/Cargo) VÖ: 06.05.
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Es geht hier nicht um die gleichnamige US-Supergroup aus den 1990ern, sondern um die verschroben-sympathische Dreampop-Band aus Malmö, Schweden. Ein paar gute Quotes hat die Band mit vorherigen Veröffentlichungen schon gesammelt, wie etwa »your next Scandinavian indie pop obsession«, die das Magazin #Flood herausgehört hat. Und man kann sich dem poppig-krachigen Zeitlupen-Wirbelsturm aus Schweden tatsächlich kaum entziehen, setzt die Band um Sängerin/Gitarristin Caroline Landahl doch exakt an der richtigen Stelle die richtigen Akzente.
Verhalltes Gitarrengeschrammel und melancholischer Shoegaze-Gesang sind mit einem Mal nicht mehr langweilig, wenn man die Melodieführung des Pop verstanden hat, die richtigen Krach-Effekte an die richtige Stelle bugsiert und Bands wie Ride, My Bloody Valentine, Lush, oder auch Mercury Rev gekonnt als Fußnoten verarbeitet.
Wie Hater z.B. aus dem vielschichtig-melodiösen Dreampop-Gitarrenspurgewitter von »I’m Yours Baby« mit einem nachdenklichen Gitarrenfeedback hinausgleitet, beweist einfach Klasse, ist Zitat und Konterpunkt zugleich. »All killers, no fillers« sagte man im Pommesgabel-Universum der 1980er – hier darf man auch von einem mitreißenden Pop-Album sprechen, dass die Härte der Realität mit strahlender Kreativität bekämpft und durchaus Jahresbestenlisten-Größe besitzt.
Klaas Tigchelaar für Schnüss